HSV-Kapitän Heiko Westermann über mangelnde Identifikation von Profis mit ihren Klubs

Hamburg. Es ist noch gar nicht so lange her, da joggte Heiko Westermann mit Manuel Neuer um die Alster. "Es war viel los an diesem Sonntag", erzählt der Kapitän des HSV, "aber stellen Sie sich vor: Wir sind nicht ein einziges Mal angesprochen worden. Das wäre in Gelsenkirchen undenkbar. Da wirst du die ganze Zeit angequatscht, geflachst."

Nach seinem Wechsel im Juli 2010 vom FC Schalke 04 zum HSV sind diese Erinnerungen noch immer frisch. Auf Schalke werde der Fußball anders gelebt als hier, schließlich gebe es dort auch nichts anderes, sagt der 28-Jährige vor dem Wiedersehen mit seinem ehemaligen Klub am Sonntag. Daraus zu schließen, dass er mit den Hamburger Gewohnheiten noch etwas fremdelt, wäre jedoch falsch. Gerade während der jüngsten Krise ist die Bindung zum HSV und dessen Anhängern gewachsen. "Man merkt, dass die Menschen wirklich mitfiebern, so eine Unterstützung habe ich noch nirgendwo wahrgenommen, auch nicht in Gelsenkirchen. Ich hatte das Gefühl, die ganze Stadt freute sich, dass wir in Stuttgart endlich mal wieder gewonnen haben." Mit den Fans hält er regelmäßig Kontakt, zuweilen sogar privat: "Diese Verbindung zwischen der Mannschaft und den Anhängern wurde in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Diese Phase zusammen durchzustehen ist enorm wichtig."

Westermanns Start beim HSV war holprig, als Kapitän wurde er das Gesicht für den Abschwung. Ausgerechnet Westermann, der sich jetzt schon viel mehr mit dem Klub identifiziert als viele andere Profis. "Mich erinnert der HSV an meine Kindheit in Schimborn in Aschaffenburg", sagt Westermann. "In diesem Dorf mit seinen 2000 Einwohnern gab es viele Gladbach-, aber auch HSV-Fans. Dieser große Verein wird gerade in der Öffentlichkeit viel schlechtergeredet, als er ist."

Ein Begriff wie Tradition ist für ihn kein Fremdwort. "Bei der Wahl meiner Vereine war es mir immer wichtig, dahinterstehen zu können. Nichts gegen Wolfsburg, aber dorthin könnte ich nicht gehen." Mit Argwohn betrachtet Westermann allerdings, dass diese Tugenden bei der jüngeren Generation kaum noch eine Rolle spielen. "Heute ist das Geschäft sehr schnelllebig geworden, im Grunde weißt du gar nicht mehr, was in einem halben Jahr ist. Und natürlich spielt Geld auch eine große Rolle, vor allem bei den jüngeren Spielern", kritisiert er. "Wenn ein Junger bei einem anderen Verein eine halbe Million Euro mehr verdienen kann, wechselt er lieber und lässt die möglichen Konsequenzen völlig außen vor. Vielleicht ginge es ihnen bei ihrem Klub um Klassen besser, aber sie denken eher an das Geld als daran, ob sie spielen."

Westermann versucht, seine Führungsrolle zu erfüllen, indem er mit den Youngstern spricht und ihren Willen schärfen möchte, sich in der Trainingsarbeit zur Topleistung zu quälen: "Mir ist wichtig zu vermitteln, auch im Training jedes Spiel gewinnen zu wollen. Wer dort nicht 100 Prozent leistet, bringt sie auch im Spiel nicht."

Westermann (Vertrag bis 2015) gibt zu, dass er sich seine Zeit beim HSV anders vorgestellt hat, obwohl Hamburg die schönste Stadt sei, in der er je gelebt habe: "Die Familie fühlt sich wohl, aber erst, wenn sich der Erfolg einstellt, ist alles perfekt." Und weglaufen, das kann sich einer wie Westermann sowieso nicht vorstellen: "Wenn ich mich beim HSV wohl fühle, lasse ich viele Sachen dafür liegen. Woanders viel mehr Geld zu verdienen, aber nicht glücklich zu sein, das fiele mir schwer."