Otto Rehhagel ist zurück auf der Bühne Bundesliga – als neuer Trainer und Alleinherrscher bei Hertha BSC Berlin. Seine Aufgabe: Nichtabstieg!

Berlin. Eigentlich hätte er in der goldenen Prunkkutsche kommen müssen, mit federgeschmückten Rössern und livrierten Lakaien, die ihm die Türen aufreißen. Schließlich wurde der Mann als "König Otto" und "Rehakles" geadelt. Er kam dann aber doch nur mit dem Flugzeug eingeschwebt in die Hauptstadt, aber immerhin verlieh das Blitzlichtgewitter dem ersten Auftritt von Otto Rehhagel in Berlin etwas Gravitätisches.

Jubelnde Fanmassen waren allerdings nicht zugegen, nur eine Handvoll Fotografen und einige Kamerateams erwiesen dem neuen Trainer von Hertha BSC auf dem Flughafen Tegel die Ehre. Der eigens engagierte Sicherheitsdienst hatte jedenfalls leichtes Spiel, den prominenten Klienten zu schützen. Trotzdem war Rehhagels erster Arbeitstag Stadtgespräch Nummer eins. Rote Rosen brachte der Kavalier der alten Dame allerdings nicht mit. Bei Hertha herrscht ab sofort die Ottokratie, erfahrungsgemäß eine abgemilderte Form der Königsherrschaft.

"Ab Montag bin ich bei Hertha das Gesetz, und alle hören auf mein Kommando", hatte der 73-Jährige in der "Bild am Sonntag" gleich mal die Lage klargestellt. Manager Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer werden die Ohren geklungen haben ob ihrer Degradierung zu Erfüllungsgehilfen Ihro Majestät. Doch wer sich mit Otto Rehhagel einlässt, darf nicht auf kuschelige Runden bei heißem Tee und Hafergebäck hoffen. Im Vergleich zu diesem Regiment herrscht sogar bei Felix Magath eine Basisdemokratie.

Ein Leben sei viel zu wenig, verkündete Rehhagel. Er will Spannung

Es war ihm sichtbar ein Vergnügen, noch einmal Hauptdarsteller auf der großen Bühne sein zu können. Die Inthronisierungspressekonferenz am Sonntagmittag, auf mehreren Fernsehkanälen live übertragen, wurde zur Lehrstunde der Lebensweisheiten, und der Presseraum platzte aus allen Nähten. "Ein Künstler hat einmal gesagt: 'Ein Leben ist viel zu wenig'", verkündete Rehhagel. "Solange ich lebe, will ich Spannung." Er fühle sich gesund und fit und könne Hertha mit seiner "unglaublichen Erfahrung" helfen. Nur Tore schießen könne er nicht, "das können nur die Spieler."

Er selbst sei von nun an nur noch an vier Orten anzutreffen, sagte Rehhagel: auf dem Trainingsplatz, der Geschäftsstelle, im Hotel und einem Café. "In welchem Café?", wollte ein Journalist wissen. "Das sage ich Ihnen nicht. Sonst kommen Sie noch dahin", antwortete Rehhagel und freute sich sichtlich über einige Lacher aus dem Auditorium. Auf derartige Altherrenwitzchen werden sich die Berliner in den kommenden drei Monaten einstellen müssen. Zwölf Spiele hat Rehhagel Zeit, den rapiden Absturz des Traditionsvereins aufzuhalten, für den er bei dessen erstem von nun exakt 1000 Bundesligaspielen selbst auf dem Rasen stand.

Die Lage ist prekär. In der Rückrunde verloren die Berliner alle fünf Bundesligaspiele plus das Pokalspiel gegen Borussia Mönchengladbach und rutschten vom elften auf den 15. Rang. Aktuell beträgt der Vorsprung auf die Abstiegsränge nur noch einen Punkt. Hertha braucht also einen Retter, und das dringend. Es mag dabei diskutabel sein, ob die Verpflichtung eines 73-jährigen Trainers, der zuletzt vor zwölf Jahren einen Job in der Bundesliga hatte, der Weisheit letzter Schluss ist. Und doch wohnt ein innovativer Gedanke der Idee inne, Rehhagel zu reaktivieren. Die Diskussion um Manager Preetz ist jedenfalls vorerst beendet, der vor eine Woche die fatale Fehlentscheidung, Michael Skibbe zum Hertha-Trainer zu machen, nach fünf Niederlagen in Folge korrigieren musste.

Nach einer Nacht Bedenkzeit sagte er den Berlinern zu

Hertha hat sich Bedenkzeit erkauft. Erst im Sommer werden die Verantwortlichen entscheiden müssen, wer Hertha fit für die Zukunft macht. Bis dahin herrscht Überlebenskampf. "In England wurde einmal ein Trainer gefragt, ob es bei seinem nächsten Spiel um Leben und Tod ginge. Er hat geantwortet: 'Ich kann Ihnen versichern: Die Situation ist wesentlich ernster'", zitierte Rehhagel mit sibyllinischem Lächeln aus den Untiefen des Fußball-Zitatenschatzes. Für ihn allerdings sei Fußball weiterhin "nur ein Spiel", und wenn Hertha den Klassenerhalt wider Erwarten nicht schaffen sollte, "dann hat es eben nicht gereicht".

Denke nun aber bloß keiner, Rehhagel wolle schon den Abstieg anmoderieren. Er werde Tag und Nacht dafür arbeiten, das leckgeschlagene Schiff wieder zu stabilisieren, sagte der neue Trainer, darum werde er ab sofort auch nur noch Fragen beantworten, die mit dem nächsten Spiel zu tun haben.

Am Dienstag leitet er zum ersten Mal das Training, am Sonnabend im Spiel beim FC Augsburg wird er seinen Einstand auf der Bank geben - sein 821. Bundesligaspiel als Trainer. Neben ihm werden die bisherigen Interimstrainer Rene Tretschok und Ante Covic Platz nehmen, die beim 0:1 gegen Borussia Dortmund noch in der Verantwortung standen und ab sofort dem neuen Chef assistieren. "Ich bin der Spiritus Rector, und sie werden die Arbeit machen. Sie werden von mir lernen und ich von ihnen. Man lernt schließlich das ganze Leben dazu", sagte Rehhagel.

Bis dahin wird auch Beate Rehhagel in der Hauptstadt eingetroffen sein, Ehefrau und Beraterin in Doppelfunktion. Mit ihr habe er ebenso wie mit seinem Sohn Jens diskutiert, ob er das Wagnis eingehen solle, sich seinen guten Namen in Berlin ramponieren zu lassen. Nach einer Nacht Bedenkzeit habe er dann zugesagt. Ein Risiko, das ihn allerdings nicht um den Schlaf bringt: "Meine Reputation und meine Erfolge kann mir niemand mehr wegnehmen. Ich verspüre keinen Druck."

Bei Hertha dürften das derzeit nicht viele von sich behaupten.