Der unbändige Siegeswille der Nordderbys soll Werder Bremen zum größten internationalen Triumph der Vereins-Geschichte treiben.

Istanbul. Im Hexenkessel von Istanbul wollen die Bremer am Mittwoch (20.45 Uhr/Sat.1 und Premiere) gegen Schachtjor Donezk eine völlig missratene Bundesliga-Saison vergessen lassen und 17 Jahre nach dem Pokalsieger-Coup in Lissabon den Uefa-Cup in den türkischen Nachthimmel stemmen.

Antreiber Torsten Frings feuerte das Team am Dienstag vor der mit gut 45-minütiger Verspätung erfolgten Abreise mit Sonderflug AB 1004 an: „Wir haben die große Chance, eine verkorkste Saison zu einer ganz super-tollen Saison zu machen.“ Für ihn wäre die letzte Auflage des Uefa-Cups „ein supergeiler Titel“. Werders Cup-Spezialisten setzen gegen den ukrainischen Vizemeister auf die Qualitäten, die sie in den verrückten Derby-Wochen gegen den gedemütigten Hamburger SV gezeigt haben. „Was man in so einem Finale braucht, hat die Mannschaft in dieser Saison oft gezeigt, vor allem gegen den HSV – die Siegermentalität“, sagte Sportdirektor Klaus Allofs voller Selbstbewusstsein: „Das braucht man für die Endspiele.“

Dass dabei drei Stammspieler fehlen, darunter Spielmacher Diego und Abwehrchef Per Mertesacker, schreckt die Bremer nicht, die noch um den Einsatz von Frank Baumann (Adduktorenprobleme) bangen. „Ausfälle haben uns immer enger zusammengeschweißt“, sagte Clemens Fritz. Zwölf Jahre nach den Eurofightern von Schalke 04 kann erneut ein deutscher Club den Uefa-Cup gewinnen.

Es wäre die vorläufige Krönung der zehnjährigen Ära unter Trainer Thomas Schaaf und Manager Allofs. „Wir haben die Meisterschaft gewonnen, wir haben den Pokal gewonnen, aber noch nicht so einen Titel“, so Allofs: „Das wäre sensationell!“ Werder würde in die Geschichtsbücher eingehen als letzter Sieger des Uefa-Cups, denn der traditionsreiche Wettbewerb wird abgeschafft und kommende Saison durch die Europa League ersetzt. Dass Werder bis ins Finale gekommen ist, liegt an den besonderen Fähigkeiten der Mannschaft, die sie in der Liga nur selten gezeigt hat, aber bei den Höhepunkten in den Pokalwettbewerben abrufen konnte. „Wir haben die ganze Hinrunde verschlafen“, sagte Torwart Tim Wiese, dazu weite Teile der Rückrunde. Und: „Die Champions League haben wir auch abgeschenkt.“

Erst mit dem unerwarteten 2:1-Sieg im letzten Spiel der Königsklasse gegen Inter Mailand kam die Wende. Werder schaffte den Sprung in den Uefa-Cup – und das ohne Diego. Es folgten die Pokal-Erfolge, unter anderem gegen das Starensemble von AC Mailand und dreimal gegen den HSV, so dass mit einem Sieg im DFB-Pokalfinale sogar das „Cup-Double“ greifbar nahe ist. „Es sieht so aus, dass wir dieses Jahr bei den großen Spielen zur Stelle sind“, sagte Frings. Dass das Titelrennen in der Liga ohne sie stattfindet, versuchen die Bremer nun zu verdrängen. „Wir müssen nur gewinnen, dann ist es so wie eine Meisterschaft“, kommentierte Wiese.

Schmerzlich ist vor allem Diegos Ausfall, doch Wiese verweist auf die positiven Erfahrungen gegen den AC Mailand: „Es ist zwar schwer, aber wir können auch ohne ihn gewinnen.“ Für den Ballzauberer aus Brasilien wird Mesut Özil als Spielmacher, für den verletzten Mertesacker Sebastian Prödl neben Naldo im Abwehrzentrum agieren, und den ebenfalls gesperrten Hugo Almeida ersetzt Markus Rosenberg als Nebenmann von Torjäger Claudio Pizarro. Das Konzept gegen Donezk ist nicht allein der bekannte Offensiv-Schwung der Bremer. „Das ist eine offensivstarke Mannschaft mit vielen Brasilianern“, erklärte Frings: „Denen musst du die Lust nehmen, Fußball zu spielen.“ Dabei basiert der Lustfußball der Osteuropäer auf knallharter Abwehrpolitik.

Schachtjors rumänischer Trainer-Routinier Mircea Lucescu vertraut einem kompakten Defensiv-Verbund um Kapitän und Abwehrchef Dario Srna (Kroatien), dem beim Toreverhindern die erfahrenen Nationalspieler Razvan Rat (Rumänien) und Igor Duljaj (Serbien) assistieren. Das brasilianische Kreativ-Mittelfeldtrio Fernandinho/Ilsinho/Jadson ist für Kombinations-Sicherheit, Esprit und Hochgeschwindigkeits-Fußball bei Ballbesitz verantwortlich. Alleinunterhalter im Sturm ist der vierte Brasilianer, Luiz Adriano.

„Wir werden Geschichte schreiben“, verspricht Lucescu, 2004 als Nachfolger von Bernd Schuster nach Donezk gekommen. Understatement ist bei den Neureichen aus Osteuropa nicht angesagt. Schließlich will der milliardenschwere Club-Besitzer Rinat Achmetov für seine jahrelangen Investitionen in Höhe von geschätzten 500 Millionen Euro endlich auch internationale Rendite sehen.