Michael Ballack besucht am Donnerstag die deutsche Nationalelf bei der WM in Südafrika - aber die Rückkehr des Kapitäns ist schwierig.

Erasmia. Uli Hoeneß hatte den Anfang gemacht. "Ich glaube nicht, dass es klug ist, die EM 2012 noch als großes Ziel ins Auge zu fassen", sagte der Präsident des FC Bayern München , nachdem Michael Ballack kurz vor dem Beginn der WM-Vorbereitung das Opfer einer Nahkampfattacke Kevin-Prince Boatengs geworden war und sich am Syndesmoseband verletzt hatte.

Anfangs wurde Hoeneß' Aussage von vielen belächelt. Die deutsche Nationalmannschaft ohne ihren Anführer? Unvorstellbar! Doch mit jeder von Joachim Löws junger Bande geenterten Spielrunde wird es für Ballack ungemütlicher. Man stelle sich vor, Deutschland würde tatsächlich ins Endspiel stürmen: Mit welchem Argument dürfte dann der Bundestrainer einen Sami Khedira wieder auf die Bank verbannen? Für Löw, so er denn bliebe, worauf alles hinausläuft, wären zwei weitere Fragen von zentraler Bedeutung: Reicht Khedira, 23, in zwei Jahren mit den Erfahrungen der WM und weiteren EM-Qualifikationsspielen an die Klasse eines Ballack heran, der drei Monate nach der EM-Endrunde 36 Jahre sein wird? Und passt Ballack überhaupt noch in die Spielphilosophie Löws? "Deutschland ist nun besser, es ist mehr Schnelligkeit im Spiel, vielleicht ist es sogar ein Vorteil, dass Michael Ballack nicht dabei ist", urteilte der niederländische Nationalspieler Wesley Sneijder.



Eine Aussage, die Guido Buchwald, der 1990 gegen Argentinien Weltmeister wurde, so nicht stehen lassen will. "Mit ihm wäre ein Konterspiel, wie wir es gegen England gesehen haben, genauso möglich gewesen", glaubt der 49-Jährige. "Michael Ballack ist ein außergewöhnlicher Spieler mit hoher Qualität. Wenn er an sein Niveau anknüpfen kann, ist er trotz der Erfolge dieser jungen Mannschaft nach wie vor eine Bereicherung." Allerdings, so der 76-fache Nationalspieler weiter, erweise es sich bei diesem Turnier als Vorteil, dass Deutschland mit einigen unerfahrenen Spielern angetreten sei: "Ein Müller oder Khedira sind noch keine festen Größen wie Ballack, man kennt ihre Spielweise noch nicht so richtig, ihre Stärken oder Schwächen."

Nachdem Ballack die Mannschaft bereits im Trainingslager auf Sizilien besucht hatte, folgt morgen Teil zwei des Wiedersehens. Der 33-Jährige will seine Reha-Maßnahmen mit Physiotherapeut Klaus Eder und Nationalmannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt absprechen und wird am Freitag auch mit nach Kapstadt fliegen, wo am Sonnabend (16 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de ) das Viertelfinalspiel gegen Argentinien angepfiffen wird. Für Ballack selbst steht außer Frage, dass es für ihn bei der Nationalmannschaft weitergeht: "Meine Motivation ist ungebrochen, ich spüre schon wieder das Kribbeln." Das Verhältnis zu Löw hat sich dem Krach um die Ausbootung seines Kumpels Torsten Frings 2008 längst wieder verbessert. Der Bundestrainer machte in den vergangenen Wochen mehrfach deutlich, dass er liebend gerne den "Typ Ballack", der in kritischen Situationen das Team führt, in seinem Kader hätte.

Mit feiner Wortwahl wies Ballack vor seinem Abflug nach Südafrika darauf hin, dass er den Aufschwung für noch nicht stabil hält: "Die Mannschaft spielt sehr souverän und harmoniert gut. Sie hat ein gutes Momentum, das sie hoffentlich auch gegen Argentinien zeigen kann. Es werden sicher viele Tore fallen, weil beide Teams offensivstark sind. Ich tippe auf ein 3:2." Was umgekehrt auch ein Verweis auf die Anfälligkeit beider Teams war - und ein Signal: Mit mir stünde die Defensive besser!

Gestützt wird Ballacks These indirekt auch von Buchwald, der 1990 im Finale Diego Maradona ausschalten konnte: "Gegen solche Gegner wie Messi muss sich unsere Defensive unheimlich steigern, wir dürfen auf keinen Fall so viele Chancen zulassen wie zum Beispiel gegen Ghana, müssen noch kompakter und konzentrierter spielen."

Nach Meinung von Buchwalds damaligem WM-Teamkollegen Olaf Thon sollte Ballack sowieso künftig verstärkt aus der defensiveren Rolle agieren: "Weiter hinten halte ich ihn für wertvoller, gerade weil er jetzt in ein reiferes Alter kommt." Ob dies Bastian Schweinsteiger gefiele, der derzeit genau diesen Part erfolgreich interpretiert?

Überhaupt wird es interessant sein zu beobachten, wie sich die ohne Ballack weiterentwickelte, inzwischen viel flachere Hierarchie im DFB-Kader mit der Rückkehr des Kapitäns neu sortiert. Akzeptieren die Spieler es, wenn ein "Alter" wieder die uneingeschränkte Chefrolle für sich beansprucht?

"Wenn seine Leistungen stimmen, wird es kein Autoritätsproblem geben", prognostiziert Thon. "Mit Philipp Lahm, Schweinsteiger oder auch Miroslav Klose hat er in der Vergangenheit stets gut harmoniert". Allerdings ist Ballack innerhalb des Teams nicht unumstritten, gerade bei jüngeren Spielern. Beleg war die (handgreifliche) Auseinandersetzung zwischen Lukas Podolski und Ballack im April 2009 im Länderspiel gegen Wales.

Für Thon ist dennoch ein erzwungener Rückzug Ballacks ausgeschlossen: "Einen Kapitän mit diesen Verdiensten lässt man nicht fallen, er hat eine neue Chance verdient. Aber er muss topfit sein, gerade in seinem Alter." Damit er nicht nur für mit Leverkusen in der kommenden Saison "die Attraktion der Bundesliga" (Bayer-Coach Jupp Heynckes) wird, sondern auch für zwei weitere Jahre in der Nationalmannschaft.