Es ist die Tragik des Michael Ballack, dass er in entscheidenden Spielen oft scheitert. Zudem verfolgte ihn in seiner Karriere stets das Pech

Sciacca. Wenn Michael Ballack später einmal auf seine aktive Karriere zurückschauen wird, kann er stolz sein auf das Geleistete, was sich nebenbei auch in hübschen Zahlen auf seinem Bankkonto niedergeschlagen haben wird. Und doch wird der 33-Jährige als "der Unvollendete" wohl nie in den Olymp der Legenden des Fußballs wie Netzer, Seeler oder Matthäus aufsteigen, sondern als Fußballer eingestuft werden, der immer nur am ganz Großen schnuppern durfte, bevor er tragisch im Vorhof der Triumphe scheiterte.

Unvergessen ist der Auftritt des gebürtigen Görlitzers bei der WM 2002, als er im Viertel- und Halbfinale mit seinen Toren gegen die USA und Südkorea jeweils den Siegtreffer erzielte, im Finale gegen Brasilien (0:2) aber dennoch zuschauen musste, weil er sich für den Erfolg der Mannschaft aufopferte und sich mit einem wichtigen taktischen Foul seine zweite Gelbe Karte eingehandelt hatte. Vor dem Turnier hatte Ballack bereits dreimal erfahren, wie es sich anfühlt, nur zweiter Sieger zu sein. Mit Bayer Leverkusen war der Mittelfeldspieler in der Bundesliga auf Platz zwei gelandet und hatte sowohl das DFB-Pokalfinale (1:4 gegen Schalke 04) als auch das Champions-League-Finale gegen Real Madrid (1:2) verloren.

Ein erneutes Finaltrauma erlebte Ballack vier Jahre später, als er Deutschland als Kapitän bis ins WM-Halbfinale führte, wo aber nach Verlängerung gegen Italien Endstation war und er danach bittere Tränen der Enttäuschung vergoss.

2008 durfte Ballack bei der EM in Österreich und in der Schweiz mit der DFB-Auswahl im Finale gegen Spanien immerhin auf dem Platz stehen, doch nach dem chancenlosen 0:1 entlud sich der ganze Frust in einem kräftigen Disput mit Manager Oliver Bierhoff. "Wir müssen eben noch etwas warten, bis wir ganz doll feiern können", versuchte Kanzlerin Angela Merkel zu trösten.

Ob Ballack seiner Gesprächspartnerin Glauben schenkte, ist nicht bekannt, Zweifel sind eher angesagt. Schließlich hatte Ballack unmittelbar zuvor wieder ein Scheitern im alles entscheidenden Moment erlebt. Mit dem FC Chelsea erreichte er sein zweites Finale der Champions League - und verlor nach Elfmeterschießen gegen Manchester United, weil Teamgefährte John Terry den entscheidenden Schuss an den Pfosten setzte. Wieder gab es im strömenden Regen von Moskau die Tränen Ballacks zu sehen.

Die errungenen nationalen Erfolge sind für den ehrgeizigen Ballack nur ein schwacher Trost. Die Meisterschaft mit Kaiserslautern (1998), die drei Meisterschaften und drei DFB-Pokalsiege mit dem FC Bayern oder das Double von Meisterschaft und Pokal mit dem FC Chelsea, all das sind Triumphe, die am Ende verblassen, weil ihm wohl die Krönung seiner Laufbahn mit dem Gewinn eines großen Titels versagt bleibt.

98 Länderspiele (42 Tore) hat Ballack seit seinem Debüt am 28.4.99 gegen Schottland unter dem damaligen Teamchef Erich Ribbeck absolviert. Nach dem Test gegen Ungarn (29. Mai) sollte er am 3. Juni in Frankfurt gegen Bosnien-Herzegowina sein 100. Länderspiel feiern. Auch wenn es sein Schicksal zu sein scheint, an großen Marken zu scheitern, so könnte er zumindest dieses Ziel noch erreichen, da er kürzlich die EM 2012 in Polen und in der Ukraine als letztes Ziel aufrief. Dann würde Ballack im 36. Lebensjahr stehen, es wäre sein letztes großes Turnier - wenn die Gesundheit mitmacht. Dass er es versuchen wird, ist unstrittig, schließlich gehört es zu den Wesenszügen des 33-Jährigen, dass er nie aufhört, darum zu kämpfen, sein letztes großes Ziel doch noch zu erreichen.

Denn er weiß, dass er sein Geschichtsbild nur mit Finalsiegen verändern kann, was eigentlich ungerecht ist. Schließlich verlor auch ein Uwe Seeler 1966 ein WM-Endspiel und schied in einem WM-Halbfinale gegen Italien aus (1970). Und doch wird der Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft in der ganzen Republik als Idol verehrt, weil er neben Vereinstreue auch Volksnähe und Kampf bis zum Umfallen symbolisierte. Ballack fehlt diese Aura, ihn umgibt etwas Unnahbares. Das Professionelle steht im Vordergrund; er bekommt Respekt, aber keine Liebe von den Fans. Stattdessen wird gern über angebliche "Verlierer-Qualitäten" gelästert. Weil er sich so anbietet.

Wenn er sich am Sonnabend das Champions-League-Finale des FC Bayern gegen Inter Mailand anschaut, wird er vielleicht noch einmal an 2006 zurückdenken. Damals verließ er die Münchner, weil er sich ausrechnete, mit dem FC Chelsea und den Millionen von Roman Abramowitsch eher die Königsklasse gewinnen zu können. Sein Vertrag bei den Engländern läuft zum Sommer aus, die Vertragsgespräche sind vertagt, der Sparstift gehört auch beim Russen längst zum Repertoire.