Elf WM-Spieler haben ausländische Wurzeln. Matthias Sammer und Junioren-Trainer Stefan Böger über Chancen und Herausforderungen.

Erasmia/Hamburg. Dieses Mal ist Marko Marin an der Reihe. Wenn die deutsche Nationalmannschaft am Freitag (13.30 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) im zweiten WM -Gruppenspiel gegen Serbien antritt, trifft der 21-Jährige auf seine Vergangenheit. In Bosanska Gradiska ist Marin als Kind serbischer Eltern im früheren Jugoslawien geboren, er kam als Kriegsflüchtling nach Frankfurt. Noch immer leben in Bosnien ein Großteil seiner Familie und viele Freunde. "Natürlich ist das ein ganz besonderes Spiel für mich", sagt Marin.

Schwarz-Rot-Bunt ist derzeit eines der zentralen Gesprächsthemen rund um die DFB-Mannschaft, weil neben Marin noch zehn andere Spieler einen Migrationshintergrund haben und so die DFB-Auswahl zu einer Inter nationalmannschaft machen.

"Dass diese alle zusammen ein großes Ziel verfolgen und eine Einheit bilden, ist ein starkes Zeichen der Integration", freut sich DFB-Präsident Theo Zwanziger, dessen Verband seit 2007 den Integrationspreis "Fußball: viele Kulturen - eine Leidenschaft" auslobt.

"Der spielerische Einfluss ist zu spüren", sieht Bundestrainer Joachim Löw einen Grund für das im Vergleich zu früher viel ansehnlichere Spiel bei seinen "Ausländern" im Team. "Sie lieben es, guten Fußball zu spielen, sie wollen kombinieren und haben Spielfreude." DFB-Sportdirektor Matthias Sammer erkennt noch einen anderen Vorteil: "Gerade diese Spieler bringen häufig ein großes Maß an Willensstärke. Sie sehen den Fußball auch als Chance für den sozialen Aufstieg."

Der häufig vermittelte Eindruck, diese Spieler wären quasi ein Präsent anderer Nationen an den DFB, täuscht jedoch. Neben Marin sind nur Lukas Podolski, Piotr Trochowski, Miroslav Klose (alle Polen) und Cacau (Brasilien) im Ausland geboren. Beispielhafter für die jüngste Entwicklung beim DFB sind die Lebenswege der in Deutschland geborenen Sami Khedira, Serdar Tasci und Mesut Özil, Dennis Aogo, Jerome Boateng und Mario Gomez, die schon vom Kindergarten an integriert in die Abläufe in Deutschland waren, fast alle die Juniorenteams des DFB durchlaufen haben und somit das Produkt einer vor allem nach 2006 wesentlich professionelleren Nachwuchsarbeit des Verbandes sind.

"Mich freut sehr, wie entschlossen, klar und positiv so junge Spieler auch abseits des Rasens auftreten", lobt Sammer. "Sie sind bereit, sich bei uns zu integrieren, sich auf unsere Tugenden einzulassen. Dies hat für mich absoluten Vorbildcharakter."

Dass sich diese Spieler so verhalten, ist indes alles andere als ein Zufall, wie ein Blick auf die Betreuung des DFB-Nachwuchses zeigt. Stefan Böger, der von 1997 bis 1999 für den HSV spielte, betreute als Trainer die U-17-Auswahl in der EM-Qualifikation. Beim letzten Gruppenspiel, passenderweise gegen Serbien (4:1), standen Spieler mit Wurzeln in Angola, Kamerun, der Türkei, Brasilien und den USA auf dem Platz. Zur neuen Saison stellt Böger eine U-16-Auswahl zusammen und kann sich dabei über zahlreiche Unterstützung freuen. Während früher häufig nur drei, vier Betreuer bei der U 16 mitreisten, gibt es inzwischen einen Fitnesscoach, einen Torwarttrainer, einen Arzt, zwei Physiotherapeuten, einen Psychologen und zwei Co-Trainer. Von August bis Mai finden jeden Monat Aktivitäten statt, neben Länderspielen auch Leistungstests, Lehrgänge oder ein zehntägiges Trainingslager im Winter. "Wir sind richtig gut aufgestellt und können den Spielern eine Rundum-Pflege bieten", freut sich Böger. "Von den Strukturen her sind wir top in Europa, vielleicht sogar in der Welt." Viel Wert legen Böger und auch die anderen "U-Trainer" wie Horst Hrubesch auf die Persönlichkeitsentwicklung, um die Spieler die richtigen Werte wie Anstand und Respekt sowie das richtige Auftreten in der Gruppe zu lehren.

Längst hat sich die gute Ausbildung herumgesprochen. "Das Interesse, für Deutschland zu spielen, ist deutlich höher geworden", bestätigt Böger, in dessen U-17-Kader die Hälfte aus Jugendlichen von Einwanderer-Familien bestand. Dass sich das prozentuale Verhältnis in den kommenden Jahren noch weiter verschiebt, weil Kinder von Ausländern ihre Aufstiegschance suchen, glaubt der 44-Jährige jedoch eher nicht: "Es gibt auch genügend arme deutsche Familien. Außerdem haben wir Zulauf von Jugendlichen aus allen Schichten der Bevölkerung."

Der Erfolg in der Jugendarbeit stellt den DFB aber auch vor neue Herausforderungen: "Durch die gewachsene Zahl der Talente können wir nicht mehr jedem Spieler die ganz große Perspektive bieten", sagt Sammer. "Da ist für manch junge Spieler die Verlockung groß, international für ihre andere Heimat zu spielen. Entsprechend intensiv müssen wir versuchen, diese Spieler zu überzeugen. Bei Eric-Maxim Choupo-Moting und bei Joel Matip (spielen beide für Kamerun, d. Red.) haben wir dies leider nicht geschafft, was ich sehr bedauere."

Diejenigen, die sich für Deutschland entscheiden, sind dagegen mit Leidenschaft und Herz dabei. Wenn Löw jetzt in Südafrika sagt, dass es ihn erfreue, dass seine Spieler sich "stark mit dem Adler auf der Brust identifizieren", so ist auch das das Ergebnis der früher erledigten Arbeit. Nur ein Detail: Bereits in den Junioren-Auswahlteams wird den Jugendlichen der Text der Nationalhymne näher gebracht.

In der Kabine haben die Nationalspieler sich ebenfalls wieder - ähnlich wie 2006, als vor den Spielen Xavier Naidoos "Der Weg" aus den Lautsprechern dröhnte - eine eigene Hymne gesucht. Das Lied "Fackeln im Wind" von Bushido, das der Sänger mit Kay One aufgenommen hat, initiierte Khedira, der mit Bushido befreundet ist. Beide haben einen tunesischen Vater und eine deutsche Mutter. Wie könnte es einen besseren Absender für dieses Team geben?