Der scheidende HSV-Aufsichtsrat Ian Karan über eigene Fehler, mangelnde Loyalität und Zukunftsfähigkeit der Basisdemokratie.

Hamburg. Im März 2011 wurde Ian Karan als Wirtschafts-Senator verabschiedet. In elf Tagen endet für den Unternehmer und Mäzen auch die Amtszeit als HSV-Aufsichtsrat. Im Abendblatt zieht Karan, 73, eine sehr kritische persönliche Bilanz. Und er erklärt, warum der ehemalige Vorstandschef Bernd Hoffmann noch heute im Amt sein könnte.

Hamburger Abendblatt: Herr Karan, bei den Wahlen zum HSV-Aufsichtsrat am 13. Januar treten Sie nicht wieder an. Welche Note würden Sie sich selbst in Ihr Zeugnis schreiben?

Ian Karan: Er war stets bemüht.

Sie sind also nicht mit sich zufrieden.

Karan: Nein, das bin ich nicht. Zum ersten Mal in meiner beruflichen Laufbahn muss ich akzeptieren, dass ich ein gestecktes Ziel nicht erreicht habe. In meiner Bewerbungsrede vor vier Jahren hatte ich angekündigt, dass ich die Fraktionen im Verein versöhnen möchte. Das ist mir nicht gelungen.

Es gab vor Ihrer Wahl 2009 einen Lagerkampf. Auf der einen Seite die Fraktion der Supporters, der mächtigen HSV-Mitgliederorganisation. Auf der anderen Seite die sogenannten Wirtschaftsweisen, neben Ihnen kandidierten der damalige UKE-Direktor Prof. Jörg Debatin, ECE-Chef Alexander Otto und der frühere Handwerkskammer-Präsident Peter Becker. Am Ende feierte Ihre Gruppe den Wahlsieg, alle Kandidaten kamen durch.

Karan: Rückblickend war dieser Triumph einer Gruppe für den Verein nicht optimal. Zwei Supporters und zwei Wirtschaftsweise - das wäre besser gewesen. So aber fühlten sich die Supporters gedemütigt, ausgegrenzt. Und der Konflikt der Supporters mit dem damaligen Vorstandschef Bernd Hoffmann wurde weiter angeheizt. Ich werfe mir persönlich vor, dass ich hier keine Brücke bauen konnte

Was meinen Sie konkret?

Karan: Wir hätten als Aufsichtsrat auf Bernd Hoffmann einwirken müssen, stärker auf die Supporters zuzugehen. Stattdessen haben gerade wir Wirtschaftsleute zu sehr auf die nackten Ergebnisse geguckt. Und wirtschaftlich betrachtet war Bernd Hoffmann höchst effektiv. Der HSV hat in seiner Ära fast immer international gespielt, teilweise sogar in der Champions League. Auch die Zahlen haben gestimmt. In ein paar Jahren wird man seine Leistung auch angemessen würdigen ...

Das sehen viele seiner Kritiker anders ...

Karan: Ich bleibe dabei, dass sein Kurs richtig war, zumindest bis zum Abgang von Sportchef Dietmar Beiersdorfer. Danach häuften sich die Fehler in der Einkaufspolitik. Hoffmann hatte jedoch ein ganz anderes Problem, das wir unterschätzt haben. Ihm fehlte die menschliche Wärme im Umgang mit den Vereinsmitgliedern. Als Vorstand eines DAX-Unternehmens ist das nicht so entscheidend. Als Chef eines Traditionsvereins braucht man aber diesen emotionalen Faktor. Daran hätten wir mit Bernd Hoffmann arbeiten müssen.

Bei der Wahl 2011 wendete sich dann das Blatt. Jetzt feierten die Supporters.

Karan: Die Arbeit im Rat wurde dann noch schwieriger. In der ersten Sitzung war die Atmosphäre geradezu vergiftet, es ging vor allem darum, alte Rechnungen zu begleichen. Wobei ich die Verantwortung dafür keineswegs nur bei den Supporters sehe. Auch wir als schon amtierende Räte haben Fehler gemacht.

Dann eskalierte der Konflikt um Bernd Hoffmann.

Karan: Dazu hätte es nicht kommen müssen, wenn wir den Vorstandschef in unserer ersten Amtsperiode besser beraten hätten. Wenn wir die tiefen Gräben im Klub hätten zuschütten können, wäre Bernd Hoffmann noch im Amt.

So aber mussten Hoffmann und Vorstand Katja Kraus im März 2011 gehen.

Karan: Was ich nach wie vor bedauere, denn beide haben sehr gut gearbeitet. Es hat mich damals sehr gewundert, wie schnell man sich hier im Rat der Meinung einer Minderheit anschloss. Denn damals wollten zunächst nur fünf der zwölf Räte eine Trennung. Solche Enttäuschungen in Sachen Loyalität habe ich sonst nur in der Politik erlebt. Allerdings ist danach die Atmosphäre im Aufsichtsrat deutlich besser geworden. Die Trennung von Bernd Hoffmann und Katja Kraus wirkte wie ein Ventil.

Was werfen Sie sich noch vor?

Karan: Ein Kardinalfehler passierte leider schon in unserer ersten Wahlperiode nach der Trennung von Sportchef Beiersdorfer im Juni 2009. Wir haben uns da leider von Bernd Hoffmann und Katja Kraus einwickeln lassen, dass es auch ohne Sportchef geht. Das hätten wir nicht zulassen dürfen.

Haben Sie zwischendurch an Rücktritt gedacht?

Karan: Mehrfach. So war ich nicht einverstanden, dass wir Beiersdorfer, der ja auf eigenen Wunsch ausgeschieden ist, eine Abfindung von einer Million Euro gezahlt haben. Auch vor meiner Wahl zum Wirtschaftssenator habe ich an Rücktritt gedacht, habe mich aber zum Weitermachen überreden lassen. Mir hätte klar sein müssen, dass diese Doppelbelastung kaum zu verkraften ist.

Ist der HSV mit seiner basisdemokratischen Struktur noch zukunftsfähig?

Karan: Ja! Der HSV ist nun mal ein Verein, der viel Wert darauf legt, dass die Mitglieder ihren Einfluss nicht verlieren. Das finde ich in Ordnung. Aber gewisse Änderungen halte ich für sinnvoll.

Welche?

Karan: Die Amtszeit sollte auf zwei Wahlperioden beschränkt werden. Vor allem aber muss der Rat verkleinert werden. Fünf, maximal sieben Mitglieder, wären ausreichend. Ich halte es für einen Anachronismus, dass Abteilungen wie die Amateure oder die Senioren Delegierte entsenden dürfen. Damit dürfen bestimmte Mitglieder zwei Mal wählen. Einmal bei ihrem Delegierten, dann bei der großen Wahl. Warum diese Zwei-Klassen-Gesellschaft?

Viele Fans befürchten, dass die Supporters bei der Wahl am 13. Januar die komplette Macht beim HSV übernehmen.

Karan: Mit diesen Ängsten kann ich wenig anfangen. Zum einen haben die Supporters als besonders engagierte und treue HSVer nun überhaupt kein Interesse, den Verein gegen die Wand zu fahren. Sie haben schon jetzt gute Leute im Rat. Zum anderen kandidieren ja auch wieder prominente Wirtschaftsleute mit sehr guten Aussichten, etwa Jens Meier, Chef von Hamburg Port Authority, Budni-Chef Cord Wöhlke und Unternehmer Jürgen Uhlemann.

Wird die Arbeit im neuen Rat leichter oder schwieriger?

Karan: Deutlich einfacher. Die Atmosphäre im HSV ist viel besser geworden. Vorstandschef Carl Jarchow wirkt integrierend, macht wie seine Kollegen Joachim Hilke, Oliver Scheel und Frank Arnesen einen guten Job. Vor allem aber hat mein Freund Alexander Otto als Aufsichtsratschef durch seine Präsenz und seinen guten Ruf für deutlich mehr Harmonie im Rat und im HSV gesorgt.

Wer sollte sein Nachfolger werden?

Karan: Ich würde mich auch freuen, wenn Manfred Ertel (Supporters-Mitglied, bislang Vize im Aufsichtsrat, d. Red.) Alexander Otto beerben würde. Ertel ist eloquent, intelligent, rhetorisch gewandt, eine gute Lösung.

Wie sehen Sie die wirtschaftliche Lage beim HSV?

Karan: Angespannt, keine Frage. Aber dieses Geschäft ist so schnelllebig. Das kann sich bei entsprechendem Erfolg rapide zum Positiven wenden.

Dennoch haben Sie als einer von drei Aufsichtsräten gegen die Verpflichtung von Rafael van der Vaart gestimmt.

Karan: Das hatte aber nichts mit seinen sportlichen Qualitäten zu tun. Er ist ja eine große Verstärkung. Aber als vorsichtiger Kaufmann war mir das finanzielle Risiko zu groß.

Herr Karan, wo sehen Sie den HSV in ein paar Jahren?

Karan: Von seinen Voraussetzungen, den Fans, dem Stadion, den wirtschaftlichen Möglichkeiten der Stadt, gehört dieser Klub einfach in die Spitze der Bundesliga. Mindestens unter die ersten fünf, eigentlich unter die ersten drei. Daran müssen wir arbeiten.