Nur zwei Niederlagen kassierte Griechenland in den letzten 24 Partien. Ohne Spielkultur, ohne große Solisten verteidigen sie einfach.

Hamburg/Serock. Es war die erste große Überraschung dieser Europameisterschaft: Griechenland, aufgrund schlechter Ergebnisse und destruktiver Spielweise nach zwei Partien bereits als sicherer Streichkandidat gehandelt, im Viertelfinale des Turniers. Ohne Spielkultur, ohne herausragende Solisten, stattdessen mit einem vermeintlich überalterten Kollektiv. Griechenland, der 1:81-Außenseiter bei Wettanbietern wie bwin. Griechenland, das beim 1:1 zum Auftakt gegen Polen bereits zur Halbzeit hoffnungslos hätte zurückliegen können, um am Ende trotz Unterzahl sogar noch die Elfmeterchance zum Sieg zu bekommen. Griechenland, das gegen Tschechien bereits nach sechs Minuten mit 0:2 ins Hintertreffen geraten war und das sich anbahnende Schützenfest beim 1:2 doch verhinderte. Griechenland, das den Einbahnstraßenfußball der Russen im Gruppenfinale nicht nur schadlos überstand, sondern durch Kapitän Georgios Karagounis mit 1:0 konterkarierte und die nächste Runde erreichte. Glücklich, unerwartet und unverdient?

Wie die Griechen 2004 den EM-Titel holten

Manchmal täuscht die Wahrnehmung. Tatsächlich bedeutete das 1:2 gegen die Tschechen die erste Pflichtspielpleite seit dem WM-Aus beim 0:2 gegen Argentinien am 22. Juni 2010. 24 Spiele, zwei Niederlagen. Eine derartige Bilanz ist mit Glück allein kaum zu erklären. Ohne Niederlage waren die Griechen durch die EM-Qualifikation gerauscht, hatten sich vor den Kroaten direkt qualifizieren können. Vielmehr ist der Erfolg der Griechen die Konsequenz eines einfachen und in großen Teilen vom ehemaligen Trainer und Volkshelden Otto Rehhagel adaptierten Systems. "Nach den ersten beiden Spielen konnte man nicht mehr mit dem Weiterkommen rechnen. Aber gegen die Russen hat unser Team seine alten Stärken gezeigt. Wir sind schwer zu schlagen und brauchen nicht viele Chancen", jubelte Angelos Charisteas aus dem Urlaub auf Kreta. Der ehemalige Bundesligastürmer, mit seinen 32 Jahren zumindest für die griechische Nationalelf eigentlich im besten Alter, hatte sein Team 2004 sensationell zum Europameistertitel geköpft. Wiederholt sich nun Geschichte?

Griechenland bleibt in der Euro: "Die Bankrotten sind da!"

Die Parallelen zum sensationellen EM-Erfolg sind unverkennbar. Schon in Portugal erwiesen sich die Defensivstrategen für große Fußball-Nationen als Spielverderber. "Die Griechen kämpfen ähnlich wie vor acht Jahren mit einer großen Leidenschaft und stehen gleichzeitig sehr sicher", urteilte der damalige Coach Rehhagel in der "Bild" und stimmte Bundestrainer Joachim Löw auf eine schwere Aufgabe ein. "Diese Mannschaft sollte auch Deutschland nicht unterschätzen." Am Freitag (20.45 Uhr/ZDF live) trifft die DFB-Elf in Danzig auf Rehhagels Erben, die sich rechtzeitig der alten Tugenden besonnen haben. "In dieser Mannschaft steckt eine Menge Rehhagel. Sie macht vieles wie wir damals. Sie ist eine Einheit, vermeidet leichte Tore und in der Offensive lauern Giorgos Samaras und Theofanis Gekas auf Tore."

Fußend auf einer aus den zwei Bundesliga-Legionären Kyriakos Papadopoulos (FC Schalke 04) und Sokratis Papastathopoulos (Werder Bremen) bestehenden Innenverteidigung, der nicht nur Rehhagel nach dem Viertelfinaleinzug "internationale Klasse" bescheinigte, verteidigt das Kollektiv geschickt und leidenschaftlich. "Wir sind nicht die Besten der Welt, aber wer gegen uns spielt, muss Blut spucken, um uns zu bezwingen", beweist der portugiesische Trainer Fernando Santos zumindest verbal jene zerstörerische Härte, mit der seine Elf auf dem Platz zu Werke geht. Frei nach dem Motto: Die wollen gar nicht spielen - und trotzdem gewinnen. Der FC Chelsea lässt grüßen ...

Dass dafür das Verhindern von Treffern allein nicht genügt, wissen auch die Griechen. Sie vertrauen auf ihre Kaltschnäuzigkeit vor dem gegnerischen Tor und - trotz des Fehlens von Freistoßschütze Karagounis, der gegen Deutschland wie der in Aschaffenburg geborene Außenverteidiger José Holebas eine Gelbsperre absitzen muss - ihren Qualitäten bei Standardsituationen. Die Griechen erarbeiteten sich bislang zwar die wenigsten Tormöglichkeiten bei dieser EM (acht), nutzten davon aber 37,5 Prozent. Von den 16 Teilnehmern haben nur die Engländer eine bessere Trefferquote. Auch dies ein Wert mit System: Griechenland erzielte in den letzten zwölf Länderspielen immer mindestens ein Tor.

Und so wächst bei den Griechen der Glaube an ein zweites EM-Märchen. Ähnlich wie 2004 fühlen sie sich in der Rolle des Außenseiters wohl. Bei dem von Eintracht Frankfurt nach Monaco verliehenen Georgios Tzavellas ist die Vorfreude spürbar: "Deutschland hat eine große Mannschaft, das liegt uns." Der Stolz vergangener Tage ist zurück. Urplötzlich schlägt die Kritik an der Nationalelf in Lob um, und das größere Medienaufkommen werten die Profis als Indiz für neuen Respekt. Papadopoulos verspürt Lust auf mehr: "Deutschland ist eine ganz starke Mannschaft mit großartigen Spielern. Aber wir haben keine Angst."