Der Test diesen Abend gegen den ewigen Rivalen Italien (20.45 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de) ist für Bundestrainer Joachim Löw weit mehr als nur sein 100. Länderspiel als Chef auf der DFB-Bank.

Mailand. Kurz nach der Ankunft im edlen Principe di Savoia an der zentralen Piazza della Repubblica in Mailand machte Joachim Löw mit Torwarttrainer Andreas Köpke zunächst mal eine kleine Entdeckungstour durch die Hotellobby. Eine opulente Eingangshalle, Marmorboden, klassische Einrichtung. Feingeist Löw dürfte das Zweitagequartier der DFB-Auswahl gefallen haben – auch wenn beim Bundestrainer eines deutschen Nationalteams in Italien wohl nur schwer entspannte Urlaubsgefühle aufkommen.

„Wenn man sich unsere Fußballgeschichte anschaut, dann muss man klar sagen, dass Italien einer der ganz wenigen Angstgegner Deutschlands ist“, sagte Philipp Lahm ein Stockwerk unter der pompösen Lobby, wo der Kapitän in Begleitung des perfekt italienisch palavernden DFB-Managers Oliver Bierhoff auch den heimischen Medienvertretern vor dem Prestigeduell an diesem Freitag (20.45 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) zur Verfügung stand. Gefragt waren vor allem die Erinnerungen Bierhoffs und Lahms an die schmerzlichen Pleiten bei der WM 2006 und der EM 2012, die Bierhoff mit einem Wort als „significativo“, also als „bedeutend“ einstufte.

Immer wieder Italien. Auf dem Charterflug von München nach Mailand am Donnerstagvormittag hatte Löw auch in den Zeitungen nachlesen können, dass die Partie gegen die Squadra Azzurra für die meisten Deutschen kein normales Freundschaftsspiel, sondern viel mehr ein Kampf gegen „das Trauma“ („Die Welt“), den „Angstgegner“ („Kicker“) oder gar gegen einen „Albtraum“ (Frankfurter Rundschau“) ist. Für Löw selbst, das hatte er am Tag vor dem einstündigen Flug über den Brenner betont, ist es dagegen ein Spiel gegen „einen Wunschgegner“.

Auf den ersten Blick mag es eine Diskrepanz zwischen der medialen und der Löwschen Betrachtungsweise geben, auf den zweiten Blick ergänzen sie sich. Tatsächlich war Italien schon immer ein unangenehmer Gegner. Von 31 Spielen gewannen die Deutschen gerade mal sieben, der letzte Erfolg liegt eine halbe Ewigkeit zurück. Am 21. Juni 1995 siegte die DFB-Auswahl 2:0. Löw spielte seinerzeit noch selbst Fußball, ging im Herbst seiner aktiven Karriere für den FC Frauenfeld auf Torejagd.

„Manchmal müssen Dinge richtig wehtun“

Nun bietet das vorletzte Länderspiel des Jahres am Abend im Mailänder Stadion San Siro dem mittlerweile 53 Jahre alten Fußballlehrer ausgerechnet in seinem 100. Spiel als Bundestrainer die lang erhoffte Möglichkeit, es seiner seit anderthalb Jahren wachsenden Schar von Kritikern zum Jahresabschluss noch mal so richtig zu zeigen. Nur zugeben würde Löw, ganz der Gentleman, das nicht.

„Manchmal müssen Dinge richtig wehtun, damit du daraus lernst“, sagte der Badener, den die bittere Halbfinalniederlage gegen Italien bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr wohl wie keinen zweiten geschmerzt hat. In nur 90 Minuten wurde aus „Super-Jogi“ („Bild“) eine Art „Depp der Nation“ – und das Schlimmste: Er wusste lange nicht, warum. „Nach und nach denkt man sicher, dass man es vielleicht auch hätte anders machen können“, sagte Löw nun vor der Halbfinal-Neuauflage, und meinte damit seine damals so umstrittene Aufstellung gegen Italien.

Bei der EM sorgte Löws Taktik-Fehler für das Aus

Eine Erkenntnis, die spät, für manchen zu spät kam. Am Tag nach jenem 1:2 hatte Löw im Flugzeug von Warschau nach Frankfurt noch mal ausgewählten Journalisten erläutert, warum man die Pleite nicht mit der Aufstellung erklären könnte. Löw verteidigte sich und wurde dafür erstmals in seiner Zeit als Bundestrainer so richtig angegriffen. Nicht nur extern durch Medien und Fans, sondern auch intern beim DFB.

Die Zeiten, in denen Löw als Liebling der Nation wahrgenommen wurde, waren von einem auf den anderen Moment vorbei. Noch kurz nach der WM 2010 hatte es der Coach bei einer „Spiegel“-Suche nach den vorbildlichen Deutschen auf den dritten Rang geschafft, bei einer Forsa-Umfrage der „Bild am Sonntag“ vor der EM 2008 landete Löw auf der Liste der vertrauensvollsten Persönlichkeiten Deutschlands sogar auf Platz zwei – geschlagen nur von Moderator Günther Jauch. Nach der EM galt Löw plötzlich als der Mann, der Toni Kroos Manndecker gegen Altstar Andrea Pirlo spielen ließ, Mesut Özil als eine Art Rechtsaußen ausprobierte und so einen vor dem Anpfiff sicher geglaubten Sieg ohne Not herschenkte.

„Das Klima hat sich schon ein wenig verändert“

Tatsächlich konnte Löw, der nach Punkten beste Bundestrainer aller Zeiten, nur wenig dafür, dass Özil damals einmal nicht hart genug nachsetzte, Jerome Boateng seinen Platz rechts hinten verlassen musste und der dafür nach außen gerückte Mats Hummels sich von Antonio Cassano austanzen ließ. Holger Badstuber stand in der Mitte alleine und hatte gegen den lauernden Mario Balotelli genauso wenige Chancen wie Löw später mit Erklärungsversuchen. Deutschland war gescheitert – und Schuld hatte vor allem der zuvor so gefeierte Bundestrainer.

„Das Klima hat sich schon ein wenig verändert“, gewährte Löw in dieser Woche der „Süddeutschen Zeitung“ zumindest einen kurzen Einblick in sein Seelenleben. Ein Sieg im Freundschaftsspiel gegen Italien, gegen das der grippekranke Mesut Özil wohl zunächst auf der Bank bleibt, könnte das verlorene Halbfinale von Warschau zwar nicht ungeschehen machen, für den Bundestrainer wäre es aber mehr als nur Sieg Nummer 69. Es wäre ein Fingerzeig: Wer in Italien gegen Italien gewinnen kann, der kann das auch im kommenden Jahr in Brasilien. Und spätestens dann will und soll der frühere „Super-Jogi“ wieder zu Liebling Löw werden.

Voraussichtliche Aufstellungen:
Italien:
Buffon – Abate, Barzagli, Bonucci, Criscito – Marchisio, Montolivo, Pirlo, Motta – Osvaldo, Balotelli.
Deutschland: Neuer – Lahm, Boateng, Hummels, Jansen – Khedira, Kroos – Müller, Götze, Reus – Kruse.
Schiedsrichter: Benquerenca (Portugal).