Der geständige Uli Hoeneß gerät schon am ersten Prozesstag unter Druck. Nicht nur Richter Rupert Heindl stellt bohrende Nachfragen – auch sein eigener Anwalt überrascht den Präsidenten.

Um halb zwölf war die erste Halbzeit geschafft, kurz nach 15 Uhr kam der Abpfiff, zumindest für den ersten von vier schweren Verhandlungstagen. Die Schweißperlen standen Uli Hoeneß auf der Stirn, der Kopf war puterrot, als er sich endlich im Saal 134 des Münchner Justizpalasts von der Anklagebank erheben durfte. „So, jetzt gemma“, sagte Hoeneß zu seiner Frau Susi, die ihn begleitet und im Zuschauerraum gesessen hatte, und es klang erleichtert, wie ein Stoßseufzer. Er mühte zwar sich um Fassung, wirkte aber ermattet und gezeichnet.

Der Auftakt im Steuerhinterziehungs-Prozess auf den der Präsident des FC Bayern monatelang mit Bangen wartete, hinterließ Spuren. Am schlimmsten waren für den 62-Jährigen vermutlich die zwei Stunden am Morgen, als er selbst „Einlassungen zur Sache“ machte und dem Richter persönlich Rede und Antwort gestanden hatte. Zeitweise hatte Hoeneß da völlig hilflos gewirkt, manchmal ein bisschen verzweifelt. „Sie müssen wissen, Herr Vorsitzender,…“, sagte er immer wieder, oder: „Ich muss Ihnen das erklären…“ Aber auf manche Fragen wusste er eben einfach keine befriedigende Antwort. Oder wollte Hoeneß keine wissen?

Schon morgens um drei Uhr, viereinhalb Stunden vor Einlass, hatten sich die ersten Besucher vor dem Münchner Justizpalast angestellt, um sich einen der 51 Zuhörerplätze zu sichern. Vor dem Gericht blieb es ruhig, keine Solidaritätskundgebungen treuer Bayern-Fans und Hoeneß-Sympathisanten, alles lief unaufgeregt ab. Und dann kam er, Uli Hoeneß, kurz vor halb zehn betrat er den Gerichtssaal, nachdem er die Nacht in einem Hotel in der Münchner Innenstadt verbracht hatte. In den Saal kam Hoeneß mit seinen drei Anwälten Hanns W. Feigen, Dieter Lehner, Markus Gotzen. Hoeneß bemühte sich, selbstbewusst zu wirken: dunkler Anzug, weißes Hemd, rote Krawatte mit weißen Punkten. Wenn er lächelte, wirkte es angestrengt, aber demonstrativ scherzte er mit seinen Anwälten.

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Die zunächst aufgesetzte gute Laune wich im Laufe der Verhandlung immer mehr einer großen Anspannung. Hoeneß rutschte zusehends in die Defensive. Und das lag vor allem an Rupert Heindl, dem Vorsitzenden Richter. Der erste Dialog zwischen Richter und Angeklagtem lief noch eher locker ab. „Der Herr Hoeneß, das sind Sie“, meinte der 47 Jahre alte Richter mit dem haarfreien Haupt und gab wie üblich die Formalitäten und Personalien an. „Geboren am 5.1.1952, Vorname ist Ulrich, uns ist kein weiterer Vorname bekannt.“ Dazu Hoeneß: „Das ist richtig.“

Die Verlesung der Anklageschrift dauerte nur sieben Minuten

Dann folgte die Anklageschrift. Um dieses Dokument war ein großes Geheimnis gemacht worden. 30 Seiten lang sei die Schrift, so wurde gemunkelt, gespeichert auf einem Hochsicherheitsserver der Münchner Justiz. Auf dass auch ja nichts nach außen dringe vor der Verlesung. Doch Staatsanwalt Achim von Engel hatte alles auf vier Seiten zusammengekürzt, und er benötigte ganze sieben Minuten, um das Zahlenwirrwarr vorzutragen. Von Engel, ein gewiefter Steuerexperte, wirkte unbeteiligt, fast gelangweilt, hin und wieder verhaspelte er sich gar. Doch dann kam die wesentliche Zusammenfassung: 33,5 Millionen Euro an Gewinnen verschwiegen, 3,5 Millionen Euro an Steuern hinterzogen. Angeklagt ist Hoeneß in „sieben Fällen“ deshalb, weil er für 2003 bis 2009 in Deutschland sieben Steuererklärungen abgegeben hatte und dabei die Millionen in der Schweiz konsequent verschwieg.

Und zwar sehr viel mehr Millionen, als sogar die Staatsanwaltschaft bis zu diesem Moment wusste. Fast wie in einer Nebenbemerkung ließ Hoeneß-Anwalt Hanns W. Feigen die Bombe platzen. Er erklärte, die Steuerschuld von Hoeneß sei nach Durchsicht der Unterlagen „noch deutlich erhöht, über 15 Millionen Euro hinaus“. Was bedeutet, dass Hoeneß statt der bisher angenommenen 3,5 Millionen sogar 18,5 Millionen Euro hinterzogen hat. „Das“, so Feigen, „ändert aber nichts daran, dass die Rückkehr des Herrn Hoeneß zur Steuerehrlichkeit zu bejahen ist.“ Heißt: dass das Gericht seine Selbstanzeige akzeptieren und für wirksam erklären sollte. Dann wäre die Höhe der Steuerschuld egal.

Hoeneß: Ich bin kein Sozialschmarotzer

Danach hatte Uli Hoeneß selbst das Wort ergriffen und brauchte dafür wesentlich länger. 20 Minuten lang verlas er eine Erklärung und räumte alle Vorwürfe ein. „Hohes Gericht“, sagte er, „die mir in der Anklage zur Last gelegten Steuerstraftaten habe ich begangen. Mit anderen Worten: Ich habe Steuern hinterzogen.“

Unter dem Strich habe er zwar zwischen 2003 und 2009 ein Minus gemacht. Dennoch hätte er Steuern zahlen müssen, das sei ohne jede Frage. Jetzt sei es an der Zeit, „reinen Tisch“ zu machen. Das habe er mit seiner Selbstanzeige einleiten wollen. „Mir ist klar, dass nur absolute Steuerehrlichkeit hilft. Mein Fehlverhalten bedaure ich zutiefst.“ Zeitweise erinnerte die abgelesene Erklärung auffällig an das Interview, das Hoeneß wenige Wochen nach seiner Selbstanzeige der „Zeit“ gegeben hatte. „In den Jahren 2002 bis 2006 habe ich richtig gezockt, mit Beträgen, die heute schwer für mich zu begreifen sind. Das war für mich ein Kick. Pures Adrenalin“, sagte er fast wortgleich vor Gericht.

Als Hoeneß schilderte, wie trotz seiner Selbstanzeige die Hausdurchsuchung und Verhaftung kam, wurde er emotional. „Ich war total geschockt. Auch wenn es gelang, den Haftbefehl gegen Kaution außer Vollzug zu setzen. Ich wollte nur nach Hause.“ Er vergaß auch nicht, seine soziale Seite zu erwähnen. „Ich bin kein Sozialschmarotzer. Ich habe seit 2001 fünf Millionen Euro an gemeinnützige Vereine gespendet. Ich will damit aber nicht angeben. Ich will die Sache hinter mich bringen.“ Dass das aber nicht so einfach geht, das machte dann Richter Heindl klar.

Zunächst entspann sich bei der Befragung noch ein angenehmer Dialog zwischen den beiden. Es ging um die Karriere von Uli Hoeneß, als Heindl sagte: „Sie waren Nationalspieler bis 1976. Daran können wir uns ja alle erinnern.“ Ein Seitenhieb auf den berühmten verschossenen Elfmeter im EM-Finale gegen die CSSR in Belgrad. Heindl fragte auch zum Flugzeugabsturz 1982, den Hoeneß nahe Hannover als einziger Insasse überlebte, und zu etwaigen Folgeverletzungen. „Der Rücken ist etwas malträtiert“, so Hoeneß. Darauf Heindl: „Oberhalb des Rückens ist aber nichts geblieben.“ Ein belustigtes Raunen durchdrang den Saal, bevor es dann ernst wurde. Denn nun ging es um die Geschäfte.

Nach der „Stern“-Enthüllung hatte es Hoeneß brandeilig

Um die Spekulationen auf Währungsankäufe. Euro gegen Dollar. Yen gegen Franken. Dollar gegen Yen. Jeder gegen jeden. Um Arrangements mit der Bank, ob Hoeneß Ansagen machte oder ob die Bank eigenmächtig handelte, etwa bei verschiedenen Anlageformen wie den sogenannten „Futures“. „Ich habe nie einen Kontostand angeschaut“, so Hoeneß. „Der Chefdevisenhändler ist ein sehr guter Freund von mir, zu dem habe ich 100 Prozent Vertrauen.“ Immer wieder bohrte Richter Heindl nach, warum er sich nicht selbst darum gekümmert habe, immer fachspezifischer wurde die Debatte, immer mehr geriet Hoeneß in die Schusslinie und in die Defensive, etwa als Heindl sagte: „Das waren doch keine Peanuts.“ Hoeneß berief sich seinerseits darauf, die Bank habe die Anlagen immer eigenmächtig verlängert, solange er nicht selbst der Bank Bescheid gab.

Und plötzlich hatte es Hoeneß dann sogar nicht nur mit dem Richter zu tun, sondern auch mit seinem eigenen Anwalt. Bei der Frage, ob er vom Vontobel-Konto auch mal Bargeld abgehoben habe, meinte Hoeneß: „Mein Gefühl sagt mir, dass es zwischen einer halben Million und einer Million ist.“ Da polterte Anwalt Feigen dazwischen: „Mein Gefühl ist, dass es schon etwas höher ist.“ Und als Hoeneß wenig später erklärte, die Ermittlungen durch Journalisten hätten bei der Selbstanzeige keine Rolle gespielt, da haute Feigen zu seiner Rechten auf den Tisch und sagte sehr laut: „Hat es natürlich. Da sind Ihnen die Gäule durchgegangen. Da sind Sie gerannt wie ein Verrückter.“ Hoeneß war sichtlich irritiert, doch Feigen wollte wohl verhindern, dass sein Mandant wieder wie ein Schwindler dastand.

Der Mittag des ersten Prozesstages lief dagegen deutlich entspannter für alle Seiten. Zwei Steuerfahnder, die als Zeugen geladen waren, hatten wenig Neues beizutragen, und jener pensionierte Finanzbeamte, der Hoeneß bei seiner Selbstanzeige half, verweigerte gleich ganz die Aussage. Stattdessen wurden seine Angaben aus den Ermittlungsakten vorgelesen, aber auch darin war wenig Spektakuläres. Klar wurde schließlich nur: Uli Hoeneß hatte es nach der Veröffentlichung des „Stern“ wirklich brandeilig, die Selbstanzeige zu machen. Und er wurde gewarnt, dass die dürftigen Angaben zu knapp sein könnten. Er sah aber keine andere Lösung und wollte die Sache angehen.