Der derzeit verletzte HSV-Verteidiger warnt vor den Folgen des ständig wachsenden Drucks im Geschäft Bundesliga-Fußball.

Hamburg. Wie kann man etwas Unerklärliches erklären? Bastian Reinhardt, der derzeit die Folgen seines Mittelfußbruchs auskuriert und gleichzeitig in der Presseabteilung des HSV hospitiert, hat auf diese Frage keine Antwort. Und trotzdem versucht der HSV-Profi, der mit Jörg Neblung denselben Berater wie Robert Enke hat, im Abendblatt über den unerklärlichen Tod des Nationaltorhüters zu sprechen.

Abendblatt: Herr Reinhardt, können Sie Robert Enkes Freitod mittlerweile begreifen?

Bastian Reinhardt: Wirklich begreifen kann man so etwas wohl nie. Es war und ist ein riesiger Schock, den man nicht so einfach in Worte fassen kann. Ich kannte Robert über unseren gemeinsamen Berater Jörg Neblung.

Abendblatt: Neben vielen anderen Fragen wirft Enkes Tod vor allem eine auf: Warum? Haben Sie für sich mittlerweile eine Antwort gefunden?

Reinhardt: Rational kann man das nicht begreifen. Ein Erklärungsansatz könnte die schlimme Krankheit sein, an der Robert litt. Auch ich kenne Menschen, die unter Depressionen leiden. Deswegen weiß ich auch, was für eine heimtückische Krankheit das ist, die unbehandelt sehr gefährlich werden kann - so gefährlich, dass man sich am Ende sogar das Leben nehmen will.

Abendblatt: Mehr als vier Millionen Deutsche sollen an Depressionen leiden, im Fußball wird die Krankheit aber totgeschwiegen. Warum dürfen Fußballer keine Schwäche zeigen?

Reinhardt: Als Fußballer hat man stark zu sein, man muss Leistung bringen. Jeder ist so viel wert, wie es der Marktwert aussagt. Wer Schwäche zeigt, verliert an Marktwert.

Abendblatt: Enkes Witwe Teresa deutete an, dass Ihr Mann Angst hatte, sich öffentlich zu seiner Erkrankung zu bekennen. Ist diese Angst verständlich?

Reinhardt: Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Als Stammspieler hat man vielleicht Angst, seinen Stammplatz zu verlieren. Als Nationalspieler hat man Angst, nicht mehr nominiert zu werden, und als Leistungsträger hat man Angst, die Erwartungen nicht mehr zu erfüllen. Als Fußballer steht man unter einem permanenten Druck. Wenn man gesund ist, kann man diesem Druck standhalten. Aber leider war Robert offensichtlich nicht gesund.

Abendblatt: Was kann ein Verein machen, um seine Profis zu unterstützen?

Reinhardt: Da ist natürlich jeder gefragt. Was kann man tun, damit der Kollege über seine Ängste und Sorgen spricht? Was kann man tun, damit sich auch Fußballer helfen lassen? Sportpsychologie ist ein sehr weites Feld, das immer wichtiger wird. Ich kann mir schon vorstellen, dass jeder Bundesligaverein irgendwann mal einen Psychologen im Trainerstab beschäftigt.

Abendblatt: Würde ein Psychologe im Trainerstab helfen?

Reinhardt: Ich halte das zumindest für überdenkenswert. Allerdings darf so eine Maßnahme nicht zum Ziel haben, wie die Spieler noch mehr Leistung aus sich rausholen können. Im Gegenteil. Die psychologische Betreuung kann nur zum Ziel haben, Probleme an der Wurzel zu bekämpfen, dem Menschen und nicht dem Fußballer zu helfen.

Abendblatt: Würde psychologische Hilfe von den Spieler angenommen werden?

Reinhardt: Das ist natürlich ein sehr sensibles Thema. Sicherlich würde nicht jeder Profi öffentlich dazu stehen. Aber man muss so etwas als Verein ja auch nicht an die große Glocke hängen. Ich glaube schon, dass viele Spieler sich darauf einlassen würden.

Abendblatt: Wurde Ihnen schon mal psychologische Hilfe angeboten?

Reinhardt: Ja. Das war in einer Phase, als unser Team mitten im Abstiegskampf steckte und enorm unter Druck stand.

Abendblatt: Haben Sie das Angebot angenommen?

Reinhardt: Nein, weil dieses Thema für meinen Geschmack zu offen gehandhabt wurde. Ich konnte nicht wirklich mit der Art und Weise umgehen, wie der Psychologe in der Mannschaft auftrat. Ich konnte einfach keine Beziehung zu ihm aufbauen. Aber Vertrauen ist nun mal sehr wichtig.

Abendblatt: Der HSV war auf einem Abstiegsplatz, und Sie haben damals am letzten Spieltag der Hinrunde in der letzten Minute ein entscheidendes Eigentor zum 3:3 gegen Aachen geköpft. Haben Sie - unabhängig vom Vereinspsychologen - darüber nachgedacht, sich professionelle Hilfe zu nehmen?

Reinhardt: Ich habe darüber nachgedacht, aber gemacht habe ich es nicht. Das ist vielleicht auch die große Gefahr: Dass jeder meint, man könne mit derartigen Negativerlebnissen auch gut alleine zurechtkommen. Aber manchmal geht das eben nicht mehr.

Abendblatt: Ist es vielleicht das, was man aus dem Freitod Enkes lernen kann?

Reinhardt: Jeder muss das natürlich immer für sich selbst entscheiden. Aber vielleicht hilft Roberts Tod ein wenig, dass die Gesellschaft sensibilisiert wird. Das ist kein Trost, aber einen Trost kann es für Roberts Tod nicht geben.