Der Trainer wollte den späteren Siegschützen in Stuttgart schon auswechseln. „Rudi hatte nicht seinen besten Tag“, sagte Fink. Schlüssel zum Sieg war die Defensive.

Stuttgart. Es ist eine lieb gewordene Angewohnheit Thorsten Finks, dass sich der HSV-Trainer nach den Spielen zunächst mal die Zeit nimmt, den Statistikzettel ausgiebig zu studieren, bevor er sich auf das obligatorische Frage-und-Antwort-Spielchen auf der Pressekonferenz einlässt. Und das, was der HSV-Trainer da am späten Sonntagabend auf dem Podest im Presseraum der Mercedes-Benz-Arena zu sehen bekam, schien dem 45-Jährigen zu gefallen. "Das war eine disziplinierte Leistung meiner Mannschaft", kommentierte Fink den verdienten 1:0-Sieg seines Teams, schaute noch mal kurz auf den Zettel und ergänzte: "Der Sieg geht in Ordnung. Meine Mannschaft hat hervorragend umgesetzt, was wir uns vorher vorgenommen haben."

Wie unter der Woche einstudiert, hatte sich der Fußballlehrer gegen den VfB für die bislang defensivste Aufstellung dieser Saison entschieden. Die Stürmer Heung Min Son und Maximilian Beister durften zwei Stunden zuvor zunächst nur auf der Bank Platz nehmen, im Angriff setzte Fink auf Torjäger Artjoms Rudnevs und Rafael van der Vaart als hängende Spitze. Eine Überraschung war allerdings lediglich Finks Sinneswandel bei der Besetzung der Abwehr. Anders als angenommen, bekam Jeffrey Bruma, der sich öffentlich über sein Reservistendasein beklagt hatte, eine neue Bewährungschance, der formschwache Slobodan Rajkovic musste auf die Bank. Und vor der Abwehr sollten Techniker Milan Badelj und Kämpfer Tomas Rincon ein echtes Staubsauger-Pärchen bilden. Finks Defensivtaktik, das merkten die 47.100 Zuschauer früh, sollte aufgehen.

"Besonders in der ersten Halbzeit haben wir ein richtig gutes Spiel gemacht. Wir haben endlich wieder die einfachen Dinge beherzigt", lobte Linksverteidiger Marcell Jansen, "die ganze Mannschaft hat richtig gut defensiv gearbeitet." Gefährlich wurde es für die stabile Hamburger Abwehr tatsächlich nur, wenn sich der VfB eine Standardsituation rund um den Sechzehner herausspielen konnte. Die größte und auch spektakulärste Möglichkeit durch einen direkten Freistoß Holzhausers konnte Adler aber mit einer nicht weniger spektakulären Parade mit der rechten Faust an den Pfosten lenken (16.). "Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, dass wir dieses Spiel verlieren konnten. Besonders defensiv war das richtig gut", schwärmte Fink, der aber auch nach der Rückkehr auf Platz sechs keine höheren Ziele offiziell ausgeben wollte: "Wir haben nichts mehr mit dem Abstieg zu tun. Ansonsten setzten wir uns immer neue Ziele, aber nur von Spiel zu Spiel."

Die finksche Bescheidenheit hatte einen guten Grund. Denn so sicher die Abwehr gegen die ideenlosen Schwaben auch stand, so unbeholfen wirkten zunächst die Hamburger Offensivbemühungen. Die beste Möglichkeit der ersten Halbzeit vergab Rudnevs leichtfertig per Kopf (13.). "Rudi hatte nicht seinen besten Tag. Ich wollte ihn schon rausnehmen und Maxi Beister bringen", sagte Fink, der fünf Minuten nach dem Wiederanpfiff für seine Geduld mit dem Letten belohnt werden sollte.

Dass Hamburgs Torjäger das Fußballspielen doch nicht verlernt hatte, bewies Rudnevs in der 50. Minute tatsächlich auf eindrucksvolle Art und Weise. Nach einer herrlichen Flanke Dennis Diekmeiers zögerte der oft hüftsteif wirkende Stürmer keine Sekunde, drehte sich in bester Ballerinamanier um die eigene Achse und drosch den Ball aus elf Metern mit einem Urknall unter die Latte. "Ein fantastisches Tor", lobte Sportchef Frank Arnesen, der erinnerte, dass es bereits Rudnevs' elfter Saisontreffer war, der für den so wichtigen Sieg in Stuttgart sorgte.

Fast wichtiger als der erlösende Siegtreffer, da waren sich nach 90 umkämpften Minuten alle Protagonisten einig, war die Defensivleistung der ganzen Mannschaft. "Die Umstellung mit zwei Sechsern im Mittelfeld war der Schlüssel zum Erfolg", sagte Kapitän Heiko Westermann, "der Gegner hatte keine Lösung." So konnte Fink auf dem studierten Statistikzettel später zwar 13 Torschüsse beim VfB ausmachen, allerdings fanden davon nur sieben ihren Weg in Richtung Tor. Und dort stand auf Hamburger Seite glücklicherweise René Adler (siehe Text unten). "Das war klasse, aber wir wissen ja, was wir an René haben", lobte Fink zurückhaltend.

Nicht ganz so zurückhaltend wollten seine Spieler die Zielsetzung für den Rest der Saison kommentieren. Erneut war es dem gewohnt angriffslustigen van der Vaart vorbehalten, die stürmische Richtung für den Saisonendspurt vorzugeben: "Wer etwas erreichen will, muss es auch aussprechen. Der Sieg war gut, um oben wieder heranzukommen", sagte der Niederländer, der innerhalb der Mannschaft mittlerweile auch Mitstreiter beim Ziel Europa League gefunden zu haben scheint. "Wir wollen mit einem Dreier gegen Augsburg in die Länderspielpause gehen und uns oben festsetzen", sagte auch Adler.

Von derartigen Zielsetzungen ist Ex-HSV-Trainer Bruno Labbadia, der zuvor zweimal gegen seine Hamburger gewinnen konnte, weit entfernt. Stuttgarts Coach musste sich nicht nur lautstarke Pfiffe, sondern auch bohrende Fragen zum Abstiegskampf gefallen lassen. Auf Rang 14 haben die Schwaben tatsächlich weniger Abstand zu einem Relegationsplatz (acht Punkte) als zu einem Europa-Platz (neun Punkte). Fink wollte seinen Kollegen bei dieser Diskussion aber nicht alleine lassen. "Ich bin mir sicher, dass der VfB noch in die Europa League einzieht", sagte er den Stuttgartern ausgerechnet das voraus, was er dem eigenen Team offiziell nicht zugestehen will. Des Rätsels Lösung: Dem VfB reicht wahrscheinlich schon ein einziger Sieg im Halbfinale des DFB-Pokals gegen den SC Freiburg, um das zu schaffen, was in Hamburg alle hoffen, aber nur wenige aussprechen: das Ticket zur Europa League.

Statistik

Stuttgart: 1 Ulreich – 24 Rüdiger, 5 Tasci, 6 Niedermeier, 15 Boka – 4 Kvist, 20 Gentner – 7 Harnik, 26 Holzhauser (ab 46. Okazaki), 16 Traore (ab 73. Macheda) – 9 Ibisevic. – Trainer: Labbadia

Hamburg: 15 Adler – 2 Diekmeier, 4 Westermann (ab 64. Rajkovic), 5 Bruma, 7 Jansen – 8 Rincon, 14 Badelj – 25 Skjelbred (ab 84. Arslan), 23 van der Vaart, 6 Aogo (ab 71. Son) – 10 Rudnevs. – Trainer: Fink

Schiedsrichter: Christian Dingert (Lebecksmühle)

Zuschauer: 40.000

Tore: 0:1 Rudnevs (50.)