Mit dem 5:2-Sieg im Pokal-Finale hat Meister Borussia Dortmund den nächsten schwarz-gelben Nadelstich gegen den FC Bayern München gesetzt.

Berlin. Die Uhr zeigte 1:30 Uhr, als die Pokalsieger endlich die Bühne enterten. "Komm, Kehli, halt das Ding mal hoch", rief Hans-Joachim Watzke, Geschäftsführer der Dortmunder Borussia, ins Mikrofon. Sebastian Kehl, Kapitän der Borussia, tat wie befohlen und stemmte den Pokal in den Glitzerschein vom "ewerk". Schwarz-gelbe Vereinslieder wummerten so laut durch die ehemalige Techno-Disco, dass Horst Köppel sich in eine benachbarte Ruhezone flüchtete.

1989 hatte Köppel als Trainer Dortmund zum letzten großen Pokaltriumph geführt. Damals gewannen die Borussen durch ein 4:1 gegen Werder Bremen das Finale. Beim chaotischen Siegerbankett fand nicht einmal Norbert Dickel, mit zwei Toren damals als Held gefeiert, einen Platz im Festsaal. Stattdessen betrank er sich an der Bar mit dem damaligen Arbeitsminister und BVB-Fan Norbert Blüm.

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23 Jahre später in der Nacht des Triumphs nach dem 5:2-Sieg der Dortmunder über den FC Bayern teilten Hostessen mit Scannern die Party-Gäste in VIPs und Super-VIPs, die auf der Galerie mit der Mannschaft feiern durften. Auf der natürlich schwarz-gelben Speisekarte "Double-Sieger 2012" prangten Schale und Pokal - die für den Fall einer Niederlage nur mit einer Schale bedruckten Karten wanderten direkt ins Altpapier. Selbst an unzureichend ausgerüstete Tänzerinnen hatte der Klub gedacht: An einem Dortmund-Büdchen im Stil der 50er-Jahre gab es neben Meisterzigarren Einwegballerinas mit eingewebtem Vereinsemblem.

Perfekter, so wohl auch das Signal an das eher triste Bankett des Rekordmeisters in der Telekom-Zentrale, kann man nicht feiern. Siegen sowieso nicht. Als erster Mannschaft gelangen Dortmund - wettbewerbsübergreifend - fünf Siege in Folge gegen die Bayern. Zerstört Dortmund jetzt die Münchner Vormachtstellung? Watzke verweist gebetsmühlenartig auf die wirtschaftliche Kraft der Bayern: "Die sind uns Lichtjahre voraus." In der Tat kündigte Bayern-Präsident Uli Hoeneß im "Focus" an, dass der Umsatz auf mehr als 350 Millionen Euro steigen werde - mehr als doppelt so viel wie beim Rivalen.

Andererseits wusste schon die BVB-Legende Adi Preißler: "Grau is'alle Theorie - entscheidend is' auf'm Platz." Und da ist die Wirklichkeit eine ganz andere. Wie unter einem Brennglas war beim Finale die Philosophie beider Klubs zu begutachten. Während der FC Bayern vor allem auf seine Solokünstler Arjen Robben und Franck Ribéry setzt, bauen die Borussen aufein extrem laufstarkes Kollektiv, allen voran Kevin Großkreutz, der die Außenbahn im Stil der Rennmaus Speedy Gonzales bearbeitet. Das Weltklasse-Duo Robben und Ribéry, vom Boulevard "Robbéry" getauft, ließ dagegen zu selten seine Genialität aufblitzen. Zudem haben weder der Holländer noch der Franzose große Neigung, verlorene Bälle zurückzuerobern.

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Noch deprimierender muss für die Bayern gewesen sein, dass sie mit ihrer ureigensten Waffe geschlagen wurden: der brutalen Effektivität. "Die haben aus eineinhalb Chancen drei Tore gemacht", schimpfte der glücklose Bayern-Stürmer Mario Gomez. Ausgerechnet die Mannschaft, die in der vergangenen Meistersaison noch die meisten Großchancen vergeben hatte, strafte die Münchner Fehlerkette eiskalt ab.

Der gefeierte "Jugend-forsch-Stil" der Dortmunder paart sich gerade ganz offensichtlich mit enormer Effizienz, was sich exzellent in die Marketingstrategie des Vereins fügt. Watzke ließ eine Düsseldorfer Agentur monatelang nach dem Markenkern der Borussia bohren. Heraus kam die Empfehlung, den Verein ganz auf Echtheit und Intensität zu trimmen. So entstanden der Werbeslogan "Echte Liebe" ebenso wie die totale Fixierung auf die Vereinsfarben. Bei der Party im "ewerk" glitzerte selbst die monströse Discokugel an der Decke in Schwarz-Gelb.

Die Dortmunder Leitfiguren passen in dieses Konzept, als seien sie am Reißbrett entstanden. Klubchef Watzke, seine Freunde nennen ihn Aki, gibt sich als bodenständiger Sauerländer - der Gegenentwurf zu seinem Vorgänger Gerd Niebaum, dessen finanzielle Aufrüstungspolitik den Verein fast ruiniert hätte. Watzke verwandelt dagegen Emotionen in Euros: Unter dem Slogan "Heimspiel in Berlin" machte er den Platz im Schatten der Gedächtniskirche zum schwarz-gelben Treff, was dank einer Flut von Fanartikel-Ständen nicht nur dem Imagekonto zugutekommt. Dort sammelt Watzke derzeit mit seinem Engagement für Menschenrechte beim EM-Gastgeber Ukraine Sympathiepunkte - wohl wissend, dass sich auch Uli Hoeneß schlagzeilenträchtig zu Gesellschaftsthemen wie Euro-Krise oder Fleischskandalen äußert.

Trainer Jürgen Klopp, nicht nur für Freunde der "Kloppo", balanciert im nunmehr vierten Jahr ohne Schwindel zwischen Professionalität - schon in der Halbzeitpause seziert er Spiele per Videoanalyse - und Vergnügen. Im "ewerk" schaltete Klopp in den Feiermodus, rockte die Party mit EhefrauUlla bis 5.47 Uhr und versicherte jedem, wie stolz er auf seine Mannschaft sei. Dem "Spiegel" hat Klopp mal erklärt, dass er keine Lust habe, "einen Vollidioten dabeizuhaben, nur weil er ein bisschen besser kicken kann". Zur Marken-DNA gehört die Achtung der Fans. Beim Gang zur Party nahm sich jeder BVB-Profi die Zeit für Fotos mit den Fans, obwohl ihre Frauen mit ihren hautengen Minikleidchen in der Berliner Kälte bibberten.

Mit Dreitagebart und lockeren Sprüchen wirkt Klopp wie ein Kumpel-Typ. Wie sehr das täuscht, wissen neue Spieler, wenn sie Dinge öffentlich äußern, die dem Meister nicht gefallen. Dann sagt Klopp vor versammelter Mannschaft gern: "Du, ich bin ein bisschen blöd, erklär doch mal, wie du das gemeint hast."

Schwarz-gelbe Nadelstiche gegen den großen Rivalen setzt in Dortmund die Chefetage. Im "ewerk" übernahm dies Watzke: "Ich habe gelesen, die Münchner wollten heute zeigen, wo der Hammer hängt. Ich kann nur sagen, der Hammer hängt in Dortmund."

Der Angriff der Borussia auf die Vormachtstellung des FC Bayern hat längst begonnen.