Augenzeugen der Bundesliga: Chris Norman von Smokie machte den HSV-Torjäger einst zum Schlagerstar.

Berlin. Hmm-hmm. Chris Norman summt. Hmm-hmm-mmm. "Ich glaube, es war in G." Hmmm. "D ... A-Moll ... E-Moll ... soweit ich mich erinnern kann." Hmm-hmm. Norman summt. Er sagt: "Würde ich jetzt die Gitarre zur Hand nehmen, wüsste ich's wieder."

Ist das ein Frühsommer damals, 1979, in Deutschland. Helmut Schmidt ist Bundeskanzler, eine Hose ohne Schlag keine Hose, der erste VW Golf Cabrio kommt auf den Markt, Stefanie und Christian sind die beliebtesten Vornamen, und die Hamburger sind selig. Der HSV wird zum ersten Mal seit Gründung der Bundesliga deutscher Fußball-Meister.

Durchs Mittelfeld dribbelt ein kleiner Engländer, der für sagenhafte 2,3 Millionen D-Mark vom FC Liverpool gekommen ist und in seiner zweiten Saison 17 Tore schießt. Kevin Keegan, Spitzname "Mighty Mouse", wird nicht nur zum Star der Bundesliga, er wird sogar zum Pop-Star. Und an dieser Stelle kommt Chris Norman ins Spiel.

1978. Der Engländer Chris Norman ist Frontmann der Band Smokie. Irre populär, irre erfolgreich, gesegnet mit einer irre eingängigen Reibeisenstimme. Auf ihrer Tournee gibt Smokie in diesem Jahr ein Konzert in Hamburg. Im Publikum steht auch Kevin Keegan. Nach dem Gig werden der Fußballprofi und die Musiker einander vorgestellt. Engländer unter sich. Man freut sich, man versteht sich gleich blendend, "wir hatten ein Bier zusammen", erinnert sich Norman, eins führte zum anderen, "dann sind wir an die Hotelbar gewechselt oder so und hatten noch ein paar Bier." Mit anderen Worten: Es lief.

1979, einige Monate später, ist das Treffen mit Keegan längst in Vergessenheit geraten, als Norman einen Anruf aus Köln erhält. Ein Mitarbeiter von EMI, einem der größten Plattenlabels der Welt, meldet sich unverhofft mit spannender Nachricht: "Kevin Keegan macht eine Single mit EMI." Der Mann will wissen, ob Smokie nicht Interesse hätte daran mitzuwirken, "einen Song für Keegan zu schreiben, ihn zu produzieren und aufzunehmen".

Norman hat da schon einen fertigen Song liegen, der auf "Stumblin' In" folgen sollte, seinen großen kommerziellen Solo-Erfolg an der Seite von Suzi Quatro. Der Titel heißt: "Head Over Heels In Love", zu Deutsch: "Bis über beide Ohren verliebt". Eigentlich wollte Norman ihn wieder mit Suzi Quatro singen. Doch Quatro war nicht interessiert. Und so wird Kevin "Mighty Mouse" Keegan zu dem Mann, der die Rockröhre Suzi Quatro ersetzt - und Chris Norman gleich mit.

Norman und "Smokie"-Kumpel Pete Spencer senden EMI ein Demo-Tape. Die Reaktion ist großartig. Typischer Smokie-Sound, Hitpotenzial, Keegan will. Warum? Darüber kann Chris Norman heute nur spekulieren: "Für Kevin war es eher ein kleines Experiment, ein Spaß, um mal etwas anderes zu machen und zu schauen, ob es ihm gefällt." Der Fußballstar erhält das Tape auf Kassette, er hört es auf seinem Walkman, prägt sich Melodie und Text ein.

Dann, im Frühjahr 1979, reist Chris Norman nach Hamburg. Im Rüssl-Tonstudio, das Otto Waalkes gehört, wird der gemeinsame Plan umgesetzt. "Wir hatten Spaß", erinnert sich Norman. "Von dem Moment an, in dem er im Studio stand, ging es gut voran. Sicherlich war es ein Vorteil, dass wir einander vorher schon mal getroffen hatten. Das ist immer eine große Hilfe."

Keegan, so viel wird schnell klar, ist ein eifriger Lerner, Norman muss ihm lediglich einige Details erklären. Zum Beispiel, den Kopfhörer nicht auf einer Seite vom Ohr zu nehmen, weil er sich dann nicht korrekt singen hören kann. Oder wie es mit den Betonungen am besten funktioniert. Musikprofi Norman ist mit Fußballprofi Keegan zufrieden: "Der kann den Ton halten. Ansonsten hätte ich es auch nicht gemacht."

3:00 Minuten lang wird "Head Over Heels in Love", für die B-Seite der Single singt Keegan außerdem "Move On Down" ein, ein etwas rockigeres Stück, 3:09 Minuten lang. Chris Norman sagt: "Nach einer Weile waren wir fertig, haben's gemischt - und dann kam der Song raus. Das war's."

HIER SEHEN SIE DEN KEEGAN-SONG „HEAD OVER HEALS“

Am 18. Juni 1979, die Meistersaison des Hamburger SV ist seit neun Tagen beendet, wird "Head Over Heels In Love" erstmals in den deutschen Single-Charts notiert. 15 Wochen hält sich das Lied anschließend darin, eine davon auf Platz zehn, in Keegans Heimatland England sind es bloß acht Wochen.

Seinen legendärsten Auftritt als Sänger in Deutschland hat "Mighty Mouse" am 9. Juni 1979. Es ist ein Sonnabend, am Nachmittag hat sich Hamburg durch ein 0:0 in Bielefeld den Meistertitel gesichert. Keegan ist nach Mainz zum ZDF gereist, von wo aus am Abend live das "Aktuelle Sportstudio" gesendet wird. Moderator Dieter Kürten kündigt eine Premiere für Talkgast Keegan an: "Sie haben da mit einer bekannten englischen Pop-Gruppe, den Smokies, eine sehr interessante Platte gemacht ..."

Keegan - in hautengem kanariengelbem Poloshirt und hellblauen Schlaghosen, die schwarzen Locken offen wehend - huscht flink auf die Zuschauertribüne, das Playback setzt ein, er nimmt neben einer Dame mittleren Alters Platz. Dann bewegt er die Lippen zur Musik, legt den Arm um die verschämt-geschmeichelte Frau, er hält ihre Hand, schunkelt, schmachtet, spielt mit einer Leichtigkeit wie auf dem Rasen. "Entschuldigung. Die Stimme ist nicht so gut", sagt Keegan hinterher zu der Frau. "Aber die Show ist prima", fügt Kürten an. Man stelle sich vor, Bastian Schweinsteiger würde heute nach einem Bundesligaspiel noch ins "Sportstudio" fahren und ein Liebeslied ("Du, o-ho, nur Du") singen oder Mario Götze im Mainzer Fernsehstudio "Du bist die Trophäe, die ich gern sähe" ins Mikro schmachten. "Ob der Markt dafür noch empfänglich wäre?", fragt Chris Norman rhetorisch und gibt die Antwort gleich selbst: "Damals war es eine andere Zeit. Es gab Appetit darauf. Heute verdienen die Fußballer so viel Geld, die brauchen das bisschen Extra-Taschengeld gar nicht mehr."

Eigentlich schade, oder? "Oh, ich weiß nicht", sagt Chris Norman. Dann lacht er schallend. Alles zu seiner Zeit.