Serie: Augenzeugen der Bundesliga: 1971 deckte der Boulevard-Reporter Werner Bremser den Skandal um verschobene Erstligaspiele auf.

Hamburg/Neu-Isenburg. Die ältere Stimme am Telefon bittet freundlich um einen Rückruf am nächsten Tag. "Jetzt", sagt Werner Bremser, 88, "passt es gerade nicht." 24 Stunden später wird auch klar, warum er um einen neuen Termin gebeten hat. "Ich habe geprüft, ob Sie auch wirklich Journalist sind", sagt Bremser. Man könne ja nie wissen.

Die gesunde Portion Misstrauen hat den einstigen "Bild"-Reporter auch mehr als 40 Jahre nach seinem spektakulärsten Fall nicht losgelassen. Anfang der 70er heißt der Kanzler Willy Brandt, der Liter Sprit kostet 58 Pfennig, Hans Rosenthal sendet erstmals "Dalli Dalli". Und den deutschen Fußball erschüttert der größte Skandal seiner Geschichte. Nationalspieler verschieben Spiele im Abstiegskampf, Geldboten fahren in Luxuslimousinen Koffer mit Tausend-Mark-Scheinen kreuz und quer durchs Land. Und mittendrin steckt Bremser und recherchiert die Geschichte seines Lebens.

Genauer gesagt beginnt sie schon an einem Tag Ende der 60er, als Reporter Bremser auf dem Weg zu einem Heimspiel der Offenbacher Kickers einen verzweifelten Mann am Straßenrand neben einem defekten Auto aufliest. "Guten Tag, mein Name ist Horst-Gregorio Canellas", stellt der sich vor und bittet um Mitnahme zum Bieberer Berg: "Ich muss zum Kickers-Spiel."

Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Bekanntschaft. Der Boulevard-Reporter und der Südfrüchte-Händler, im Nebenjob Präsident der Kickers, werden sich zwar stets siezen, aber immer stärker vertrauen. Am 1. Juni 1971 kommt dann kurz vor Mitternacht der alles entscheidende Anruf. Der Kickers-Chef meldet sich aufgeregt: "Herr Bremser, ich werde erpresst. Morgen rufen sie wieder an. Können Sie nicht kommen? Ich brauche unbedingt einen Zeugen." Mehr als vier Jahrzehnte später erinnert sich Bremser an den wichtigsten Tag seiner journalistischen Karriere, als wäre er gestern gewesen: "Gegen 11 Uhr betrat ich die Villa von Herrn Canellas. Er bat mich zu seinem Telefon und drückte mir einen zweiten Apparat in die Hand."

In den folgenden elf Stunden zerbricht Bremsers Glaube an eine heile Fußball-Welt. Noch 1966 hatte er von der WM in England für Fritz Walter, den Helden von Bern und Saubermann, Kolumnen geschrieben. Jetzt muss er mithören, wie Nationalspieler wie Bernd Patzke (Hertha BSC) oder Manfred Manglitz (Köln) dem Chef der abstiegsbedrohten Kickers Schützenhilfe gegen Cash anbieten oder drohen, gegen Offenbacher Konkurrenten absichtlich zu verlieren. Patzke will einen "Verbindungsmann mit Tasche schicken", um 140.000 Mark einzusacken, Manglitz fordert 100.000 Mark, abzuliefern in einen "Mercedes 250 CE mit der Nummer von Grevenbroich".

Um 23 Uhr verlässt Bremser die Canellas-Villa. Im Block hat er den größten Skandal der deutschen Fußball-Historie und zugleich den größten Albtraum eines Journalisten. Er darf kein Wort schreiben. "Ich musste Canellas versprechen, dass ich die Informationen erst nach dem letzten Bundesliga-Spieltag verwerte." Bremser hält sich an sein Wort, informiert nur seine Chefs in der Hamburger "Bild"-Zentrale. Als Canellas dann fünf Tage später bei seiner Party zum 50. Geburtstag auf der Terrasse seiner Villa mehrere mitgeschnittene Telefonate auf einem Telefunken-Tonbandgerät abspielt - neben einer Handvoll Journalisten hört auch Bundestrainer Helmut Schön angewidert mit -, ist Bremser gar nicht dabei. Er hat Besseres hintun. In seine Schreibmaschine hackt er die Schlagzeile "Bild war Zeuge: Bundesliga-Schiebung".

Sicher, auch die Konkurrenz macht mit dem Skandal auf, doch nur Bremser hat alle Details. Auf der siebten Seite der "Bild" steht sein komplettes Protokoll der Schieber-Telefonate, eingebettet in den Bericht ist eine kleine Anzeige: "Die Schnapsidee, die Saures lustig macht - der Saure Fritz". Und nebenan verspricht "Bild" in einem Kommentar: "Wir werden diese Gauner mit allen Mitteln bekämpfen." In den nächsten Monaten rollt die Skandal-Lawine durch Deutschland. Bielefeld muss zwangsabsteigen, Offenbach verliert die Lizenz, 52 Profis werden gesperrt - manche sogar lebenslänglich, später indes begnadigt. Bremser liefert Aufmacher in Serie, muss sogar selbst in Frankfurt als Zeuge vor DFB-Chefankläger Horst Kindermann aussagen. Auf dem Gerichtsflur trifft er Nationalspieler Wolfgang Overath, der allen Bestechungsversuchen widerstand. "Bremserchen, Bremserchen, Sie gehen einen schweren Weg", sagt der Kölner. Und in der Tat muss ausgerechnet der Aufklärer Vorwürfe aushalten, er habe mit Canellas paktiert. "Auch bei vielen Kollegen galt ich als Nestbeschmutzer", erinnert sich Bremser.

Gerne würde er jetzt noch einmal alles nachlesen, aber seine inzwischen verstorbene Frau habe die Ordner mit dem ganzen Material irgendwann weggeworfen: "Ich kann sie ja verstehen, diese Zeit war auch für sie belastend." Einen Tag später ruft Bremser noch einmal an. Und diesmal gluckst seine Stimme vor Vergnügen: "Die Sache hat mir doch keine Ruhe gelassen. Ich habe noch einmal nachgeschaut. Und wissen Sie was: Ich habe meiner Frau Unrecht getan, die Ordner sind doch noch da." Gern könne er noch den einen oder anderen Artikel faxen. Die Geschichte seines Lebens wird Werner Bremser nicht mehr loslassen.