Der durchwachsene Auftritt der deutschen Mannschaft beim 2:2 gegen Ghana wirft viele Fragen auf. In der momentanen Formation drohen wir in den K.-o.-Spielen erhebliche Probleme zu bekommen.

So überzeugend die Vorstellung der deutschen Mannschaft beim 4:0 zum WM-Auftakt gegen Portugal auch war, so viele Fragen wirft jetzt der durchwachsene Auftritt beim 2:2 gegen Ghana auf. Ich habe zwar weiter keinen Zweifel, dass wir die Gruppenphase überstehen werden, um aber am Ende des Turniers um den Titel mitspielen zu können, wozu ich uns immer noch in der Lage sehe, bedarf es der Feinjustierung des Teams, personeller Umstellungen und taktischer Veränderungen. In der momentanen Formation, fürchte ich, drohen wir in den K.-o.-Spielen erhebliche Probleme zu bekommen.

Der Spielverlauf gegen Portugal, die frühen Treffer zum 1:0 und 2:0 wie der Platzverweis von Pepe nach 37 Minuten, war letztlich maßgeschneidert für eine Mannschaft, die aus einer kompakten Defensive mit vier Innenverteidigern das schnelle Umschaltspiel sucht. Aber selbst ohne diese günstigen Ereignisse hätten Taktik und Personal gepasst, weil die Portugiesen das Spiel stets mitgestalten wollen und sich entsprechend aktiv einmischen.

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Gegen Ghana, das seinen Gegnern gern Raum und Ballbesitz überlässt, schien unsere Elf dagegen suboptimal auf- und eingestellt. Jürgen Klinsmanns USA, Donnerstag unser letzter Gruppengegner, taktiert ähnlich. Ohne die Unterstützung offensiver Außenverteidiger fehlte oft die Variabilität, um Löcher in die – anfällige – Defensive der Ghanaer zu reißen. Von den Innenverteidigern Benedikt Höwedes und Jerome Boateng gingen auf den Außenbahnen zu wenig Impulse aus, vom eingewechselten Shkodran Mustafi in der zweiten Hälfte schon etwas mehr. Dem Mittelfeld mangelte es dadurch an Anspielstationen, wodurch der Spielfluss ins Stocken geriet, aus dieser Not Abspielfehler passierten und die Mannschaft anfällig für Konter wurde.

Womit wir bei Philipp Lahm sind. Den Kapitän allein verantwortlich zu machen für seinen fatalen Querpass vor dem 2:1 für Ghana wäre dann doch zu einfach. Er war in dieser Szene Opfer des Systems, das er vom FC Bayern kennt. Dort rotiert der Ball im Mittelfeld, bis ein das Spiel öffnender Pass nach außen oder in die Spitze möglich wird. Sami Khedira, der Adressat von Lahms Pass, fremdelte aber mit dieser Spielauffassung. Er orientierte sich – wie von seinem Club Real Madrid gewohnt – nach vorn. Lahm neben Khedira, das passt offenbar noch nicht. Lahm ist ohnehin niemand, der ein Spiel schnell macht. Er steht für Ballsicherheit, Passgenauigkeit, er lässt nie Hektik aufkommen. Lahm mag ein guter Sechser vor der Abwehr sein, als Außenverteidiger gehört er mit seinen gefährlichen Vorstößen zu den Allerbesten der Welt. Auf dieser Position, links oder rechts, wäre er für die Nationalelf wie in der Vergangenheit am wertvollsten.


Bastian Schweinsteiger hat nach seiner Einwechslung in der zweiten Halbzeit gezeigt, dass man Lahms jetzige Rolle wesentlich aggressiver interpretieren kann, indem man aus der Defensive sofort Druck aufbaut, nicht nur quer, sondern auch mal steil spielt. Das hat dem deutschen Spiel gut getan, wie die Präsenz von Miroslav Klose im Angriffszentrum. Klose wirkte spritzig, fit und willig wie in seinen besten Tagen. Ihn von Beginn an spielen zu lassen, wäre eine Alternative. Mesut Özil würde davon profitieren. Momentan scheint er manchmal nicht zu wissen, wen er wann wo anspielen soll.

Zur Diskussion stelle ich auch Khedira. Bundestrainer Joachim Löw vertraut ihm, grundsätzlich zu Recht, weil er eine überragende Spielerpersönlichkeit ist – wenn er hundertprozentig fit wäre. Nach seinem Kreuzbandriss und einem halben Jahr Spielpause ist er es offensichtlich nicht, zumindest nicht für eine WM unter diesen schwierigen klimatischen Bedingungen. Das haben die ersten beiden Spiele gezeigt.

Unser Kader hat aber genug Qualität, dass es sich Löw leisten könnte, selbst einen Khedira zu ersetzen. Ich bin indes weit davon entfernt, aus der Ferne Ratschläge geben zu wollen. Löw weiß am besten, was er an wem hat, wer wie in Form ist, wen er wann wie bringen kann und wie taktisch flexibel seine Mannen sind.

Grundlegende Umstellungen während eines Turniers sind aber durchaus an der Tagesordnung. Selten hat eine Elf, die beim ersten Turnierspiel auf dem Platz stand, auch das letzte bestritten. Das gilt für deutsche wie für alle anderen Teams. Oft hat sich erst im Verlauf einer WM jene Formation herauskristallisiert, die Erfolg verspricht. Ich erinnere da an die WM 1974, als Helmut Schön nach dem 0:1 gegen die DDR fortan auf Bernd Hölzenbein und Rainer Bonhof setzte – und mit beiden später Weltmeister wurde.