Zum Bundesliga-Auftakt stellen sich die Sportchefs des FC St. Pauli, Helmut Schulte, und des HSV, Bastian Reinhardt, zum Interview.

Hamburg. Es war das erste bilaterale Treffen von Helmut Schulte und Bastian Reinhardt überhaupt, doch lange brauchten die Sportchefs des FC St. Pauli und des HSV nicht, um miteinander warm zu werden.

Abendblatt:

Herr Schulte, Herr Reinhardt, kürzlich hat Wolfsburgs Manager Dieter Hoeneß daran erinnert, dass es in Hamburg in der neuen Saison zunächst nicht mehr um die Nummer eins im Norden, sondern um die Nummer eins in der Stadt geht. Freuen Sie sich schon darauf?

Helmut Schulte:

Natürlich ist dieses Kräftemessen für beide Klubs mehr als reizvoll. Und wir wollen nur zu gerne in Hin- und Rückspiel erstmals die Nummer eins in Hamburg übernehmen ...

Bastian Reinhardt:

... wobei du nicht die Platzierung nach 34 Spieltagen vergessen solltest. Nur wer auch am Ende der Saison über dem Lokalrivalen steht, ist die Nummer eins in Hamburg.

Wird es denn jemals eine Endtabelle geben, in der St. Pauli vor dem HSV steht?

Schulte:

Alles ist möglich, die Frage ist nur, ob es auch realistisch ist.

Ist es realistisch?

Schulte:

Es mag realistisch sein, allerdings nicht wirklich wahrscheinlich. Solange der HSV sehr viel mehr Geld als wir ausgeben kann, ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass wir nach 34 Spieltagen über dem HSV stehen.

Uns fällt auf, dass Sie sich duzen. Haben Sie sich unter Kollegen bereits getroffen?

Reinhardt:

Nein. Das ist heute unser erstes Treffen auf Sportchefebene.

Schulte:

Auf anderer Ebene haben wir uns mal getroffen. Als ich Manager in Lübeck war, hast du bei uns vorgespielt, warst aber in katastrophaler Form ...

Reinhardt:

... ich bin ja auch direkt aus dem Urlaub gekommen.

Mit Felix Magath mussten Sie ja bereits um die Ablöse von Heiko Westermann feilschen. Duzt man sich dabei?

Reinhardt:

Das Feilschen hat Bernd Hoffmann übernommen. Es ist keine dankbare Aufgabe für einen Neuling, im ersten Monat mit Magath über Millionen zu verhandeln.

Ist denn der Job so, wie Sie ihn sich noch als Spieler vorgestellt haben?

Reinhardt:

Natürlich ist er viel komplexer. Jede Entscheidung von mir führt zu Konsequenzen, die man als Spieler überhaupt nicht überblicken kann.

Schulte:

Ich bin quasi verantwortlich für jeden unserer 19 Millionen Sympathisanten. Das ist nicht immer einfach.

Ist der Beruf des Managers trotzdem ein Traumberuf?

Reinhardt:

Ich wollte unbedingt im Fußball tätig bleiben, hatte aber gar nicht gewagt daran zu denken, tatsächlich als Manager beim HSV einzusteigen.

Schulte:

Manchmal ist es gar nicht so schlecht, einfach mal ins kalte Wasser geschmissen zu werden. Bei mir war das ja sehr ähnlich, als ich Trainer wurde.

Sie haben sich im Abendblatt vor knapp zwei Jahren für einen Lehrgang für angehende Manager ausgesprochen, ähnlich wie der Fußballlehrerkurs für angehende Bundesligatrainer. Erklären Sie bitte Herrn Reinhardt, warum ein derartiger Lehrgang gut für ihn wäre.

Schulte:

Für Basti würde ein derartiger Kurs nun zu spät kommen. Aber trotzdem bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass so ein Lehrgang Sinn macht.

Hat Helmut Schulte recht?

Reinhardt:

Wenn der Kurs durchdacht ist, kann er Sinn machen. Ich bin froh, dass ich mich bei erfahrenen Verantwortlichen im Verein umhören kann.

Könnten Sie von Helmut Schulte lernen?

Reinhardt:

Ja, einiges! Er ist lange dabei. Bestimmt könnte mir Helmut ein paar Berater nennen, mit denen man eher nicht zusammenarbeiten sollte.

Was kann St. Pauli vom HSV lernen?

Schulte:

Wie man ewig in der Bundesliga bleibt.

Der HSV hat mehr als 15 Millionen ausgegeben, der FC St. Pauli weniger als eine Viertelmillion Euro. Sind Sie auf Ihren jüngeren Kollegen ein wenig neidisch?

Schulte:

Ich bin nie neidisch, ich möchte aber auch nicht mit Zielen konfrontiert werden, die unrealistisch sind. Ich habe schon oft erlebt, dass ein Verein an unmöglichen Zielen kaputt gegangen ist.

Ihr Präsident Stefan Orth hat als Saisonprognose Platz neun bis zwölf gewagt.

Schulte:

Mein Wunschziel ist sogar Platz eins. Meister werden, dann die Champions League gewinnen und im Dezember 2012 Weltpokalsieger werden, um anderen die Chance zu geben, T-Shirts mit dem Aufdruck "Weltpokalsiegerbesieger" herauszubringen.

Derartige Ziele könnten Sie ernsthaft wohl nur mit externer Hilfe anstreben. Der HSV hat Hilfe durch Milliardär Klaus-Michael Kühne erhalten.

Schulte:

Ich kann es mit Sicherheit nicht verhindern, wenn uns jemand zehn Millionen Euro schenken würde. Aber sobald jemand bei uns für sein Geld irgendwelche Rechte einfordert, würde ich mich dem widersetzen. Ich habe einfach keinen Spaß daran, wenn eine Familie zum Beispiel den FC Liverpool kaufen und dann mitbestimmen will. Wie es beim HSV funktioniert, kann und will ich nicht beurteilen.

Reinhardt:

Natürlich wünscht sich niemand in Deutschland englische Verhältnisse. Aber man kann die dortigen Besitzverhältnisse überhaupt nicht mit dem Kühne-Konzept vergleichen. Im Gegensatz zu Manchester, Arsenal und Liverpool sind wir immer noch sehr basisdemokratisch aufgestellt.

Aber gerade an der Basis wurde das Investorenmodell kritisch beäugt.

Reinhardt:

Noch kritischer wären die Fans aber, wenn wir keinen Erfolg mehr hätten. Wir mussten handeln, nachdem wir in dieser Saison den Europapokal verpasst haben. Unser Projekt hat vielleicht nicht jeden überzeugt, aber jedem kann man es ohnehin nie recht machen.

Arbeiten Sie bei den beiden basisdemokratischsten Vereinen der Bundesliga?

Schulte:

Sicherlich ist der Einfluss unserer Fans und Mitglieder mit den starken Supporters beim HSV und der starken AFM im Vergleich recht hoch. Tradition hat aber noch niemandem geschadet. In Zeiten von Turbo-Kapitalismus und dem ganzen Neoliberalisierungs-Zinober ist es ganz gut, dass das so ist.

Reinhardt:

Es ist natürlich immer einfacher, wenn man Dinge alleine entscheiden kann. Aber das ist beim HSV nicht der Fall, und dieses Stück unserer Identität werden wir auch nicht verändern wollen. Da ist Kommunikation gefragt.

Gibt es eigentlich einen Spieler, den Sie gern von Ihrem Gegenüber hätten?

Reinhardt:

Hain ist ein guter Junge, aber gute Torhüter haben wir ja genug.

Schulte:

Maxim Choupo-Moting, Tunay Torun und Sören Bertram.

Na dann machen Sie die Transfers doch gleich fest. Lassen Sie sich nicht stören.

Schulte:

Wenn es soweit ist, dann können wir uns ja anrufen.

Reinhardt:

Hier Helmut, meine Karte.

Schulte:

Meine musst du dir aufschreiben. Ich habe nämlich keine Karte... Oh, da ist doch noch eine in meiner Tasche. Nee, die ist ja von Walter Hellmich.

Das können Sie später klären. Was erwarten Sie von der 48. Bundesligasaison?

Schulte:

Ich wünsche mir, dass es eine wahnsinnige Durchmischung der Geldrangliste geben wird.

Erwarten Sie das auch?

Schulte:

Nein. Es gibt die großen Sechs, ein mittleres Drittel und ein unteres Drittel. Da rauszukommen, ist schwierig. Für mich hat es Frankfurt jetzt mit Bruchhagen geschafft ins mittlere Drittel zu kommen. Aber für den nächsten Schritt müssten von den oberen schon zwei wirtschaftlich abschmieren.

Gehört der HSV zum oberen Drittel?

Schulte:

Ja, gesetzt. Schauen Sie sich doch mal die Startelf an. Da müssen wir uns aber ganz schön anstrengen - und genau das tun wir auch.

Reinhardt:

Ich habe nichts dagegen, wenn St. Pauli eine gute Saison spielt. Und wir wollen in dem besagten oberen Drittel eine gute Rolle spielen.

TV-Partner Sky ist finanziell angeschlagen. Haben Sie Angst vor dem Kollaps?

Schulte:

Das Problem ist ein anderes. Es gibt jedes Jahr mehr Geld, und trotzdem steigt die Verschuldung. In Europa herrscht ein affiges Wettrüsten. Das ist Wahnsinn, was hier gemacht wird. Spieler werden immer mehr mit Geld zugekleistert, auf die Gefahr hin, dass der Verein darunter zusammenbricht.

Verdienen Spieler zu viel Geld?

Reinhardt:

Ich bin raus aus der Mühle und kenne jetzt die Zahlen. Bei einigen habe ich das Gefühl, dass es zuviel ist, ja. Aber wir werden uns da nur schwer ändern können, wenn wir uns mit Vereinen messen müssen, die Haus und Hof verpfänden oder Scheichs das Überleben garantieren. Ich denke, dass wir beim HSV vernünftig wirtschaften.

Wann platzt die Blase Fußball?

Schulte:

Ich denke, dass keine großen Steigerungen mehr möglich sind. Die Verschuldungsgrenzen haben Größen erreicht, dass einige Vereine kein Geld mehr bekommen. Noch ein Problem ist der Europapokal. Die Vereine, die sich stets qualifizieren, sind in ihrer Liga meilenweit vom Rest entfernt.

Aber gerade die Bundesliga gilt doch als besonders ausgeglichen.

Schulte:

Ja, weil wir 50 Prozent der Gelder gleichmäßig verteilen. Ich kenne aber noch eine Zeit, da wurde alles gleich verteilt. Da gab es eine höhere Durchmischung in der Bundesliga.

War das besser oder schlechter?

Schulte:

Besser, weil interessanter. Es waren nicht immer die gleichen vier Vereine oben. Aber die Menschen haben sich eben daran gewöhnt. Meine Kinder kennen das ja gar nicht anders.

Reinhardt:

Helmut, ich glaube nicht, dass beim HSV jemand möchte, dass wir mal 13. sind. Wir wollen in Europa mithalten und wir tun alles dafür, damit es so bleibt.

Schulte:

Ja, das müssen wir auch machen. Aber irgendwann gibt es doch abseits von Managertätigkeiten einen Punkt, wo du dir Fußball anschaust und überlegst, ob das alles noch richtig läuft.

Dann ändern Sie es doch einfach.

Schulte:

Ich versuche das, indem ich Werbung für das Thema mache und differenziert, nicht nur aus der Ego-Perspektive betrachte. Wenn man den Menschen die Möglichkeit gibt, sich zu verschulden, dann werden das einige immer tun. Aber es ginge auch anders. Ein Beispiel: Freiburg hat in Relation zur Geldrangliste drei Plätze überperformt und ist deswegen Meister.

Ein Handicap wie beim Golf?

Schulte:

Genau. Oder wollen die Menschen immer die gleichen oben sehen?

Ab 2012 schreibt die Uefa vor, dass die Ausgaben die Einnahmen nicht mehr übersteigen dürfen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung?

Reinhardt:

Ja, aber da wird man aufpassen müssen, dass Vereine nicht probieren, diese Regeln zu umgehen.

Schulte:

Die Regelung wäre insgesamt eine gute Sache, selbst wenn einige ausscheren würden. Deshalb sollten wir es machen! Für die Anderen braucht man dann eben eine Polizei.

So wie am 4. Spieltag, wenn es am Millerntor zum Stadtderby kommt?

Schulte:

Das Derby ist ein Fest für Hamburg. Es geht nicht um Freund und Feind, Krieg und Schlachten. Ich freue mich auf spielerische, kreative Rivalität.