Die Zweite des HSV bangt um den Klassenerhalt in der Regionalliga. Die Verantwortlichen fürchten um die Zukunft der Talentförderung. Doch die Probleme sind hausgemacht.

Hamburg. Als Argentinier müsste man derzeit auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Nach Maradona, Messi und Prinzessin Máxima dürfen sich die Südamerikaner auch noch über Papst Franziskus freuen. Auf göttlichen Beistand wartete Rodolfo Cardoso am vergangenen Wochenende indes vergebens. Der argentinische Trainer des HSV-Regionalligateams hatte sich am frühen Sonntag am Spielfeldrand auf der weitläufigen Sportanlage Ochsenzoll einen XXL-Wollschal um den Hals gewickelt, mehrere Daunenjacken übergeworfen und musste sich nach dem Testspiel gegen den spielerisch überlegenen Oberligaclub Niendorfer TSV trotzdem anhören, dass er sich in den kommenden Wochen ganz warm anziehen müsse. "Das war wieder mal nichts", sagte der 44 Jahre alte Fußballlehrer nach dem Spiel. Zwar hatte seine Mannschaft den Test glücklich mit 4:1 gewonnen, aber eiskalt zugeschlagen hatte nur der Hamburger Winter.

Zehn der vergangenen elf Pflichtspiele hat die U23 des HSV, in der die besten Talente des Vereins für eine mögliche Profikarriere vorbereitet werden sollen, zuletzt verloren. Derzeit liegt die Nachwuchsmannschaft des Bundesligaclubs auf einem Abstiegsplatz der vierten Liga, ist damit das schlechteste Hamburger Regionalligateam noch hinter Aufsteiger SC Victoria und dem Unterbau des Zweitligaclubs FC St. Pauli. "Wir brauchen Hilfe", sagt Cardoso, der in dieser Situation tatsächlich auf Unterstützung von oben - gemeint sind jedoch die Profis des HSV - angewiesen ist.

"Ich hatte vor einer solchen Situation gewarnt", sagt der Coach, der trotz der brisanten Lage seinen im Sommer auslaufenden Vertrag gerade erst um ein Jahr mündlich verlängert hat. Cardoso weiß, dass Kritik von seiner Seite in dieser Situation nicht zwingend förderlich für die eigene Position ist. Einen zaghaften Seitenhieb kann sich der Südamerikaner, der für die Weiterentwicklung der Top-Talente des HSV verantwortlich ist, allerdings nicht verkneifen. "Geplant war, dass sich auch die Profis bereit erklären, bei uns Spielpraxis zu sammeln, wenn sie in der Bundesligamannschaft nicht zum Einsatz kommen", sagt Cardoso und schaut auf den Boden, "das ist bislang nicht wirklich passiert. Ich kann nur hoffen, dass in den nächsten Wochen der eine oder andere Profi bei uns mitmachen will."

Cardosos Hauptproblem: Der HSV hat mit grade noch 22 verbliebenen Spielern nicht nur den kleinsten Kader der Regionalliga, seine Mannschaft ist zudem die jüngste und unerfahrenste der Liga. Etablierte Führungsspieler der vergangenen Saison wie Daniel Nagy (jetzt VfL Osnabrück), Hanno Behrens (Darmstadt 98), Sören Bertram oder Florian Brückmann (beide VfL Bochum) wurden abgegeben und aus Kostengründen nicht ersetzt. Ältester Spieler der jüngsten U23 der HSV-Geschichte ist somit Kapitän Henrik Dettmann mit 23 Jahren. Im Gegensatz zu anderen Proficlubs verpasste es der HSV, der bis zu drei Profis über 23 Jahren für die zweite Mannschaft abstellen darf, zu regeln, wer in der U23 wann aushilft. Bei vielen Clubs (zum Beispiel Werder Bremen) ist es dagegen üblich, dass gesunde Ersatzspieler, die nicht im Kader der Profis standen, einspringen müssen. Umso dringender wird Hilfe von erfahrenen Spielern gebraucht. Aber bis auf Paul Scharner (zwei Einsätze) und dem zwischenzeitlich zwangsversetzten Slobodan Rajkovic (ein Spiel) stand von den Profis nur Zhi Gin Lam (fünf Einsätze) zur Verfügung. Und der ist selbst erst 21 Jahre jung.

Ein Problem, das aufgrund der sportlichen Talfahrt mit Verzögerung nun auch bis zum HSV-Vorstand vorgedrungen ist. "Vielleicht wurde die Dramatik der Situation zuletzt etwas unterschätzt", sagt Vereinschef Carl Jarchow, "aber ich bin mir sicher, dass jetzt jeder weiß, wie ernst es um die U23 steht." Der Vorstandsvorsitzende des HSV wirkt beunruhigt: "Ein Abstieg in die Oberliga wäre für uns der Super-GAU. Bei aller Sympathie, die ich beispielsweise für Altona 93 hege, muss man deutlich sagen, dass es unsere Talenten nicht weiterbringt, sich in der Oberliga Hamburg zu messen." Jarchow, der den Etat der Regionalligamannschaft von knapp zwei Millionen Euro in der nächsten Saison weiter kürzen will, setzt auf bessere Absprachen zwischen Profis und U23: "Wir wollen nichts unversucht lassen, den Klassenerhalt zu schaffen. Es ist abgesprochen, dass immer wieder Profis aushelfen."

An Thorsten Fink, das versichert der Cheftrainer der HSV-Profis, soll das Projekt Klassenerhalt nicht scheitern. "Wir wollen und müssen unserer zweiten Mannschaft helfen. Für die Zukunft unserer Talentförderung wäre der Klassenerhalt elementar wichtig." Auch für Fink wäre es ein Horrorszenario, wenn sich Top-Talente wie Christian Norgaard oder Matti Steinmann künftig in der fünften Liga mit Mannschaften wie dem SV Rugenbergen, Halstenbek-Rellingen oder Curslack-Neuengamme messen müssten: "Von der Oberliga bis zur Bundesliga ist der Klassenunterschied zu groß, deswegen müssten wir uns im Falle eines Abstiegs für unsere Talente etwas einfallen lassen."

So weit denken will Michael Schröder noch nicht. "Wir werden nicht absteigen", sagt der neue Nachwuchschef des HSV, der es zuletzt auch verpasste, eine Philosophie der U23 zu kommunizieren. Der mittlerweile siebte Nachwuchschef in sieben Jahren hat aber allen Krisenszenarien zum Trotz große Ziele: "Auf Sicht muss es für uns darum gehen, mit dieser Mannschaft in die Dritte Liga hochzugehen." Schröder setzt auf einen Neuanfang. "Wir werden Offensivfußball spielen", sagt der Ex-Profi. Alles soll besser, attraktiver, effizienter werden. Nur die Frage nach dem Wie bleibt letztlich unbeantwortet.

Eine erste Maßnahme wurde dann doch beschlossen. Zumindest in den kommenden Wochen sollen alle Profispieler, die gesund sind und nicht zum Bundesligakader gehören, in der U23 aushelfen. Erste Kandidaten dafür sind Gojko Kacar, Michael Mancienne und Jacopo Sala. "Der Klassenerhalt ist das einzige Ziel", sagt Cardoso, dem beim Scheitern wohl weder die mündliche Vertragsverlängerung noch ein argentinischer Papst helfen würde.

So ist die Situation bei den U23-Teams der Konkurrenz www.abendblatt.de/U23