Ein Kommentar von Peter Wenig

Das Wort „historisch“ zählt zu den inflationär gebrauchten Begriffen im Fußball-Vokabular. Doch dieses Spiel am Dienstag verdient ohne Frage dieses Prädikat. 5:0 nach ganzen 29 Minuten beim Gastgeber Brasilien, wer auf diesen Zwischenstand mit einem entsprechend hohen Einsatz gewettet hätte, wäre jetzt Millionär.

Was für ein Triumph für Joachim Löw, den Bundestrainer. Und natürlich geht Deutschland nun als klarer Favorit in das Finale am Sonntag gegen Holland oder Argentinien, zumal das Löw-Team eine längere Ruhepause haben wird. Ein Scheitern, auch das muss jedem Fan klar sein, ist dennoch möglich. Der Finalgegner wird sich anders präsentieren als dieses Brasilien, zerbrochen am Erwartungsdruck von 200 Millionen Fans und den Ausfällen der Stars Neymar und Thiago Silva. Alle Super-Optimisten mögen sich nach dieser großen Feiernacht bitte an die WM 2010 erinnern, als Deutschland nach den überragenden Siegen gegen England (4:1) und Argentinien (4:0) ebenfalls auf einer breiten Welle der Euphorie durch Südafrika surfte – und schließlich im Halbfinale an Spanien scheiterte.

Wenn es nun zum vierten WM-Titel doch nicht reichen sollte? Bleibt Löw dann Architekt einer unvollendeten goldenen Generation? Nach der harschen Kritik beim Aus im EM-Halbfinale 2012 gegen Italien weiß keiner besser als Löw, wie schmal der Grat zwischen Volksheld und Staatsfeind sein kann. Damals rückte der Bundestrainer durch einen plötzlichen Wechsel zu einer Angsthasentaktik ins Zentrum der Kritik.

Doch diesmal ist die Ausgangslage eine völlig andere – nicht nur wegen dieses unfassbaren Halbfinalsieges. Wer eine Mannschaft mit angeschlagenen Schlüsselspielern wie Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer, Sami Khedira oder Philipp Lahm – vom Ausfall des in dieser Saison überragenden Marco Reus ganz zu schweigen – bis ins Endspiel führt, hat einfach einen verdammt guten Job gemacht.

Natürlich bleibt der erste Titelgewinn seit der EM 1996 der große deutsche Traum. Aber eine Finalniederlage wäre kein Grund, an Löw zu zweifeln. Er wäre dennoch der Richtige für den nächsten Versuch bei der EM 2016, die Durststrecke von dann 20 Jahren ohne Titel zu beenden. Erst recht nach diesem historischen Tag von Belo Horizonte.