Vom Pleiteclub zum Fußballwunder: Was der HSV vor dem Nordderby gegen Werder Bremen vom deutschen Meister lernen kann

"Der HSV sollte und muss es so wie Dortmund machen." Diese Aussage war zuletzt bei der Mitgliederversammlung von beinahe jedem dritten Redner zu vernehmen. Eine Parole, die schon seit Jahren durch den Verein geistert. Der BVB war einst "klinisch tot", lag wirtschaftlich am Boden, weil die Zukunft der Westfalen mit Millionen von Schulden in den Sternen stand. Nach jahrelanger Misswirtschaft erholte sich der Verein im Rekordtempo, weil mutige Männer mit Visionen beherzt anpackten und weil die BVB-Führungscrew in prekärer Lage meistens richtige Entscheidungen traf. Genau das fanden die meisten HSV-Fans nachahmenswert, denn schließlich liegt der Traditionsclub von der Rothenbaumchaussee auch schon seit längerer Zeit finanziell am Boden. Ein Ende der Misere ist derzeit nicht absehbar.

"Macht es so wie Dortmund" - dazu gehört aber nicht nur die wirtschaftliche Seite des Bundesliga-Betriebs, sondern in erster Linie auch die sportliche Entwicklung. Der BVB hatte das große Glück, junge Leute aufzubauen, die bis dahin kaum jemand kannte. Da wurden Talente wie Götze, Schmelzer, Subotic, Sven Bender, Großkreutz, Gündogan, Kagawa, Sahin oder Lewandowski mutig ins kalte Wasser (der Bundesliga) geschmissen. Und alle starteten durch.

"Macht es so wie Dortmund." Eine Woche zurückblickend, gastierte der Meister in Bremen und gewann gegen Werder mit 5:0. Der BVB zauberte an der Weser wie in besten Tagen, er spielte von der ersten Minute an entschlossen nach vorn, bewies in nahezu jeder Situation Mut zum Außergewöhnlichen, spielte Hochgeschwindigkeits-Fußball, dribbelte nach Herzenslust im Werder-Strafraum umher, beherrschte Ball und Gegner in jeder Lage. Jeder Borusse zeigte seinem Bremer Gegenspieler, was es ausmacht, wenn ein Team auch tatsächlich als Team auftritt und wenn diese Gemeinschaft nicht nur Fußball "arbeitet", sondern wenn jeder Profi tatsächlich mit Spaß, Freude, Lust, Herz und Leidenschaft die reinsten Wunderdinge mit dem Ball vollbringen will. Und dazu auch bereit ist, seinem Nebenmann dabei zu helfen.

Dortmund spielte in Bremen den "fast perfekten" Fußball. Zu bemängeln war lediglich die Chancenverwertung. Gelegentlich übertrieb die Borussia die Liebe zum eigenen Spiel und starb mitunter in vollendeter Schönheit. Sonst hätte es am Schluss auch 8:0 oder noch höher stehen können.

"Macht es so wie Dortmund." Das möchte ich eine Woche nach dieser wunderbaren Fußball-Gala von und an der Weser dem HSV zurufen. Und dazu auch: "Macht es nicht wie in Nürnberg." Da wurde die erste Halbzeit total verschlafen und ein durchaus mögliches besseres Resultat als jenes 1:1 verschenkt.

Ich muss immer noch daran denken, was einst HSV-Profi Dennis Aogo sagte, als er von der Nationalmannschaft nach Hamburg zurückkehrte: "Die Dortmunder sind phänomenal. Die benehmen sich wie echte Freunde, ich glaube, die verbringen in Dortmund Tag und Nacht gemeinsam und halten zusammen wie Pech und Schwefel." Wohl dem Verein, der eine solche Mannschaft sein eigen nennen kann. Der Anhang des HSV wartet seit Jahren auf so ein Team. Und trotz allem kann es am Sonntag, wenn um 15.30 Uhr im Volkspark der Anstoß zur Partie gegen Werder Bremen erfolgt, nur heißen: "Macht es so wie Dortmund." Es muss ja kein 5:0 werden. Wenn Spaß, Lust, Herz und Leidenschaft von der ersten Minute an erkennbar sind, dann dürfte jeder HSV-Fan restlos zufrieden sein.

Die HSV-Kolumne "Matz ab" finden Sie täglich im Internet unter www.abendblatt.de/matz-ab