Hannover. Am Morgen nach dem großen Trauermarsch präsentiert sich der Platz vor dem Stadion in sanftem Herbstlicht. Dennoch ist hier nichts wie an einem normalen Donnerstag in Hannover. Überall brennen wieder Kerzen, den Boden ziert ein Meer aus Blumen, seit der Nacht sind viele Fotos dazugekommen. Und Widmungen wie diese für den Fußball-Nationaltorhüter, der sich das Leben nahm: "Wir haben einen Engel verloren. Aber, verdammt, wir hätten ihn gern wieder. Ruhe in Frieden, Robert Enke. Dein Nico".

Viele Menschen haben sich auch am Donnerstagmorgen versammelt - und bei Weitem nicht alle sind Fans von Enkes Verein Hannover 96. Vor einer Kerze steht ein bulliger Mann mit kurzer Gelfrisur. Auf seiner Jacke prangt das Vereinswappen von Arminia Bielefeld. Andrew Hunt, seit 15 Jahren für die britischen Streitkräfte in Deutschland stationiert, ist den Weg aus Ostwestfalen gefahren, um Robert Enke zu ehren. "Das hier", sagt Hunt, "hat nichts mit Konkurrenz auf dem Platz zu tun." Denn hier gehe es um einen großen Menschen, um einen großen Sportler, um ein schlimmes Schicksal.

Ruhiger ist der zweite Tag nach Enkes unfassbarer Tat, das schon, aber es hat den Anschein, dass die Stadt erst heute zu begreifen beginnt, was geschehen ist. In der Nacht zuvor waren 35 000 trauernde Gleichgesinnte durch die Innenstadt gezogen.

Gestern waren viele mit ihrer Trauer wieder allein, doch Enke blieb allgegenwärtig: In der Straßenbahn und am Kiosk sind die Fotos des Idols übrig geblieben, die auf jeder Titelseite prangen.

Neue Details zur Nacht, in der sich Robert Enke 2,5 Kilometer von seinem Haus in Empede vor einen Regionalexpress warf, gab es gestern auch. Bisher hieß es, Enkes Frau Teresa, die mit ihren Antworten auf der Pressekonferenz am Mittwoch die ganze Nation ergriff und beeindruckte, habe den Abschiedsbrief ihres depressiven Mannes erst gefunden, nachdem sie an der Unfallstelle war. Doch in Wahrheit hatte sie ihn bereits gefunden, bevor sie sich ins Auto setzte, um ihren Mann zu suchen. Den Brief hatte Robert Enke zu Hause zwischen ein paar Zeitungen gelegt.

Am Donnerstag blieb Teresa Enke am Vormittag im Hause. Sie wird betreut, ließ der Verein wissen. Sie muss sich davon erholen, öffentlich über die Krankheit gesprochen zu haben, auch wenn das auf ihren eigenen Wunsch geschah. Am Mittag dann besuchte sie das Grab ihrer Tochter Lara, in dem auch ihr Mann beigesetzt werden soll. In ihrer Begleitung war ein Steinmetz, der eine Änderung der Inschrift des Grabsteins vornahm.

Im großen Konferenzraum der Geschäftsstelle haben sich an einem hellen runden Holztisch die Verantwortlichen des Vereins versammelt. Manager Jörg Schmadtke ist da, flankiert von seiner Sekretärin, die eben am Telefon aus Istanbul die Anfrage eines früheren Mitspielers entgegennahm. Der Mann wollte unbedingt bei der Trauerfeier für den Nationaltorwart dabei sein.

Diese Feier dominiert den Tag. Fast scheint es, als ob sie es sei, die die Menschen in der Geschäftsstelle antreibt und willkommene Ablenkung in all der Trauer ist. Fest steht bisher so viel: Am Sonntag, 11 Uhr, werden alle Klubs der Liga ihre Abgesandten ins Stadion von Hannover schicken. Auch die Nationalmannschaft mit Trainer Joachim Löw und seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann und Vertretungen von Enkes ehemaligen Vereinen FC Barcelona oder Benfica Lissabon werden da sein. Es wird erwartet, dass das Stadion mit 45 000 Menschen gefüllt ist.

Enke selbst soll im Anschluss im engsten Familienkreis beigesetzt werden. Ob das Spiel gegen Schalke 04 am 21. November stattfinden wird, kann noch niemand sagen, alles Sportliche ist in diesen Tagen zweitrangig.