HSV-Sportchef Frank Arnesen verteidigt seine Einkaufs- und Verkaufspolitik und wehrt sich gegen Mutmaßungen, er sei intern entmachtet.

Hamburg. Frank Arnesen wirkt gehetzt. Die Anstrengungen der vergangenen Wochen bis zum Ende der Transferperiode am 31. August zeichnen sich noch in seinem Gesicht ab. Dennoch präsentierte sich der zuletzt in die Kritik geratene HSV-Sportchef gestern kämpferisch und nahm sich über eine Stunde Zeit, zu jedem Vorwurf Stellung zu beziehen.

Vorwurf 1: Der Verein musste nach dem Pokal-Aus und dem Liga-Fehlstart die Versäumnisse der Transferperiode teuer aufarbeiten und hohe Ablösesummen bezahlen. "Nein. Wir hatten einen langen Prozess in den Entscheidungen. Wir wussten, was wir brauchten und auch, dass Milan Badelj erst am Monatsende kommt. Wir haben uns vor ein paar Wochen zusammengesetzt und überlegt, ob wir nicht finanziell ein kalkuliertes Risiko eingehen wollen. Ich bin kein finanzielles Genie, dafür sind andere Vorstandsmitglieder verantwortlich. Aber ich hatte das vorher schon einmal angesprochen, dass wir ein kalkulierbares Risiko eingehen müssten, um nicht nur einen, sondern zwei oder sogar drei Schritte nach vorn gehen zu können. Aber es gab im Mai vom Aufsichtsrat ein Nein und die klare Marschroute, dass wir erst Spieler verkaufen müssten, um welche kaufen zu können. Daran habe ich mich gehalten. Aber das hat sich vor drei Wochen wieder geändert. Zum Glück. Und da wir alles darangesetzt haben, Rafael van der Vaart zu holen, konnten wir in der Zwischenzeit ja nicht einfach einen anderen Zehner holen. Wir glauben, dass wir jetzt einen Kader haben, der besser ist als vergangene Saison. Für uns war das eine fantastische Transferperiode. Ich bin sehr zufrieden mit dem Kader."

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Vorwurf 2: Der Verein hat erst einen Sparkurs proklamiert, dann aber in der letzten Woche für Jiracek und van der Vaart 17 Millionen Euro ausgegeben - und so die Öffentlichkeit getäuscht. "Überhaupt nicht. Nach dem Fehlstart ist die Kritik in Ordnung. Aber wir wussten, dass wir in einer gewissen Kategorie keine Spieler verpflichten können. Mit Nicklas Bendtner habe ich immer wieder gesprochen, aber er wollte eben international spielen. Das können wir nicht bieten. Deshalb bin ich froh, dass wir Rafael haben, weil er ein internationaler Topspieler ist. Das wäre aber ohne externe Hilfe nie gegangen."

Vorwurf 3: Der Kader wurde zu spät zusammengestellt, was auch HSV-Vorstandsvorsitzender Carl Jarchow im Abendblatt monierte. "Wir hätten die Neuen auch gern früher bei uns gehabt. Aber wir konnten das nicht, wir hatten vor einem Monat kein Geld. Das ist Fußball. Aber sehen Sie mal, wie viele Transfers in den letzten Stunden noch über die Bühne gegangen sind. Auch bei uns. Ich verstehe die Fans, aber letztlich war es positiv für uns, so lange für Rafael van der Vaart zu warten. Was passiert wäre, wenn wir Jiracek und van der Vaart nicht hätten? Sie sind da! Punkt. Nur das zählt. Dass wir trotzdem intern analysieren, was bei uns gut war und was nicht, ist klar."

Vorwurf 4: Arnesen wurde intern schon entmachtet und ist nicht mehr der starke Mann für das operative Geschäft. "Ich weiß nicht, ob ich der Stärkste bin. Ich bin kein Superman. Aber ich bin der Sportchef und treffe die sportlichen Entscheidungen, was neue Spieler betrifft. Alle Spieler, die kommen, kommen von mir. Ich kann nur darüber lachen, wenn jetzt Leute daraus ein Problem machen, dass bei uns am Ende jemand anderes als ich die Vertragsverhandlungen gemacht hat. Ich lache, wenn ich höre, ich hätte mit dem Transfer von van der Vaart nichts mehr zu tun gehabt. Das machen nur Leute, die wollen, dass es bei uns Probleme gibt.

Uns geht es intern aber nur darum, wie wir am besten ans Ziel kommen. Ich mache die sportlichen Vorschläge in Absprache mit dem Trainer - und wie der Spieler letztlich kommt, ist egal. Hauptsache, er kommt. Da dürfen keine Egos zählen. Wir sind intern nicht immer einer Meinung - aber Beschlüsse treffen wir nur zu viert. Ich habe zu Hause auch Probleme und bin trotzdem seit 36 Jahren verheiratet. Wir machen alles zusammen, und zwar immer so, wie es am sichersten zum Ziel führt.

Als es um Jiracek und den VfL Wolfsburg ging, habe ich Carl Jarchow gesagt, er möge nach meiner Vorgeschichte mit Felix Magath besser die Gespräche mit meinem 'Freund' führen. Weil es strategisch cleverer ist. In der Angelegenheit van der Vaart hatte ich vorher mit Spieler und Berater gesprochen, ehe Joachim Hilke den Kontakt zu Klaus-Michael Kühne und die Verhandlungen übernahm."

Vorwurf 5: Hoffnungsvolle Talente können nicht entwickelt werden, weil andere (ungewollte) Spieler nicht abgegeben wurden. "Wir haben viele junge Leute, die das Potenzial haben. Denen wollen wir die Möglichkeit geben, Spielpraxis zu sammeln. Wir haben aber noch mehr Spieler, die bei uns unter Vertrag stehen. Wir haben mit den Spielern gesprochen und ihnen nahegelegt, den Verein zu wechseln. Wir haben immer gesagt, dass wir noch Neue holen würden. Aber wenn ein Spieler nicht gehen will, seine Chance sieht und nutzen will, ist das so. Wir hatten und haben Angebote für Spieler, die aber nicht in die Türkei, die Ukraine oder nach Russland wollten. Ein Robert Tesche ist beispielsweise sehr gern hier und glaubt fest daran, dass er spielen kann. Das ist legitim. In einigen Ländern sind zwar noch drei Tage Transferfrist - aber ich glaube nicht daran, dass noch jemand geht. Generell ist es mir auch lieber, wenn Spieler bleiben wollen.

Zum Vergleich: Im vergangenen Sommer wollten fünf Spieler weg, dieses Jahr keiner. Es ist ja auch schön hier. Es liegt an mir und Thorsten Fink, uns abzusprechen, wie wir mit dem Kader umgehen. Wir werden in den nächsten 14 Tagen unsere Strategie bis zum Winter festlegen. Dabei ist nichts ausgeschlossen. Auch nicht, dass Spieler in die zweite Mannschaft rücken. 29 Spieler sind zu viel. Wir wollen 25 Spieler im Kader haben. Inklusive drei Torhüter."