René Adler empfahl sich bei seinem Gala-Auftritt gegen Borussia Dortmund für höhere Aufgaben. Der HSV-Torhüter hofft nun auf einen positiven Trend.

Hamburg. Am Ende eines durch und durch gelungenen Nachmittags ließ sich René Adler dann doch noch überrumpeln. Es bedurfte einer wahren Blitzreaktion, um unmittelbar nach dem Schlusspfiff durch den plötzlich heranspringenden Rafael van der Vaart nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten und den freudetrunkenen Niederländer sicher in die Arme zu schließen. "Ich muss gestehen, dass ich schon ein wenig überrascht war, wie schnell Rafa doch sein kann", witzelte der Torhüter ein paar Minuten später, "mit seinem Jubellauf über den halben Platz hatte ich überhaupt nicht gerechnet."

Weil Adler aber umso besser vorbereitet war auf alles, was sich zuvor im Spiel gegen Borussia Dortmund zugetragen hatte, durfte er sich mit Fug und Recht als Matchwinner feiern lassen. Machte er aber nicht. "Ich brauche hier nicht großartig über meine eigene Leistung zu referieren", wehrte der Torhüter sämtliche Gratulationen ähnlich gekonnt ab wie so viele von Dortmunds insgesamt 26 Torschüssen im Spiel zuvor, "es war ganz einfach eine sensationelle Mannschaftsleistung".

Diese Einschätzung wollten Adlers Mannschaftskollegen nach dessen Gala-Auftritt so nicht stehen lassen. "Letztendlich hat René uns natürlich die Punkte gerettet", sagte Tolgay Arslan, eine "Weltklasseleistung" bescheinigte Jubelsprinter van der Vaart dem Schlussmann, und für Marcell Jansen "ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis René wieder bei der Nationalmannschaft dabei ist".

Tatsächlich scheint sich Adler Woche für Woche immer mehr der Form anzunähern, die ihn vor seinem Verletzungsmarathon seit 2010 zu Deutschlands Nummer eins machte. Gegen Dortmund vereitelte der 27-Jährige neun Chancen, hatte die drittmeisten Ballkontakte aller Hamburger. Viel wichtiger war dem früheren Leverkusener aber ein Parameter, der sich auf keinem Statistikzettel wiederfand. "Ich fühle mich so gut wie nie zuvor in meiner Karriere", schwärmte Adler, "mir bringt es ganz einfach wahnsinnig großen Spaß hier in Hamburg."

Bis zu acht Stunden täglich hatte sich der Torwart vor seinem Wechsel zum HSV im Leverkusener Rehazentrum gequält, hatte Ausdauer- und Krafttraining absolviert, Stabilitätsübungen gemacht. Seit er im Sommer 2011 an der Patellasehne operiert wurde, waren zu 138 Bundesliga- und zehn A-Länderspielen nur noch zwei Viertligaspiele hinzugekommen, was auch mental nicht einfach zu verarbeiten war. Der Mann, der bis 51 Tage vor der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika als Deutschlands unangefochtene Nummer eins galt, war fast schon besessen von einem bescheidenen Traum: einfach wieder Bundesligafußball spielen.

Adlers Wunsch hat sich in Hamburg erfüllt. Dass der "kompletteste Torhüter überhaupt" (Adlers früherer Torwarttrainer Rüdiger Vollborn über Adler) aber derart schnell wieder an sein altes Leistungsniveau herankommt, hätte wohl kaum jemand geahnt. "René war heute wieder mal sehr gut", lobte Thorsten Fink, der sonst nur ungern ein Sonderlob ausspricht, "vielleicht sogar einen Tick besser als sehr gut." Für den HSV-Trainer war es überhaupt keine Frage, den Neuling vor der Saison umgehend auch für den Mannschaftsrat zu benennen. "René ist mehr als nur ein guter Torhüter", hatte Fink damals gesagt, "er ist ein Leader."

Aber auch der vom Trainer bestimmte Führungsspieler, der immerhin 2,7 Millionen Euro pro Jahr verdient, konnte die vier Niederlagen in den ersten vier Pflichtspielen nicht verhindern. Insgesamt zehn Tore kassierte Adler in den ersten vier Spielen, musste sich Fragen gefallen lassen, ob er seinen Wechsel zum HSV nicht bereits bereuen würde. Doch wer zwei Jahre seiner Karriere wegen eines Haarrisses in der Rippe und einer hartnäckigen Knieverletzung verpasst, wird bei sportlichen Niederlagen wohl zwangsläufig gelassener. "Diese Mannschaft hat große Qualität", hatte Adler immer wieder betont, und durfte sich im Anschluss an den erkämpften Sieg gegen Borussia Dortmund bestätigt fühlen: "Ich hoffe, dass wir mit diesem Sieg einen Trend eingeleitet haben. Wir müssen unsere Gegner auffressen. Das war genau das Spiel, das wir gebraucht haben."

Es war auch genau das Spiel, das Adler gebraucht hat. Nachdem zuletzt DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke bekräftigt hatte, dass der HSV-Keeper unter Beobachtung stehe, dürfte spätestens nach der Glanzleistung gegen Dortmund ein DFB-Comeback in den Bereich des Möglichen rücken. "René ist ein Torhüter, der fast nie einen Patzer macht", lobt Jansen seinen Zimmerpartner bei Auswärtsspielen, "er war zu Recht Deutschlands Nummer eins."

Bleibt nur die Frage, ob der Gelobte tatsächlich schon bald wieder die Nummer zwei oder drei werden kann.