Sportchef Frank Arnesen hofft auf Verstärkungen für den HSV aus Südamerika. Brasilianer brachten dem Klub bisher nur bedingt Glück.

Hamburg. Am vergangenen Wochenende durfte Frank Arnesen das derzeit größtmögliche Fußballspektakel auf der Insel noch einmal hautnah erleben. Guten Gewissens konnte der designierte HSV-Sportchef am Sonntag das Top-Spiel der Premier League zwischen Manchester United und dem FC Chelsea verfolgen, nachdem er sich bereits vor Wochen damit abfinden musste, von Chelseas Patron Roman Abramowitsch keine vorzeitige Freigabe vor dem Ende der englischen Saison für den HSV zu bekommen. Tatort Old Trafford: der Erste gegen den Zweiten, der Vizemeister gegen den Meister. 74 445 Zuschauer sahen ManUs 2:1-Sieg, der nicht nur für Arnesen lediglich ein Fazit zulässt: Mehr Fußball geht nicht.

Spätestens vom 22. Mai an muss sich Arnesen schließlich vom ganz großen Fußball auf der Insel verabschieden. Dann erwartet den 54-Jährigen der Alltag in Hamburg, und um diese Aufgabe muss man ihn wirklich nicht beneiden. Neben dem aktuellen Bundesligakader und dem Nachwuchsleistungszentrum will Arnesen vor allem die Scoutingabteilung radikal umstrukturieren. An der Seite Lee Congertons, der als neuer Technischer Direktor formal für die Sichtungsabteilung zuständig ist, bringt Arnesen auch Bjarne Hansen (Skandinavienscout), Jan Ricka (Tschechienscout), seinen Sohn Sebastian (Scout für Belgien und die Niederlande) und Steve Houston (Administrator) von der Themse mit an die Elbe. Was aus dem bisherigen Chefscout Christofer Clemens sowie dessen Kollegen Michael Schröder wird, ist noch nicht geklärt. Sicher ist aber, dass neben Großbritannien und dem europäischen Festland erstmals auch nachhaltig in Südamerika nach zukünftigen Zé Robertos gesichtet werden soll.

"Die brasilianische Liga hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2014 haben die meisten Klubs ihre Strukturen professionalisiert", sagt HSV-Chef Carl-Edgar Jarchow, der hofft, in mittelfristiger Zukunft durch Arnesens Kontakte einen genauen Überblick über den brasilianischen Markt zu bekommen. Dabei wollen sich Hamburgs Verantwortliche auch nicht von den Sünden der Vergangenheit abschrecken lassen. So hatte es bereits unter Ex-Sportchef Dietmar Beiersdorfer einen ersten, letztendlich erfolglosen Versuch gegeben, einen Fuß in die Tür zu den brasilianischen Toptalenten zu bekommen. Die vor drei Jahren geholten Thiago Neves und Alex Silva gaben nur ein kurzes, aber kostspieliges Gastspiel in Hamburg. Mehr als acht Millionen Euro haben 80 Prozent der Transferrechte für Neves, knapp 6,6 Millionen Euro 50 Prozent der Transferrechte an Silva gekostet. Und obwohl Innenverteidiger Silva formal dem HSV gehört und nur in die Heimat verliehen ist, muss der HSV noch immer mehr als zwei Millionen Euro an São Paulo überweisen. Ein teurer Türöffner.

Dass es auch anders geht, hat Arnesen vor allem in seiner Zeit als Sportchef des PSV Eindhoven bewiesen. Damals holte der polyglotte Skandinavier, der fließend Spanisch und mit Abstrichen auch Portugiesisch spricht, unter anderen einen gewissen Luís Nazário de Lima, der Welt besser als Ronaldo bekannt, nach Europa. "In der Szene weiß jeder, dass Frank Arnesen ein exzellentes Netzwerk weltweit und besonders gute Kontakte in Brasilien hat", sagt einer, der es wissen muss: Leverkusens Chefscout Norbert Ziegler.

Der 58-jährige Ex-Profi, der bereits 18 Profis aus Brasilien zum vorletzten HSV-Saisongegner lotste, ist der wohl am meisten anerkannte Südamerika-Experte Deutschlands. Obwohl Ziegler eine sehr hohe Meinung vom wohl wichtigsten HSV-Neuzugang dieses Sommers hat, glaubt er nicht daran, dass Arnesen alleine für einen neuen Brasilien-Boom in Hamburg sorgt. "Der brasilianische Markt ist noch immer hochinteressant, allerdings sehr viel schwieriger zu beherrschen als früher", sagt Ziegler, der vor allem das zügellose Wettbieten solventer Vereinschefs aus Osteuropa als Problem für seriöse Talentsichter ausgemacht hat. So stehen alleine 15 Brasilianer bei Schachtjor Donezk, Dynamo Kiew und Metalist Charkow, den führenden drei Teams der ukrainischen Premier Liga, unter Vertrag. "Viele Vereine suchen nicht mehr positionsbezogen, sondern kaufen wahllos den Markt leer. So gehen die Preise natürlich unverhältnismäßig nach oben", sagt Ziegler, der trotzdem noch einen Mitarbeiter in Curitiba vor Ort hat.

Als Konsequenz lässt Ziegler seine Scouts nicht mehr nur in Südamerika, sondern in der ganzen Welt suchen. Dabei hält der Leverkusener besonders den asiatischen Transfermarkt für einen Markt der Zukunft. Unabhängig von der Herkunft ist für Ziegler aber vielmehr das individuelle Profil jedes Talents entscheidend. So ordnet er alle potenziellen Neuzugänge in ein Kategoriensystem zwischen null und zehn Punkten ein. Erreicht einer der Kandidaten beispielsweise in der Kategorie Willensstärke nicht mindestens 8,5 Punkte, hat er in Leverkusen keine Chance. "Von den sportlichen Qualitäten von Neves und Silva waren auch wir zu 100 Prozent überzeugt", sagt Ziegler, "wir hatten nur unsere Zweifel, ob sie tatsächlich auch den Willen haben, sich in Europa durchzusetzen."

Charakterstarke Spieler hofft Ziegler in Kürze beim U-20-Turnier in Toulan zu finden. Trotz der großen Konkurrenz aus Osteuropa gehört für ihn aber auch die Copa América in diesem Sommer zum Pflichtprogramm. Und über ein Treffen im fernen Argentinien mit Hamburgs designiertem Sportchef Frank Arnesen würde sich Ziegler keineswegs wundern.