Nach dem 15. Pflichtspielsieg in Folge steht Löw zum vierten Mal im Halbfinale. Doch das reicht ihm nicht. Hält er an Schweinsteiger fest?

Danzig. Von Daniela Löw ist in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt. Sie lacht viel, trägt ihre blonden Haare gerne offen und ist seit 1986 verheiratet. Seit diesem Wochenende weiß man über die Frau an der Seite von Joachim Löw noch etwas: Sie muss sehr geduldig sein. Denn während die extra eingeflogenen Spielerfrauen mit ihren Männern den freien Sonntag genossen, einen Stadtbummel durch Danzig oder Sopot machten und einfach mal die Seele baumeln ließen, musste Daniela Löw auch gestern größtenteils auf ihren strebsamen Gatten verzichten. Im Teamhotel Dwor Oliwski wollte Löw das erfolgreiche Viertelfinale gegen Griechenland noch einmal detailliert analysieren, ehe er sich am Abend mit seinem Trainerteam den Halbfinalgegner anschaute. Seine bessere Hälfte, das ist sie nach 26 gemeinsamen Ehejahren nicht anders gewohnt, hatte zu warten.

Ob ihr viel beschäftigter Jogi deswegen nun ein guter oder weniger guter Ehemann ist, muss allein Ehefrau Daniela beurteilen. Ein guter Trainer ist Löw ohne Zweifel. Ein sehr guter sogar.

So staunte die Fachwelt am Wochenende noch immer über Löws Mut, seine dreimal in Folge siegreiche Mannschaft beim Viertelfinalspiel gegen Griechenland auf insgesamt vier Positionen umzubauen. "Der Herr Löw hat einige sehr gute Entscheidungen getroffen", sagte Griechenlands Trainer Fernando Santos anerkennend. Mit Mario Gomez, Lukas Podolski und Lars Bender setzte Löw neben Thomas Müller sogar sämtliche Torschützen der Vorrunde auf die Bank. "Die Umstellungen von Joachim Löw waren auf den ersten Blick überraschend. Aber bei genauerer Betrachtung sehr durchdacht, fundiert und auch berechtigt", lobte Chefkritiker Günter Netzer in der "Bild am Sonntag". Bei einer Niederlage gegen Griechenland, das weiß Löw wie kein Zweiter, wäre es an gleicher Stelle wahrscheinlich um seinen Job gegangen. Er hatte hoch gepokert. Volles Risiko. Und er wurde belohnt.

15 Pflichtspielsiege der Nationalelf in Folge

Und nun Italien: So tickt Deutschlands Halbfinal-Gegner

Als der Bundestrainer am späten Freitagabend gefragt wurde, ob der vierfache Personalwechsel die mutigste Entscheidung seiner Karriere gewesen sei, antwortete er nonchalant: "Nein, sonst hätte ich es vielleicht nicht gemacht. Aber irgendwie war heute die Zeit reif für eine Veränderung. So etwas spürt man." Dabei konnte man dem sonst so gelassenen Badener im Spiel zuvor sehr wohl anmerken, dass bei dieser Partie für ihn mehr als sonst auf dem Spiel stand. Löw gestikulierte, jubelte, klatschte und schimpfte wie selten zuvor. Als Marco Reus in der 25. Spielminute die vierte hochklassige Chance innerhalb von vier Minuten vergab, konnte es der 52-Jährige nicht mehr aushalten. Er brüllte, ruderte mit den Armen - und war plötzlich weg. Erst nach einer halben Minute kam Löw wieder aus dem Spielertunnel, der in die Katakomben des Stadions führte, zurück. "Leider hatte ich keine Zeit einen Espresso zu trinken, weil wir ja schon wieder die nächste Chance vergaben", witzelte der Wahl-Freiburger später.

Natürlich konnte der Fußballlehrer den Triumph im Nachhinein mehr als entspannt Revue passieren lassen. Es war nicht nur ein beeindruckender Erfolg - es war vor allem Löws Erfolg. Der 15. Pflichtspielsieg in Folge (siehe Infokasten) bedeutete neben einem Weltrekord auch den vierten Einzug in ein EM- oder WM-Halbfinale unter seiner Führung in Folge, 2006 noch als Co-Trainer. Das ist zuvor lediglich Helmut Schön gelungen. "Das ist schon eine herausragende Leistung", sagte der Gefeierte, der sich mit diesen Superlativen aber noch lange nicht zufriedengeben will. Von Beginn an hatte er den Titel als Ziel ausgegeben, und daran will weder er noch einer seiner Spieler so kurz vor der Ziellinie etwas ändern. "Der Titel geht nur über Deutschland", kündigte Reus selbstbewusst nach seiner EM-Premiere an (siehe Seite 21).

In Europa hat daran ohnehin kaum jemand mehr einen Zweifel. "Ich habe vor der Auslosung gesagt, dass Deutschland und Spanien die Topfavoriten sind", sagte Griechenlands Santos, "und Deutschland hat im bisherigen Turnierverlauf mehr als eindrucksvoll bewiesen, dass ich zumindest mit dieser Einschätzung recht hatte." So sei bei kaum einer anderen Mannschaft weltweit die Handschrift des Trainers so deutlich zu erkennen wie bei Löws Team.

Innerhalb der Mannschaft hat sich der Gepriesene längst einen Status des Unantastbaren erarbeitet. "Er hat einen genauen Plan, eine genaue Philosophie. Die wird uns jeden Tag eingetrichtert, in jedem Training und in jeder Videositzung", sagt etwa André Schürrle, und Sami Khedira ergänzt: "Wir vertrauen dem Trainer zu 100 Prozent. Wir vertrauen ihm fast schon blind." Wenn also Löw am Donnerstag beim Halbfinale in Warschau plötzlich Tim Wiese ins zentrale Mittelfeld beordern würde, gäbe es wohl nur wenig Widerworte.

Er wird das natürlich nicht machen. Statt Wiese wird Löw weiterhin Mesut Özil vertrauen. Die einzige Personalie, über die er in den kommenden Tagen bis zur Abreise nach Warschau am Mittwoch tatsächlich etwas intensiver nachdenken muss, ist Bastian Schweinsteiger. Als Trainer nimmt man schließlich nicht so ohne Weiteres seinen zentralen Führungsspieler aus der Partie, auch wenn sich dieser bislang mehr schlecht als recht durch das Turnier quält. Doch anders als die meisten seiner Vorgänger könnte es sich Löw selbst bei Schweinsteiger ohne großen Aufschrei leisten, ihn auszutauschen. Er würde es einfach machen, anschließend gut begründen, und keiner wäre ihm böse - nicht einmal Schweinsteiger selbst. Ob Löw das aber wirklich macht oder nicht, hat er noch nicht entschieden. Keinen Zweifel gibt es, dass er - egal ob so oder so - die richtige Entscheidung treffen wird. Wer kann das schon von sich behaupten?

Daniela Löw darf stolz sein auf ihren Jogi.