Vor dem Duell Hamburg gegen Bremen analysiert der frühere Torwart Frank Rost die sportliche Situation seiner beiden ehemaligen Vereine.

Hamburg. Der 7. Mai 2009 sollte ein historischer Tag für Hamburg und für Frank Rost werden. Der Torhüter und seine Mitspieler hatten die Chance, den HSV ins erste internationale Endspiel seit dem Jahr 1983 zu führen. Nach dem 1:0-Hinspielerfolg im Uefa-Cup-Halbfinale gegen Werder Bremen standen die Chancen gut, sogar sehr gut. "Es ist nie gut, wenn immer nur über die glorreiche Vergangenheit geredet wird. Mit so einem Club nach 22 Jahren wieder etwas zu gewinnen, das wäre etwas ganz Besonderes", betonte Rost damals. Und bekanntermaßen wurde es tatsächlich historisch, aber nicht in der gewünschten Art und Weise.

Der HSV verlor mit 2:3 und scheiterte nach der Niederlage im DFB-Pokal-Halbfinale das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit am Nordrivalen. Drei Tage später verspielten die Hamburger mit dem 0:2 in Bremen in der Bundesliga auch noch eine mögliche Champions-League-Teilnahme. Trotz der erneuten Halbfinal-Teilnahme in der Europa League ein Jahr darauf gegen den FC Fulham ging es nach den traumatischen Werderwochen bergab - sportlich wie wirtschaftlich. 2009 standen die Hamburger in einem Ranking der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte noch auf Platz elf der umsatzstärksten Fußballclubs der Welt. Die 188 Millionen Euro bedeuteten einen Vereinsrekord und Platz zwei in Deutschland. Im Uefa-Ranking kletterten die Hamburger bis auf Platz 18.

Im Hier und Jetzt droht dem HSV die dritte Saison in Folge mit einem kräftigen Millionen-Minus, und sportlich versinken die Hanseaten zusehends in der Bedeutungslosigkeit. Die Uefa führt den Bundesliga-Dino gnädigerweise noch auf Platz 36. Der HSV wartet weiter auf den ersten Titel seit 1987 - nur ist er wesentlich weiter davon entfernt als noch vor vier Jahren. Die von Rost damals bewusst kritisierte Vergangenheit ist mittlerweile das Einzige, womit sich der HSV brüsten kann.

Doch das Gründungsmitglied der Bundesliga steht mit dieser Entwicklung nicht alleine da. Auch der Gegner am Sonntag (15.30 Uhr, Sky), Werder Bremen, gewann 2009 noch den DFB-Pokal, schaffte ein Jahr danach mit einem Umsatz von 126 Millionen Euro eine Bestmarke. Doch dann war es mit der Fußball-Herrlichkeit auch an der Weser vorbei. Auf dem 13. Tabellenplatz schlossen die Bremer die Saison 2010/2011 ab. Schlechter war es unter Thomas Schaaf, der seit 1999 Trainer an der Weser ist, nie gelaufen. In der folgenden Spielzeit reichte es auch nur für Rang neun. Für das Geschäftsjahr 2011/2012 schrieb der Club Verluste in Höhe von 13,9 Millionen Euro.

Rost, der verhinderte Held von 2009, hat die Entwicklung in beiden Clubs genau verfolgt. Zehn Jahre stand der heutige Trainer der HSV-Frauen bei Werder unter Vertrag, ehe er über die Station Schalke nach Hamburg wechselte. Mit Sympathie-Bekundungen ist der 39-Jährige vorsichtig: "Ich habe mich bei allen drei Vereinen, für die ich in der Bundesliga gespielt habe sehr wohl gefühlt und mich mit dem jeweiligen Klub voll identifiziert. Ich sehe mich eher als Botschafter des Fußballs." So fällt es ihm nicht schwer, die aktuelle sportliche Situation objektiv zu bewerten: "Der HSV ist noch nicht in der Lage ein Spiel über 90 Minuten konsequent zu gestalten. Es werden zu viele Chancen benötigt, um ein Spiel für sich zu entscheiden", sieht Rost noch viel Potenzial bei den Hamburgern, denen er dennoch aktuell mehr zutraut als den Bremern: "Ich glaube, im Moment verfügt Werder nicht über das Spielerpotential, um im Spitzenfeld der Liga mitzuspielen", sagt der Torhüter und wagt eine Prognose: "Ich rechne mit einem Sieg des HSV, in der jetzigen Verfassung ist Werder ohne Chance."

Natürlich gibt es eine ganze Menge von Gründen, warum der HSV und Werder nahezu im Gleichschritt von der Spitze bis ins triste Fußball-Mittelmaß durchgereicht wurden. "Sowohl der HSV als auch Werder hatten damals eine Mannschaft mit Champions-League-Format, dementsprechend war auch das Gehaltsgefüge", sagt Hamburgs Sportchef Frank Arnesen, "bleibt der sportliche Erfolg aber aus, hat der Verein ein Problem." Es ist der Hauptgrund, warum der HSV vor zwei Jahren einen ersten großen Umbruch vollzog und im vergangenen Sommer noch mal einen "Umbruch light" folgen ließ. "Wir haben vor zwei Jahren das gemacht, was Werder Bremen nun im Sommer machen musste. Vielleicht haben wir deswegen einen kleinen Vorsprung gegenüber den Bremern", sagt Arnesen.

Frank Rost wird die Entwicklung beider Clubs ganz genau verfolgen, wenn auch mit einem gewissen Abstand. Sein Betriebswirtschaftsstudium wird er in Kürze abschließen, für den Fußballlehrer-Lehrgang ist seine Anmeldung schon rausgegangen. "Es ist eigentlich nicht mein Ziel, Bundesligatrainer zu werden. Es wäre spannend, einige Leute zu finden, die die gleichen Ideen haben und mit denen mal was anders zu machen, so vielleicht Konstanz herzustellen. Ich sehe mich auf jeden Fall eher im administrativen Bereich."

Kein Wunder, dass er sich eher strukturelle Gedanken über die Zukunft seiner ehemaligen Clubs macht. "Beide Vereine sind aus unterschiedlichen Gründen in einer sehr angespannten wirtschaftlichen Situation. Sie versuchen zum Beispiel vermehrt durch verstärkte Marketingaktivitäten fehlende Einnahmen zu kompensieren. Natürlich müssen Vereine wirtschaftlich arbeiten, jedoch bin ich der Meinung, dass der Sport immer das Leitmotiv des Handelns in einem Verein sein muss. Dafür braucht es eine klare Linie und sportliche Kompetenz in der Vereinsführung. In Dortmund sieht man bei Watzke, Zorc und Klopp, dass sie eine klare, gemeinsame Vorstellung haben und danach auch handeln. Sie leben die Leidenschaft für ihren Sport vor - jeder in seinem Aufgabenbereich."

Apropos (sportliche) Leidenschaft - bei den HSV-Frauen erlebt Rost sie jeden Tag: "Ich finde es super, wenn jemand eineinhalb Stunden Fahrt auf sich nimmt, um pünktlich beim Training zu sein - ohne dass es um Geld dabei geht." Denn gewinnen wollen Rosts Damen trotzdem und immer, am 3. März sogar ganz besonders. Dann treffen die Regionalliga-Fußballerinnen auf Werder Bremen II. Und das bescheidende Ziel für diesen Tag: einfach nur ein bisschen Geschichte schreiben.