Gelingt es Bayerns Franck Ribéry, im Champions-League-Finale seine Weltklasse nachzuweisen? Oder schlägt Dortmunds Marco Reus zu?

London. Einst hatte es fast schon obsessive Züge, wenn Franck Ribéry über den kleinen goldenen Ball sprach, mit dem früher der beste Spieler Europas und seit 2010 auch der Weltfußballer des Jahres ausgezeichnet wird. Der "Ballon d'Or" stand in Ribérys Wertschätzung fast noch vor einem WM- oder Champions-League-Sieg. Wann immer es um Ziele und Visionen ging, erzählte Ribéry vom Gewinn dieser Wahl, in der er dann doch regelmäßig abgewatscht wurde. 28. und 16. etwa, das waren seine Platzierungen vor drei und vier Spielzeiten, weit entfernt von einem Messi oder Ronaldo. Obwohl sich Ribéry längst auf Augenhöhe wähnte.

Jetzt, ein paar Spielzeiten später, ist diese Vorstellung von Ribéry und dem goldenen Ball gar nicht mehr so abwegig. Nur scheint die Strahlkraft der Trophäe für Ribéry nicht mehr dieselbe zu sein wie einst. Jüngst, als er über seine Prioritäten plauderte, da sagte er: An Nummer eins stehe ganz klar das Champions-League-Endspiel am Sonnabend in London und dann in der Woche darauf das Pokalfinale in Berlin. Und die Wahl zum Weltfußballer, dem höchsten Einzeltitel? "Wenn Bayern alles gewinnt - schau'n mer mal." Ein wenig Bayerisch mit französischem Singsang, nach sechs Jahren München geht es Ribéry locker über die Lippen.

Natürlich weiß er, dass er gut im Rennen liegt. Selbst in dieser imposanten Rekordsaison der Münchner hat Ribéry eine exponierte Stellung. Der kleine Franzose mimt nicht mehr nur den Künstler, der der Schönheit des Spiels frönt, der aberwitzige Dinge mit einer Leichtigkeit vorführt, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Der Bayern-Profi mit dem größten fußballerischen Potenzial ist er schon seit Jahren, in dieser Saison aber hat er auch die Defensive für sich entdeckt. Einen "Mannschaftsspieler" nennt ihn Trainer Jupp Heynckes. "Man misst ihn immer an seinen Toren und Dribblings", sagt sein Kollege Bastian Schweinsteiger, "aber für mich ist er jetzt am wertvollsten", weil Ribéry nun auch noch nach hinten arbeite, ohne an Strahlkraft in der Offensive zu verlieren.

Lange war Ribéry auf internationalem Terrain so etwas wie ein ewiges Versprechen. In den großen Finals, den schillernden Spielen war er entweder außen vor, wie bei seiner Rot-Sperre im Endspiel gegen Inter Mailand vor drei Jahren. Oder aber es war schlicht und einfach nicht seine Partie, so wie im vergangenen Sommer gegen Chelsea im "Finale dahoam". Nicht, dass er seinerzeit ein wahnsinnig schlechtes Spiel machte, vor dem Drama im Elfmeterschießen hatte er sich sowieso schon verletzt auswechseln lassen. Aber die entscheidenden Akzente waren auch davor ausgeblieben.

Ribéry ist mittlerweile 30 Jahre alt. Es ist ein Alter, in dem Fußballer noch mal über Grundsätzliches nachdenken, über einen neuen Vertrag etwa. Sein jetziger läuft bis 2015, dem Jahr, für das Berlin am Donnerstag den Zuschlag für das Champions-League-Finale erhielt. München, sagt Ribéry, sei für ihn zur zweiten Heimat geworden. Die Fans verehren ihn, selbst die noch nicht ausgestandene Rotlichtaffäre, die einstige Koketterie mit anderen europäischen Klubs und das handfeste Kabinenduell mit Robben haben nichts daran geändert. 2010 nach dem verlorenen Finale stand Ribéry auf dem Rathausbalkon und verkündete den Fans auf Deutsch: "Ich habe gemacht fünf Jahre mehr." Und jetzt, für immer Bayern? "Warum nicht?", sagt er. Und dass es durchaus sein könne, dass es bei der anvisierten Feier nach dem Pokalfinale durchaus wieder etwas zu vermelden gibt. Vorher aber sollen Titel her.

Nichts gegen nationale Weihen, die Meisterschaft steht an erster Stelle, bemühte auch Ribéry vor der Saison die offizielle Bayern-Sprache. Er wolle aber unbedingt noch einen großen Titel in seiner Karriere gewinnen, sagte er damals. Die Bundesligasaison lief außergewöhnlich - für die Bayern, aber auch für Ribéry. Zehn Tore, 15 Vorlagen, er ist der wertvollste Vorbereiter der Liga, hat eine exzellente Passquote. Das alles sind hübsche statistische Details, dem Spiel von Ribéry werden sie dennoch nur bedingt gerecht. Einer wie Ribéry ziehe gleich mehrere Gegner auf sich, er verschaffe den anderen Platz und zaubere dennoch, sagt Bayerns Ehrenpräsident Franz Beckenbauer. "In dieser Saison hat er das auch in den wichtigen Partien bewiesen." In den Champions-League-Halbfinalspielen gegen Barcelona etwa, dem 4:0 im Hinspiel, dem 3:0 im zweiten Duell eine Woche später. Ribéry ackerte überall, nicht nur vorn, auch in der Defensive, er war auf Bayern-Seite der Spieler mit den meisten Pässen. Dazu kamen noch die zwei Torvorlagen im Rückspiel. "Ein Mann, der Wucht, Raffinesse und Eleganz verbindet wie kaum ein anderer", lobte die spanische Zeitung "Marca". Und nun also gegen den BVB in Wembley. "Dieser Titel ist so wichtig für mich", sagt Ribéry, "ich warte schon so lange darauf. Ich hoffe, dass es klappt. Es muss!"

Gut möglich, dass der Klub, der dort gewinnt, auch den Weltfußballer des Jahres stellt, sagt Beckenbauer. Er erwähnte Schweinsteiger und Ribéry als mögliche Kandidaten, aber auch Marco Reus, den Dortmunder, dem nach dem Ausfall von Mario Götze noch weit mehr Beachtung zuteil werden dürfte als ohnehin schon.

Als Deutschlands Fußballer des Jahres war der 23-Jährige im vergangenen Sommer von Mönchengladbach nach Dortmund gekommen. Es ist seine erste Champions-League-Saison. "Was der Junge macht, ist unglaublich", sagt Trainer Jürgen Klopp. Anpassungsschwierigkeiten? Doch nicht Reus! Großen Respekt vor großen Gegner? "Wir können auch Fußball spielen", antwortete er schon in der Vorrunde.

Damals ging es gegen Real Madrid, Manchester City und Amsterdam. Dortmund war in Lostopf vier, das war der internationale Stellenwert des Klubs. Diese so kometenhaft erscheinende Entwicklung des BVB zur Branchengröße lässt sich am besten an Reus illustrieren. Zwar war er auch vor einem Jahr kein Nobody mehr, aber nun hat er auch international einen beachtlichen Ruf.

Reus mag weniger am gesamten Dortmunder Spiel beteiligt sein als Ribéry in München. Weniger Ballkontakte, weniger Pässe, vor allem aber weniger Defensivzweikämpfe weisen das aus. Eines aber hat er Ribéry voraus: Er ist torgefährlicher. 14 Treffer in der Liga, vier in der Champions League. Und nicht irgendwelche. Dreimal schoss er auswärts in der Vorrunde das 1:0, im Viertelfinale dann das 2:2 im verrückten Málaga-Rückspiel, dazu sechs vorbereitete Großchancen, das sind exzellente Statistiken. "Er sieht aus wie ein Milchbubi und ist schon so eiskalt vor dem Tor", schrieb die "Gazzetta dello Sport". "Wo soll das erst hinführen, wenn er sich weiter so entwickelt?"

Irgendwohin ganz weit nach oben, das hoffen sie in Dortmund, zumindest aber soll Reus einer der Garanten dafür sein, dass der momentane Höhenflug von großer Nachhaltigkeit ist.

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