Vier Tage vor dem ersten WM-Spiel tendiert Bundestrainer Löw zu seinem ältesten Stürmer - ehemalige Torjäger beurteilen ihn kritisch.

Pretoria. Es wurde viel über Sicherheit diskutiert vor der Weltmeisterschaft. Dabei ging es meist um die großen Räuber, die nach europäischen Vorstellungen in Scharen um das Mannschaftshotel schleichen, um unseren Nationalspielern das hart erarbeitete Geld zu klauen. Über die kleinen Bösewichter allerdings wurde kaum gesprochen. Sie sind so winzig, dass weder Wachschutz noch Elektrozäune sie aufhalten können. Und wenn sie zuschlagen, fehlt anschließend kein Geld. Dafür aber die Gesundheit.

Die Masern grassieren derzeit in Südafrika. Die Zeitungen warnen, auch im Lager der Fußballnationalmannschaft ist die Nachricht eingetroffen. Dort allerdings reagierten sie entspannt auf die virale Gefahr. Alle Spieler seien getestet worden, sagte Mannschaftsarzt Tim Meyer, bei allen wurden Antikörper im Blut nachgewiesen. Entweder haben sie also schon die Masern gehabt, oder sie sind geimpft.

Gesundheitlich hat die Eliteauswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) also nichts zu befürchten. Wie es sportlich aussieht, wird sich erstmals an diesem Sonntag zeigen, wenn sie im ersten Spiel der WM-Gruppe D in Durban auf Australien trifft (20.30 Uhr, ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de). Die Prognosen sind auch hier gut.

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Ein einziges Problem allerdings treibt Bundestrainer Joachim Löw noch um, und das wird nicht durch ein Virus hervorgerufen. Eher durch einen Antikörper.

Es geht um die Besetzung der Sturmspitze. Dort scheint Löw tatsächlich auf Miroslav Klose setzen zu wollen, obwohl die anhaltende Leistungskrise des Münchner Angreifers sich auch in der Nationalelf fortgesetzt hat. In der Bundesliga erzielte er in der vergangenen Saison drei Treffer in 25 Spielen, in der Nationalelf blieb er in den vergangenen vier Spielen ohne Torerfolg. So wundert es nicht, dass in Deutschland eifrig über den Angreifer diskutiert wird, der heute seinen 32. Geburtstag feiert.

Der älteste Feldspieler im deutschen WM-Kader, der im Trainingsspielchen zuletzt zweimal traf, bekommt derzeit fast nur aus der eigenen Mannschaft Rückendeckung. "Miro ist ein absolut WM-erfahrener Spieler. Er kann sich selbst am besten einschätzen", sagte Per Mertesacker. Klose selbst glaubt: "Der entscheidende Moment ist das erste WM-Spiel gegen Australien, daran lasse ich mich gerne messen." Wenn es denn dazu kommt.

Der Hamburger Ehrenspielführer Uwe Seeler würde am Geburtstagskind festhalten: "Auch wenn Miroslav Klose derzeit nicht überzeugt, sehe ich noch keinen Grund, ihn auf die Bank zu setzen. Er hat bei großen Turnieren nie enttäuscht." Allerdings müsse Bundestrainer Joachim Löw dann auch "entsprechend reagieren, wenn es nicht läuft".

Auch Stefan Kuntz, Europameister von 1996, unterstützt Löws Entschluss. "Ich weiß aus Erfahrung, wie wichtig es ist, Rückendeckung durch den Trainer zu haben. Die bekommt der 'Miro' jetzt - und das ist aufgrund seiner Verdienste völlig legitim. Wenn der Bundestrainer Miro aufstellt und sich wohl dabei fühlt, müssen wir das akzeptieren", sagte er. Allerdings geht der frühere Torjäger Kuntz davon aus, dass Löws Geduld begrenzt sein wird. Ein Spiel werde Klose wohl bekommen, sagt der Vorstandschef des 1. FC Kaiserslautern, "danach werden die Karten neu gemischt, sollte er es nicht packen".

Die Gründe für die Nibelungentreue des Bundestrainers liegen in der Vergangenheit. Am 10. Oktober des vergangenen Jahres war es der Münchner, der Deutschland mit seinem Tor zum 1:0 gegen Russland die Qualifikation für die WM bescherte. 2006 hatte er Deutschland im WM-Viertelfinale mit seinem Ausgleich zum 1:1 gegen Argentinien den Verbleib im Turnier gerettet - die Mannschaft gewann im Elfmeterschießen. Mit 48 Toren in 96 Länderspielen kommt Klose auf eine Trefferquote von 50 Prozent - sie gilt gemeinhin als Schwelle zur Weltklasse.

Doch der Druck ist groß. Kloses Rivalen waren zuletzt deutlich treffsicherer: Mario Gomez, ebenfalls bei Bayern München, kam auf zehn Saisontore, der Stuttgarter Cacau traf 13-mal, und Leverkusens Stefan Kießling bewarb sich mit seinen 21 Toren gar um die Trophäe des besten Ligaschützen. "Hinter Klose stehen in Kießling und Cacau zwei Mann, die ein ganzes Jahr lang gezeigt haben, dass sie gute und verlässliche Stürmer sind", sagt Ulf Kirsten, selbst einst ein formidabler Angreifer in Leverkusen. Sein Rat an den Nachfolger: "Er muss die Last abschütteln, in den vergangenen Monaten bei den Bayern kaum gespielt zu haben. Er ist jetzt gefordert."

Kloses Problem ist systembedingt. Konnte er sich in der alten 4-4-2-Formation sicher sein, von den beiden Mittelfeldspielern auf der Außenbahn mit hohen Vorlagen versorgt zu werden, baut Löw nun auf ein System mit nur einer Spitze und zwei hängenden Angreifern. "Im deutschen Offensivspiel gibt es kaum noch Flanken, die Jungs ziehen zu oft mit dem Ball nach innen", hat Klaus Fischer erkannt, der früher bei Schalke 04 selbst von hohen Bällen lebte, die er gern per Fallrückzieher zu Torerfolgen nutzte. Er rät Löw zum Stürmertausch: "Sollte er an dem System mit nur einer Spitze festhalten, ist Cacau für diese Position am besten geeignet."

Dieter Hoeneß, zu seiner aktiven Zeit Kopfballspezialist wie Klose, bringt eine ganz andere Alternative ins Spiel. "Es wäre auch möglich, vor dem defensiven Mittelfeld etwas umzustellen", sagt der Geschäftsführer des VfL Wolfsburg. Bremens Mesut Özil könne nach links ziehen, Thomas Müller vom FC Bayern würde er rechts spielen und hinter der Sturmspitze Gomez leicht versetzt Cacau wirbeln lassen: "Gut möglich, dass Deutschland dadurch etwas mehr Durchschlagskraft erzielt."

Für Klose wäre dann aber kein Platz mehr.