England nutzte ein ermauertes 1:1 zum EM-Auftakt als Hoffnungsschimmer, die Franzosen haben bereits die erste Kontroverse.

Donezk. Franck Ribéry hatte alle Zeit der Welt. Seine Teamkollegen waren nach dem 1:1 (1:1) gegen England schon lange mit dem Bus ins Quartier aufgebrochen – da schaute der Bayern-Star im Kabinengang immer noch nachdenklich den Sieg des nächsten EM-Gegners Ukraine über Schweden auf einem Flachbildschirm an.

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Frisch geduscht verließ er erst nach 23 Uhr im weißen Trainingsanzug mit dem Kulturbeutel in der Hand alleine die Donbass Arena von Donezk. „Wir waren vielleicht in den ersten 20 Minuten zu schüchtern“, kritisierte der 29-Jährige am Montagabend, „es hat nur das letzte Stück gefehlt. Wir müssen uns jetzt schnell auf die Ukraine einstimmen, wir müssen gewinnen.“

England schöpfte unerwartete Hoffnung aus dem Punktgewinn ohne seinen gesperrten Sturmstar Wayne Rooney. Die Équipe Tricolore muss zwei Jahre nach dem WM-Vorrundenaus mit einem beschämenden Trainingsstreik hingegen schon wieder die erste Debatte des Turniers verkraften. Als Reaktion auf seinen Ausgleich nach Pass von Ribéry (39. Minute) forderte der überragende Samir Nasri französische Journalisten mit dem Zeigefinger über den Lippen wütend zum Schweigen auf. „Wird es 2012 eine Affäre Nasri geben?“, fragte die Zeitung „France Soir“.

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"Das ist etwas zwischen ihm und seinen Kritikern, es ist etwas Persönliches“, erläuterte Nationaltrainer Laurent Blanc. Als Nasri im Anschluss an die Dopingprobe kurz vor Mitternacht noch nach Ribéry aus den Katakomben kam, hatte er bereits seinen Ausbruch bereut. „Aber meine Mutter ist krank, und wenn sie lesen muss, dass ihr Sohn bescheuert ist, ist das heikel“, sagte er. Verbandspräsident Noël Le Graët sprach von einer „unkontrollierten Aktion“ und hoffte, dass es keine „Kontroverse“ gebe.

Dass einzig der 24 Jahre alte Nasri vom Premier-League-Meister Manchester City im Offensivtrio mit Ribéry und dem enttäuschenden Stürmer Karim Benzema dauerhaft glänzte, verdankte England seiner ausgeklügelten Verteidigungsstrategie. „Boring England“ (Langweiliges England), mokierte sich „L'Équipe“ auf Englisch über den defensiven Mauer- und Konterstil. „Es war frustrierend“, schimpfte Außenverteidiger Patrice Evra, „sie haben gespielt wie Chelsea gegen Barcelona.“

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Mit dem Erfolgsrezept des Champions-League-Siegers will Trainer- Routinier Roy Hodgson sein von Verletzungen dezimiertes Team erstmals seit acht Jahren wieder in das EM-Viertelfinale führen. Doch auch am Freitag gegen Schweden wird Rooney noch schmerzlich vermisst werden. „Je länger wir zusammen arbeiten, desto besser wird es werden“, versprach Hodgson nach dem dritten Spiel seiner sechswöchigen Amtszeit. Besonders „wenn wir Rooney, einen wirklichen Qualitätsspieler, zurückbekommen.“

In der zweiten Sitzreihe schräg hinter der englischen Bank fieberte der Angreifer von Manchester United mit, sprang jubelnd bei der Führung durch einen Kopfballtreffer von Verteidiger Joleon Lescott (30.) auf. „Yippeee! Ein Unentschieden“, titelte „The Sun“, „Job erledigt“, wertete der „Daily Star“ den „lebensnotwendigen Punkt“ gegen die seit nun 22 Spielen ungeschlagenen Franzosen.

Ohne die verletzten Stammspieler Frank Lampard, Gareth Barry und Gary Cahill sind die Ansprüche im Land des Weltmeisters von 1966 auf ein Minimum gesunken. Zumindest der Ausblick auf die weiteren Gruppenspiele gegen Schweden und die Ukraine einte England aber mit der ambitionierten Mannschaft um Ribéry und Co. „Ohne die anderen beiden Teams herabzusetzen, das war heute der schwierigste Gegner“, meinte Kapitän Steven Gerrard, „bei allem nötigen Respekt: Diese Spiele sollten wir gewinnen.“