Das Turnier in Brasilien war wieder ein nationales Gemeinschaftserlebnis und hat das weltweite Bild von Deutschland positiv verändert

Wissen Sie, was das Schlimmste an der Fußball-Weltmeisterschaft ist? Dass sie jetzt vorbei ist und man seinen Alltag neu sortieren muss. Vorbei die schönen Gartenfeste bei den Nachbarn mit lauten Schlachtgesängen und nächtlichen Tanzeinlagen. Vorbei die schwarz-rot-goldene Kostümierung von Häusern, Autos, Menschen. Ja, und auch vorbei die langen Abende in der Redaktion, ausnahmsweise mit kaltem Bier, an dem die Frage, ob die Zeitung rechtzeitig fertig wird, mindestens so spannend war wie die Spiele selbst.

Die Weltmeisterschaft wird mir fehlen, weil sie Stadt und Land, Nachbarn und Freunde in eine Stimmung versetzt hat, wie das (leider) kein anderes Ereignis kann. Dabei geht es vordergründig um Fußball – und es soll Menschen geben, denen es nur darum geht –, tatsächlich aber um ein nationales Gemeinschaftserlebnis. Damit hatte Deutschland bis zur WM 2006, dem sogenannten Sommermärchen, enorme, scheinbar unüberwindbare und verständliche Schwierigkeiten. Der Umgang mit nationalen Symbolen war historisch belastet, das offene Zeigen von Deutschland-Fahnen schien zu diesem Land zu passen wie zu den US-Amerikanern Bescheidenheit.

Inzwischen ist unser Verhältnis zu schwarz-rot-goldenen Devotionalien zumindest bei Welt- und Europameisterschaften ein unverkrampftes und fröhliches geworden, so unverkrampft und fröhlich wie der neue deutsche Patriotismus überhaupt. Der Fußball, manche sagen: wer sonst?, hat uns beigebracht, wie das geht. Wie man (sich) als Nation feiern kann, ohne übermütig oder bierernst zu werden, zum Beispiel mit schwarz-rot-goldenen Hüllungen von Autospiegeln!

Wer die Deutschen in den vergangenen vier Wochen erlebt hat, könnte sich fragen, wie sie denn nun wirklich sind. So, wie während der Weltmeisterschaften, oder so, wie in den Jahren dazwischen? Die Frage ist interessant, für das Bild der Deutschen in der Welt aber völlig unwichtig. Denn das wird tatsächlich entscheidend in der WM-Zeit geprägt, wenn mit einer Mannschaft auch immer das Land beziehungsweise das Volk dahinter in den Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit rückt. Was das deutsche Team dabei gerade seit 2006 für die Bundesrepublik getan hat, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Respekt vor der Leistung der Deutschen hatte man anderswo schon immer; wir wurden geachtet, aber weder bewundert und schon gar nicht geliebt. Das hat sich zum Glück geändert, die Sympathien für deutsche Spieler wie Thomas Müller, Mesut Özil oder Lukas Podolski übertragen sich auf das ganze Land. Ja, die Deutschen gelten immer noch als eifrig, beflissen und pünktlich. Aber eben auch als kreativ, fröhlich und fair.

Diesen Eindruck hat die Nationalmannschaft nach dem unfassbaren 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien noch einmal gefestigt, als sie ihre Übermacht nicht frenetisch feierte, sondern vor allem den Gegner tröstete. Das dürfte den Fußballfans weltweit mindestens so viel Respekt abgerungen haben wie die Leistung auf dem Platz. Wenn dann noch ausgerechnet die Bundeskanzlerin auf der Tribüne (und in der Umkleidekabine) jubelt und auftritt, wie man es von ihr nun wirklich zuletzt erwartet hätte, dann ist das Bild vom neuen Deutschland perfekt ...

Fußball, heißt es, sei die wichtigste Nebensache der Welt – was natürlich Unsinn ist, wenn man sich das Interesse ansieht, die Milliarden Zuschauer und Fans vor TV- und anderen Bildschirmen. Gemeint ist etwas anderes: Fußball produziert mit der WM eines der wenigen Großereignisse, in dem Länder aufeinandertreffen und gegeneinander antreten, ohne dass es wirklich ernst wird. Am Ende ist es eben doch nur ein Spiel, zwar Welt-bewegend, aber zum Glück nicht kriegsentscheidend. Im Gegenteil beweist der Fußball alle vier Jahre, dass es doch möglich ist, extrem unterschiedliche Länder hinter einer Sache zu vereinen. Schade, dass das nicht noch öfter gelingt.

Bleibt die Frage, was wir fröhlichen Fußballverrückten in den nächsten Tagen und Wochen machen. Ich bin am meisten darauf gespannt, wann der Nachbar seine Deutschland- gegen die HSV-Fahne tauscht. Was dann irgendwie auch ein Zeichen dafür wäre, dass uns der (graue) Alltag wiederhat ...