Der italienische Nationalspieler kam nach einer Herzoperation zurück. Seine Scherze sind oft jenseits des guten Geschmacks.

Krakau. Ingo Appelt füllt bald wieder die Hallen, Sacha Baron Cohen alias "Borat" oder "der Diktator" feiert Kinoerfolge. Doch der eigentliche Star der Komiker-Szene tourt derzeit durch Polen und die Ukraine. Antonio Cassano heißt er, seine offizielle Berufsbezeichnung lautet Fußballprofi, in seiner Steuererklärung und im Facebook-Profil müsste aber eigentlich stehen: Entertainer. Und zwar einer, der harmlose Witze reißt, jedoch auch mal die Zone des guten Geschmacks verlässt. Wie Appelt und Cohen, nur tapsiger. Der italienische Nationalstürmer soll seine Mannschaft am Donnerstag (18 Uhr, ARD) in Posen gegen Kroatien zum ersten Sieg bei der EM führen - und schon vor dem Anpfiff dreht er auf. Und hat mit schwulenfeindlichen Äußerungen für einen Eklat gesorgt. Mal wieder.

Der italienische Verband hat in der Krakauer Innenstadt einen Treffpunkt für Offizielle, Journalisten und Sponsoren eingerichtet, die "Casa Azzurri". Der Kaffee, die hübschen Hostessen, die Stimmung - hier ist alles italienisch. Kürzlich hat der Musiker Umberto Tozzi hier ein Konzert gegeben, an diesem Tag ist es Cassanos Bühne. Der 29-jährige Profi vom AC Mailand tänzelt herein, ungefragt beginnt er die Pressekonferenz mit Scherzen über die Journalisten. "Schläfst du, oder was?", ruft er einem Reporter zu, der müde wirkt. Alle lachen.

Cassano genießt diese Auftritte, das ist ihm anzusehen. An seinen Ohren blitzen Diamant-Ohrringe, er gestikuliert wild und spricht laut, das weiße Poloshirt betont die Armmuskeln, die Haare hat er nach oben gegelt. Eine eigenwillige Rhetorik und Gestik wie Giovanni Trapattoni, ein Faible für Körperkult wie David Beckham, Freude an Bling-Bling-Schmuck wie Cristiano Ronaldo. Was für eine Mischung. Und er grinst die ganze Zeit.

Wirbel um Cassano: "Hoffe, keine Schwulen in der Mannschaft"

Italiens Coach Prandelli setzt auf Kontinuität in der Defensive

Cassano feiert jeden Tag. Freut sich, dass er lebt. Leben darf. Im vergangenen Jahr erlitt er einen Herzschlag. Plötzlich war alles anders. Plötzlich die Frage: Ist es bald vorbei? Auch dieses ernste Thema ist Teil seines Bühnenprogramms. Für wenige Augenblicke ist Cassano ernst. Er habe nicht mehr damit gerechnet, bei der EM spielen zu können. "Ich war zwischen Leben und Tod. Ich hatte sehr viel Angst. Und ich bin Gott sehr dankbar, dass es gut gegangen ist." Eine Operation rettete ihn, und er kämpfte sich zurück.

Als sein Herz versagte, war Cassano schon lange einer der besten Fußballer des Landes. Mit 17 das erste Profilspiel, gemäß Trainerlegende Trapattoni "die Zukunft des Landes." Auf jeden Fall schaffte er es zum Enfant terrible Italiens, der damalige Trainer Marcello Lippi strich ihn zwischenzeitlich trotz guter Leistungen aus der Nationalmannschaft, weil er den Teamgeist gefährdet sah. Cassano provoziert gern. 700 Frauen habe er beglückt, tönte er mal.

Der neue Nationaltrainer Cesare Prandelli aber vertraut ihm, für ihn sind die sportlichen Qualitäten ausschlaggebend. Dank des guten Verhältnisses zum Trainer und der Leistung seiner Mannschaft beim 1:1 im ersten EM-Spiel gegen Spanien ist Cassano optimistisch: "Wir müssen wieder so spielen." Viele hatten erwartet, dass Italien den berühmten Catenaccio anwendet, defensiv auftritt. Stattdessen spielte die Mannschaft beim Auftakt recht offensiv. Wie kommt's? "Der Trainer hat das entschieden. Er hat gesagt, dass wir den Ball laufen lassen sollen."

Die Krankheit hat Cassano verändert. Er ist lockerer und freundlicher. Die "Gazzetta dello Sport" schrieb: "Der neue Cassano scheint stärker und reifer zu sein. Vielleicht hat ihn die Angst vor einem vorzeitigen Ende seiner Karriere geholfen, sich von der Last der Vergangenheit zu befreien."

Der Volksmund sagt: Wer als Kreis geboren wird, entwickelt sich nicht zum Quadrat. Cassano hat die Neigung behalten, übers Ziel hinaus zu schießen. Auf seiner Pressekonferenz fragen Reporter ihn nach dem homosexuellen italienischen Fernsehmoderator Alessandro Cecchi Paone, der erzählt hat, er habe Beziehungen mit zwei Profifußballern geführt und in der italienischen Mannschaft gebe es zwei Homosexuelle und einen Bisexuellen. Was er dazu sagt, wollen die Reporter aus der Heimat wissen. Cassano will zuerst nicht antworten, doch er ist so aufgedreht, dass er es doch tut. "Ich hoffe, dass keine Schwulen in der Mannschaft sind", sagt er. Offenbar denkt er, mit einem Augenzwinkern ist alles lustig und erlaubt. Die Aussage sorgt international für Empörung. Cassano entschuldigte sich später, Schwulenfeindlichkeit sei ihm fremd. Er habe nur sagen wollen, des es ihn nicht betreffe. Manchmal redet er eben so viel, dass auch Unsinn dabei ist.

Italienische Homosexuellen-Organisationen fordern von Trainer Prandelli, Cassano von der EM auszuschließen. "Wer seine Verachtung gegenüber anderen zum Ausdruck bringt, kann die Nationalmannschaft nicht würdig repräsentieren", sagt Andrea Maccarone vom "Circolo di cultura omosessuale Mario Mieli". Cassano wird bleiben.

Es war wohl eher eine Mischung aus Machogehabe und Unbedachtheit als Böswilligkeit. Genau wie bei seiner Reaktion auf die Transferpolitik seines Klubs. Dass der AC Mailand Abwehrspieler Thiago Silva wohl an Paris St. Germain verkauft, sei "ein Verbrechen", Milan sei dann nur noch die Hälfte wert. "Ohne ihn können wir den Meistertitel und die Champions League als Ziele vergessen." Er werde nach der EM überlegen, ob er in Mailand bleibe. Bis dahin will er beweisen, dass viele Experten und Fans Italien zu Unrecht als Außenseiter betrachten. "Italien", sagt Cassano, "zählt immer zu den Favoriten." Dann geht er lachend aus der Casa Azzurri, ab zum Training. Heute Abend steht seine nächste Show an, diesmal auf dem Rasen.

Keine Worte, nur Pässe und Schüsse. Das wäre derzeit vielleicht besser für ihn. Ein Tor kann den italienischen Fans ohnehin ein Strahlen ins Gesicht zaubern, wie es keine Blödelei schafft.