Der neue Skandal im Fußball zeigt: Das Internet bietet den Betrügern zahllose Schlupflöcher, die nicht kontrollierbar sind. Ein Report von Udo Muras.

Beim VfL Osnabrück haben sie nicht schlecht gestaunt, als im Frühjahr ein Spieler um einen Gehaltsvorschuss von rund 20 000 Euro bat. Die Führung des damaligen Zweitligisten war darauf nicht vorbereitet und suchte sogar einen Gönner für die ungewöhnliche Bitte eines Fußballprofis. Denn wenn es dieser Spezies gewöhnlich an etwas nicht mangelt, dann an Geld.

Die Frage ist nur, wie sie mit den beträchtlichen Einkünften umgeht. Dieser Spieler - das Gerücht ging schon eine Weile um in Osnabrück - hatte eine fatale Leidenschaft: Fußball-Wetten. Die sollen ihn in die Schuldenfalle getrieben haben, sodass Geldeintreiber eines illegalen Wettbüros ihn unter Druck setzten.

Und so ergeben die Dinge, die seit dieser Woche Deutschland nicht nur als Fußball-Nation aufrütteln, plötzlich Sinn in Osnabrück. Mindestens 32 Spiele sollen seit Januar 2009 von einer vorwiegend aus dem Ruhrgebiet und Berlin operierenden Wettmafia auf deutschem Boden manipuliert worden sein. Mindestens zwei der laut Staatsanwaltschaft Bochum vier verschobenen Zweitligaspiele sollen die Osnabrücker bestritten und verloren haben. Das führte im Juni zum Abstieg des VfL, dessen Manager Lothar Gans sagt: "Wenn das stimmt, sind wir natürlich alle erschüttert." Es dürfte stimmen. Tatsache ist, dass es Augenzeugen gibt, die den Haftbefehl gegen einen Hintermann aus dem niedersächsischen Lohne gesehen haben. Er soll in Asien 150 000 Euro auf eine Osnabrücker Niederlage am 17. April in Augsburg mit drei Toren gesetzt haben. Das Spiel endete wunschgemäß 3:0 für Augsburg. Auf dem Haftbefehl waren nach Informationen der "Welt" auch drei Osnabrücker Spielernamen erwähnt - mitsamt den jeweiligen Bestechungssummen: Thomas Reichenberger, Thomas Cichon (inzwischen in Johannesburg/Südafrika beim Erstligisten Moroka Swallows) und Marcel Schuon (nun beim SV Sandhausen, bereits verhaftet).

Cichon streitet alles ab: "Ich weiß nicht, dass gegen mich ermittelt wird. Wer mich kennt, der weiß, was los ist, damit habe ich nichts zu tun. Das ist reine Spekulation, ich höre davon zum ersten Mal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeiner vom VfL Osnabrück damit zu tun hat." Bei Marcel Schuon, Cichons ehemaligem Mitspieler aus Osnabrücker Zeiten, führte die Polizei bereits eine Hausdurchsuchung durch.

Fassungslos reagierte der damalige Trainer der Mannschaft, Claus-Dieter Wollitz (44), der heute bei Energie Cottbus unter Vertrag steht. Nach der 1:2-Niederlage in Düsseldorf sagte er am Freitagabend im Pay-TV-Sender Sky: "Ich bin nicht nur erschüttert, sondern am Boden zerstört. Mir tut das richtig weh. Ich bin total fertig, dass der Verein genannt wird, bei dem ich fünf Jahre tätig war. Es wird zwar nicht bestätigt, aber der Verein ist genannt." Der frühere Profi (u.a. Schalke, Kaiserslautern) total aufgewühlt: "Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil man jede einzelne Szene durchgeht." Nach dem 0:3 der Osnabrücker in Augsburg hatte er sich für die Leistung seiner Truppe entschuldigt. Jetzt steht genau dieses Spiel unter Manipulationsverdacht. Wollitz: "Ich will das nicht glauben. Ich möchte nicht, dass das wahr ist, weil: dann bricht für mich eine Welt zusammen." Und wenn sich der Betrugsverdacht bestätigt? "Dann brauche ich keine Unterstützung, sondern viel Hilfe ..."

Was immer sie noch finden werden (am Freitag wurde auch der Würzburger Landesligaspieler Kristian Sprecakovic verhaftet), eines steht fest: Der Skandal ist zurück, und die Erben Robert Hoyzers betrügen munter weiter. Auch seine damaligen Anstifter wurden in Berlin verhaftet.

Dabei schien doch Ruhe eingekehrt zu sein. Seit dem Fall Hoyzer gilt etwa, dass Schiedsrichteransetzungen erst am Spieltag publiziert werden, Spielerverträge enthalten ein Wettverbot, und seitdem haben viele Wettanbieter ihre Maximaleinsätze reduziert und schauen auch genauer hin, wenn Kunden zu oft gewinnen. Außerdem gibt es das technische Überwachungssystem Sportradar, das täglich bis zu 8000 Sportwetten im Internet beobachtet und auffällige Quotenbewegungen erkennen kann - bei den rund 300 seriösen Wettanbietern, die kooperieren, wohlgemerkt.

Das sind die meisten in Europa, doch das Problem bleibt der asiatische Markt. Auch ein Großteil der Wetten auf die rund 200 europäischen Spiele, die jetzt unter Manipulationsverdacht stehen, wurde in Asien und dazu nach Informationen der "Welt" noch in geschlossenen Zirkeln platziert.

So konnte, wie der Uefa-Funktionär Peter Limacher in Bochum erwähnte, das Sportradar gar nicht helfen. Aber es liegt auch am Wettangebot an sich, dass so mancher auf dumme Gedanken kommt. Gab es fast 100 Jahre lang nur Ergebnistipps auf Sieg, Remis oder Niederlage, können die Kunden heute in der Zauberwelt des Internets allein bei über 3500 deutschsprachigen Anbietern die absonderlichsten Wetten abschließen. Etwa wie viele Einwürfe es in Zehn-Minuten-Tranchen gibt, ob der Ball in 90 Minuten Pfosten oder Latte trifft, die Anzahl der Eckbälle, die Summe der Rückennummern aller Torschützen und weitere Absurditäten wie die vom vierten Offiziellen angezeigte Nachspielzeit.

Das überbordende globale Wettangebot löst so manches finanzielle Problem ganz pragmatisch. So ist es in Osteuropa vorgekommen, dass Mannschaften nach einer hohen Hinspielniederlage im Europapokal im Rückspiel auf ihre eigene Niederlage wetteten, um die Reisekosten zu finanzieren. Besonders attraktiv auch für ehrliche Wetter sind die Live-Wetten während einer Partie, weil die Quoten nach Toren wie eine Wippe in die Höhe schnellen. Auch mit bedeutungslosen Testspielen lassen sich so Zigtausende verdienen. Wer vergangenen Sonnabend auf einen Sieg von Bundesligist Hertha BSC gegen Amateurklub Türkiyemspor setzte, als es zehn Minuten vor Schluss noch 1:2 stand, bekam beim Anbieter bet365 in England das 21-Fache seines Einsatzes ausbezahlt. Hertha siegte noch mit 3:2 und machte so mehr Zocker als Fans glücklich.

Vergeblich forderte DFB-Präsident Theo Zwanziger schon 2005 die Abschaffung dieser Live-Wetten: "Wenn ein paar Betrüger entscheiden können, ob ein Ereignis wie gewettet eintritt, dann ist der Sport kaputt." Oder ein boomendes Geschäft geht kaputt, das sich trotz staatlicher Ächtung auch in Deutschland hält. Die Kunden wetten einfach per Mausklick im Ausland. Weltweit wurden 2005 rund 260 Milliarden Dollar mit Sportwetten umgesetzt, Experten rechnen mittlerweile mit einer Verdreifachung. Und jede aufgedeckte Manipulation ist offenbar gut fürs Geschäft. Das nämlich war eine perverse Folge des Hoyzer-Skandals: Viele Kunden erkannten damals erst, was alles möglich ist im weltweiten Netz.