Freezers-Cheftrainer Serge Aubin spricht über seine Interpretation von Führung und erklärt, wer seine Aufgabe als Familienchauffeur geerbt hat

Hamburg. Das Wochenende konnte Serge Aubin im Kreis seiner Familie einläuten. Dass Ehefrau Nathalie und die Kinder Justine, 14, Charles, 13, und Benoît, 11, ihren Vater an Freitagabenden daheim in Lokstedt erleben, kommt höchst selten vor. Als Eishockeyfanatiker ist der 374-fache NHL-Spieler, der im Sommer 2011 als Stürmer zu den Hamburg Freezers wechselte, nach seinem verletzungsbedingten Karriereende im Sommer 2013 Co-Trainer wurde und seit dem 25. September die Hamburger als Cheftrainer anleitet, viel unterwegs. Doch da das Heimspiel gegen Red Bull München auf den Donnerstag vorgezogen – und 2:1 gewonnen – worden war, konnte sich Aubin in ungewohnter Ruhe auf die nächste Aufgabe an diesem Sonntag (14.30 Uhr, O2 World) gegen die Schwenninger Wild Wings vorbereiten.

Hamburger Abendblatt:

Herr Aubin, als Co-Trainer der Freezers hatten Sie Zeit genug, Ihre drei Kinder zur Schule und zum Sport zu fahren. Wer ist seit dem 25. September Chauffeur im Hause Aubin?

Meine Frau, und sie macht wirklich einen unglaublichen Job. Ich habe schon als aktiver Eishockeyprofi gesagt, dass man eine so zeitintensive Karriere nur schaffen kann, wenn man die Rückendeckung der Familie hat. Und die habe ich zu 100 Prozent.

Wie fand Ihre Frau es, dass Sie nach der aktiven Karriere sofort ins Trainergeschäft eingestiegen sind? Das bedeutet ja: weiterhin viele Auswärtsreisen, weiterhin kein gemeinsames Weihnachten...

Aubin:

Sie hat nur gelächelt, als ich es ihr sagte. Sie hatte das erwartet, weil sie mich kennt. Und irgendwie glaube ich auch, dass sie für dieses Leben gemacht ist. Sie klagt nie und zieht immer voll mit, mit hoher Leidenschaft für meinen Sport. Dafür bin ich ihr ewig dankbar.

Sie sind seit beinahe drei Monaten Cheftrainer. Wie lange hat es gedauert, sich an das neue Amt zu gewöhnen?

Aubin:

Einige Wochen. Ich musste erst verstehen lernen, was es bedeutet und beinhaltet, Chef zu sein. Ich habe vor allem gelernt, dass man sehr anpassungsfähig sein muss. Aber ich denke, dass ich jetzt auf alle Anforderungen, die mein neuer Job an mich stellt, reagieren kann. Ich weiß, was zu tun ist, wenn morgens um acht Uhr ein Spieler anruft und wegen Erkrankung für das abendliche Spiel absagt. Oder wenn wir spontan mehrere Verletzte haben. So etwas bringt mich nicht mehr aus der Ruhe.

Sie haben in den vergangenen Tagen Ihre Forderungen im Training mit mehr Nachdruck vorgebracht. Haben Sie nach der Eingewöhnungsphase mehr Selbstvertrauen? Spüren Sie jetzt, dass Sie als Cheftrainer am richtigen Ort sind?

Aubin:

Ich denke nicht, dass es mit Selbstvertrauen zu tun hat. Ich habe mir den Job von Beginn an zugetraut und mich sofort wohlgefühlt, auch weil ich von allen Seiten viel Hilfe bekommen habe und die Spieler ja auch alle kannte. Aber ich hatte anfangs nicht die Zeit, eine klare Botschaft zu senden, ich musste erst einmal selbst ankommen, bevor ich meine Vorstellungen, mein Konzept umsetzen konnte. Nun versuche ich im Training, mehr auf die Details zu achten und darauf, dass die Spieler wirklich alle verstehen, was ich von ihnen will.

Und was wollen Sie von ihnen?

Aubin:

Dass wir attraktives Eishockey spielen, um die Zuschauer zu begeistern. Aber vor allem will ich, dass jeder versteht, dass die Abwehr die Basis für alle Erfolge ist. Ums Toreschießen mache ich mir bei unserer Offensivkraft keine Sorgen. Aber alle müssen kapieren, dass nur eine sichere Defensive Siege ermöglicht. Und diese Arbeit betrifft alle, vom Torhüter bis zum Angreifer.

Als die Freezers Sie zum Co-Trainer machten, da waren sich viele Beobachter sicher, dass das nur eine Durchgangsstation zum Chefcoach sein würde. Wann haben Sie gespürt, dass aus Ihnen ein guter Trainer werden könnte?

Aubin:

Als ich Kapitän des Teams Canada war. Da hatte ich eine sehr enge Bindung zu unserem Trainerteam, und die langen Gespräche über Taktik haben mir sehr gut gefallen. Da habe ich gemerkt, dass ich für diese Aufgabe wie gemacht bin. Und als ich 2013 in meinem letzten Freezers-Jahr wegen meiner schweren Daumenverletzung, die mich zum Karriereende zwang, lange ausfiel, da habe ich mich mit Traineraufgaben beschäftigt und gespürt, dass das mein neuer Weg werden würde.

Und wie war der Moment, als man Sie fragte, ob Sie Nachfolger von Benoît Laporte werden wollten?

Aubin:

Mir war sofort klar, dass ich es machen wollte. Ich hatte im Sommer zu meiner Frau gesagt: Wenn irgendwann die Chance kommt, Cheftrainer zu werden, dann greife ich zu. Ich fühlte mich bereit für diese Aufgabe. Dass die Chance dann so schnell kommen würde, hätte ich nie gedacht, und entsprechend geschockt war ich. Ich hatte kein Gefühl der Freude in mir, es tat mir vor allem leid, dass Benoît den Preis für die schlechten Leistungen des gesamten Teams zahlen musste. Aber ich wusste auch, dass das Geschäft so ist. Mir wird es irgendwann ähnlich gehen.

Wie schafft man es, vom Freund der Spieler, der der Co-Trainer als Verbindung zwischen Mannschaft und Chefcoach häufig ist, zum Vorgesetzten zu werden, den alle respektieren?

Aubin:

Der Transitionsprozess war sicherlich auch für die Spieler nicht leicht. Aber ich denke, dass ich mich nicht großartig verändert habe. Meine Art der Führung ist nicht Schreien, sondern Lehren. Ich will keine Diktatur in der Kabine, sondern echte Partnerschaft. Ich möchte, dass sich die Spieler gut fühlen, wenn sie mit mir reden. Ich behandle Menschen so, wie ich selbst behandelt werden will, und ich sehe meine Aufgabe darin, den Spielern zu helfen, dauerhaft ihre Bestleistung abrufen zu können. Ich bin immer noch sehr nah am Team und wünsche mir auch, dass es so bleibt.

Das klingt sehr romantisch, aber was passiert, wenn Spieler diese Nähe ausnutzen? Wann setzen Sie Grenzen? Und wie gehen Sie nach schlechten Spielen in die Manöverkritik, wenn Sie diejenigen, die Sie kritisieren, als Freunde ansehen?

Aubin:

Gerade Freunde sollten Kritik vertragen können. Aber ich habe mir die Regel verordnet, nach Spielen nicht in die Kabine zu gehen; allerhöchstens vielleicht mal nach großen Siegen. Aber grundsätzlich ist das die Zeit, in der das Team allein sein soll. Ich will besonders nach Niederlagen nichts sehen oder sagen, was ich bereuen würde. Deshalb starte ich nach Spielen erst am nächsten Tag die Analyse mit dem Team.

Gibt es denn gar nichts, was Sie zur Weißglut treibt?

Aubin:

Das Einzige, was ich niemals akzeptieren werde: Wenn Spieler nicht alles geben, um für das Team das bestmögliche Ergebnis herauszuholen, oder wenn sie gegen Regeln verstoßen und damit der Mannschaft schaden. Jeder hat mal schlechte Tage, aber man kann dennoch alles geben. Wer das nicht tut, der bekommt Ärger, denn Respektlosigkeit gegenüber Teamkameraden lasse ich nicht zu.

Wie gehen Sie mit Niederlagen um?

Aubin:

Auf jeden Fall schaue ich mir nach Niederlagen die Aufzeichnung des Spiels noch in der Nacht an, um sofort Lösungen zu finden für die Probleme, die wir hatten. Nach Siegen gucke ich das Video manchmal erst am nächsten Tag. Aber bei aller Wichtigkeit, die die Videoanalyse mittlerweile genießt, ist mir eins noch wichtiger: Dass ich die menschliche Komponente nie vergesse. Ich kann einem Spieler seine Fehler noch so oft auf Video vorhalten, wenn er durch etwas belastet ist, was ich nicht weiß, wird es nichts nutzen. Deshalb ist es mir so wichtig, das Vertrauen meiner Spieler zu haben.

Welche Eigenschaften braucht ein guter Trainer neben der Menschlichkeit noch?

Aubin:

Er braucht Rückendeckung durch die Familie, Eishockey-Fachkenntnis und Führungsstärke. Und ich glaube, dass es nicht schadet, wenn er selbst erfahren hat, was es heißt, Leistungssportler gewesen zu sein.

Werden Sie deshalb mit Ihrer Erfahrung aus der NHL und anderen Topligen ein besonders guter Trainer?

Aubin:

Nur weil man in der NHL gespielt hat, wird man nicht automatisch ein guter Coach. Aber mir hilft es sehr, diese vielfältigen Erfahrungen gemacht zu haben, weil ich weiß, wovon meine Spieler reden. Ich hatte nie großes Talent, sondern musste mir alles erarbeiten. Ich habe alle Rollen ausgefüllt, die es im Eishockey gibt, und ich kann mich auch in Verletzte gut hineinversetzen angesichts meines Karriereendes.

Macht Ihnen das verletzungsbedingte Aus als Profispieler im Januar 2013 noch immer zu schaffen?

Aubin:

Manchmal bin ich schon noch traurig darüber. Es gibt definitiv keinen besseren Job als Eishockeyprofi, und ich hätte meine Karriere sehr gern auf dem Eis beendet. Bis auf meine Frau und meine Kinder würde ich alles dafür geben, noch einmal als 20-Jähriger starten zu können.

Machen die Daumen Ihnen heute in der normalen Arbeit noch Probleme?

Aubin:

Ich bin sehr wetterfühlig, habe Schmerzen in den Daumen, wenn es regnet. Und sie sind sehr kälteempfindlich, vor allem wenn ich an der Bande stehe, frieren sie sehr schnell. Wenn ich im Training den Schläger halte, geht das immerhin weitgehend schmerzfrei. Aber ich habe akzeptiert, dass sie nie wieder voll belastbar sein werden. So ist es eben.

Haben die Freezers Ihnen schon ein Zeichen gegeben, dass Sie über die Saison hinaus in Hamburg bleiben können?

Aubin:

Wir hatten bislang noch keine Zeit, darüber zu reden, aber das stört mich überhaupt nicht. Wir werden uns zusammensetzen, wenn mal etwas Luft zum Atmen bleibt. Ich habe doch schon mehrfach erfahren, wie schnell sich Dinge ändern können. Deshalb bin ich entspannt, was die Zukunft angeht.

Würden Sie gern mit Stéphane Richer als Co-Trainer weitermachen? Dass er bis Saisonende bleibt, hat er bestätigt.

Aubin:

Stéphane ist unheimlich wichtig, mit seiner Erfahrung und seiner Fachkompetenz ist er ein Mann, zu dem alle aufschauen können. Und er hat die A-Lizenz, die mir noch fehlt, und die ich auch erst im Sommer 2016 machen kann, weil das in Deutschland nur alle zwei Jahre möglich ist.

Nachdem Sie Spieler in der NHL waren: Träumen Sie auch von einer NHL-Karriere als Trainer?

Aubin:

Als ich die NHL als Profi verlassen habe, habe ich gesagt, dass ich den ersten Flug nehmen würde, wenn ich die Chance zur Rückkehr bekäme, weil sie die beste Liga der Welt ist. Und natürlich ist der Traum da, dort Trainer sein zu dürfen. Aber es ist nicht realistisch, und deshalb denke ich da sicherlich nicht jeden Tag dran. Ich bin sehr glücklich in Hamburg.

Ihre Söhne spielen beide Eishockey. Würden Sie sie unterstützen in dem Wunsch, Profi zu werden?

Aubin:

Ich würde meine Kinder in allem unterstützen, was sie tun wollen. Aber ich würde ihnen auch klarmachen, welche Opferbereitschaft es braucht, um Leistungssportler zu werden.

Sehen Sie Parallelen in der Aufgabe, Trainer eines Profiteams und Vater dreier Kinder zu sein?

Aubin:

Mit Sicherheit ist die Art, mit der wir Trainer uns um unsere Sportler kümmern, vergleichbar mit dem, was wir für unsere Kinder tun. Auch wenn man es bei Sportlern zumeist mit Erwachsenen zu tun hat: Ich würde meine Spieler ebenso wenig fallen lassen wie meine Kinder.

Was soll man später einmal über den Trainer Serge Aubin sagen?

Aubin:

Dass er zuallererst ein anständiger Mensch war, und dass er nie aufgehört hat, besser werden zu wollen. Denn das ist mein Credo: Dass der Tag, an dem ich mich zufrieden zurücklehne, der erste Tag ist, an dem ich mich zurückentwickle. Deshalb versuche ich jeden Tag, mich und meine Spieler zu verbessern.