HSV-Trainer Armin Veh will und muss seine Abwehr beim Spiel gegen den 1. FC Kaiserslautern umstellen: Tomas Rincon für Guy Demel.

Hamburg. Mit den Unterschieden zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist das immer so eine Sache. So führte HSV-Trainer Armin Veh seiner Mannschaft am Mittwoch nach dem Vormittagstraining in einer knapp einstündigen Videopräsentation vor, wie er sich in Zukunft das bisher eher mangelhafte Defensivverhalten seiner Profis vorstellt. Als Anschauungsunterricht dienten unter anderem Szenen aus dem Champions-League-Achtelfinale der Saison 2006/07 zwischen dem FC Liverpool und dem FC Barcelona. Es sei beeindruckend gewesen, wie die disziplinierten Engländer die virtuosen Ballkünstler aus Spanien im Griff hatten, schwärmte Veh. Das Zusammenspiel in Liverpools Viererkette sei beispielhaft. So weit der theoretische Anspruch.

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Die praktische Wirklichkeit sieht aktuell leider ganz anders aus. Zehn Gegentreffer musste der HSV in den ersten sechs Saisonspielen hinnehmen, gerade mal fünf Bundesligateams weisen eine noch schwächere Bilanz auf. In den vergangenen zwei Spielen gegen Bremen und Wolfsburg kassierte der HSV insgesamt sogar sechs Tore, an denen jeweils mindestens ein Vertreter aus der Viererkette direkt beteiligt war. "Wir müssen uns taktisches Fehlverhalten in den vergangenen Spielen vorwerfen lassen", mahnt Sportchef Bastian Reinhardt, "wir haben zuletzt die Fehlerkette nicht unterbrechen können."

Und tatsächlich deckt die Fehleranalyse schonungslos die Schwachstellen in der Viererkette auf. So war Linksverteidiger Marcell Jansen, der in Bremen von Zé Roberto abgelöst wurde, gegen Wolfsburg an allen drei Gegentreffern beteiligt, Rechtsverteidiger Guy Demel verhinderte eine Flanke nicht, Joris Mathijsen kam beim Führungstreffer zu spät und ließ sich beim 3:1 von Grafite austanzen.

Gegen Bremen fälschte Demel den Ball beim ersten Tor unhaltbar für Torhüter Frank Rost ab, beim dritten Gegentreffer vergaß der Ivorer, ins Zentrum zu rücken. Und die Innenverteidiger Heiko Westermann und Mathijsen durften sich die Schuld beim zweiten Treffer gegenseitig in die Schuhe schieben, als Bremens Hugo Almeida so frei zum Kopfball kam, als ob er am Vorabend in Knoblauch gebadet hätte. "Hinten fehlt uns die letzte Konsequenz", kritisiert Veh, der seiner Viererkette nach sechs Spieltagen kein positives Zwischenzeugnis ausstellt.

Das Zusammenspiel in der Viererkette passt noch nicht zusammen

Erstaunlich formschwach präsentiert sich ausgerechnet Neuzugang Heiko Westermann, der als Kapitän die Abwehr dirigieren soll. "Wir dürfen in der Vorwärtsbewegung kein Harakiri spielen", sagt der 7,5-Millionen-Euro-Mann, der sich selbst von der Kritik nicht ausnehmen will. Immerhin hat Westermann das erste Bremer Tor durch einen unnötigen Ballverlust im Mittelfeld ähnlich dilettantisch eingeleitet wie später der stark kritisierte Piotr Trochowski den Treffer zum 2:3. "Heiko darf nicht durch das Mittelfeld laufen und gleich zweimal den Ball verlieren", bemängelt deswegen auch Trainer Veh, der besonders von seinen beiden defensiven Führungsspielern Westermann und Mathijsen eine deutliche Leistungssteigerung erwartet: "Wir dürfen uns diese dummen Fehler vor unseren Gegentoren zukünftig nicht mehr erlauben."

Aus Mangel an Alternativen hält Veh aber auch im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern (Sa, 15.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) an seinen formschwachen Innenverteidigern fest, bei den Außenverteidigern will und muss der Trainer dagegen wechseln. So soll Tomas Rincon den ohnehin kränkelnden Demel (Magen-Darm-Virus) auf der rechten Seite ersetzen, Zé Roberto soll - wie schon gegen Bremen - den ebenfalls gesundheitlich angeschlagenen Jansen (Stirnhöhlenentzündung) hinten links vertreten. Sowohl Jansen als auch Demel haben gestern pausiert, ob sie überhaupt im Kader stehen, soll sich erst heute entscheiden.

Unabhängig von den beiden Wechseln in der Viererkette versuchen alle Protagonisten zu betonen, dass nicht nur die Abwehr schuld sei an der derzeitigen Defensivmisere. "Die ganze Mannschaft muss besser nach hinten arbeiten", fordert David Jarolim, Westermann sagt, dass "sich niemand aus der Defensivarbeit ausklinken darf", und Reinhardt glaubt, dass der Erfolg erst dann wieder eintritt, "wenn alle konsequent nach hinten arbeiten".

Das Defensivverhalten der gesamten Mannschaft steht auf dem Prüfstand

Dass aber der theoretische Anspruch noch keinen praktischen Erfolg garantieren kann, bewies ausgerechnet der von Veh gepriesene FC Liverpool. Denn selbst die so gelobte englische Abwehr hielt gegen den drückenden FC Barcelona nur bis zur 75. Minute durch. Dann erzielte Eidur Gudjohnsen das Tor des Tages. Den Gegentreffer konnten die Engländer allerdings gut verschmerzen, nachdem Barcelona im Hinspiel nur 2:1 gewinnen konnte. Das Ende der Geschichte: Dank ihrer Top-Abwehr erreichte Liverpool sogar das Endspiel gegen den AC Mailand, verlor damals aber 2:1. Den Engländern blieb nur die Erkenntnis, dass Anspruch und Wirklichkeit manchmal eben doch nicht so weit auseinanderliegen.