Montreal. Weltmeister Lewis Hamilton macht mit seinem Sieg in Montréal Druck auf seinen Mercedes-Kollegen. Der hat seine Souveränität verloren.

Nico Rosberg wollte nach seiner neuerlichen Enttäuschung ganz schnell weg aus Montréal. Der fünfte Platz beim Grand Prix von Kanada hatte den Mercedes-Piloten mächtig gefrustet. Sein Teamrivale Lewis Hamilton tanzte indes nach seinem Sieg wie einst Muhammad Ali im Boxring und widmete seinem gestorbenen Idol den Formel-1-Triumph auf dem Circuit Gilles Villeneuve.

Mit seinem zweiten Erfolg nacheinander hat der Weltmeister am Sonntag im Titelrennen den Eindruck einer klaren Trendwende verstärkt und gemeinsam mit dem Kanada-Zweiten Sebastian Vettel im verbesserten Ferrari den WM-Führenden Rosberg mächtig unter Druck gesetzt. „Wir denken nur an ein Rennen zurzeit. Es ist noch viel zu tun“, sagte der Mercedes-Pilot nach dem ersten Saisondrittel.

Rosbergs Videobotschaft aus dem Flieger

Rosberg saß da schon im Privatflieger von Teamaufsichtsrat Niki Lauda gen Europa und zur Familie. Zwar hatte er noch die obligatorischen TV-Interviews über sich ergehen lassen, eine weitere Gesprächsrunde mit Journalisten sagte er kurzfristig ab. Stattdessen meldete sich der 30-Jährige per Videobotschaft aus dem Flugzeug.

Ob Flucht oder praktische Gründe, weil schon am Sonntag im 9000 Kilometer entfernten Baku das nächste Rennen ansteht - zumindest vermied er so unangenehme Nachfragen zum dritten verkorksten Rennen nacheinander, zum x-ten Mal verlorenen Duell mit dem wiedererstarkten Hamilton oder zum drohenden Verlust der WM-Führung.

„Das war eine Riesenenttäuschung“, sagte Rosberg über das Rennen. „Das Auto war großartig heute, gut genug, um zu gewinnen.“ Doch ist er derzeit gut genug für Siege? Noch ist Rosberg Gesamterster dank seiner Serie von vier Erfolgen zu Saisonbeginn. Nun steigt der Druck - ausgerechnet mitten im Poker um einen neuen Vertrag.

Hamilton (107 Punkte) ist bis auf neun Zähler an Rosberg (116) herangekommen und kann schon beim Großen Preis von Europa in Baku vorbeiziehen. Auch der viermalige Weltmeister Vettel bewies in Montréal, dass er wieder etwas näher an den Mercedes ist. Er liegt als WM-Dritter keine uneinholbaren 38 Punkte hinter seinem Landsmann.

Lauda: Der Kampf wird härter

„Der Kampf um die WM wird jetzt härter. Lewis hat sich wieder voll berappelt“, sagte Mercedes-Oberaufseher Lauda. „Jetzt muss Nico in Baku gewinnen, da gibt es überhaupt keine Frage. Jetzt wird es interessant zwischen den beiden.“

Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff bemühte sich, den Druck auf Rosberg ein wenig zu verringern. „Man darf nicht zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt schwanken“, sagte er. „Wir haben nach den sieben Siegen von Nico auch nicht gleich vom Phänomen Rosberg gesprochen.“

Hamilton hatte sich von dem Hoch Rosbergs zu Saisonbeginn ohnehin nicht beeindrucken lassen. Mit einer einzigen Aktion machte er in Montréal wieder klar, dass er bei den Silbernen der Chefpilot ist. Nach dem Raketenstart von Vettel, der das vor ihm platzierte Mercedes-Duo beinahe stehen ließ, drängte Hamilton seinen Teamkollegen in der ersten Kurve ab.

Mercedes spricht von "hartem Manöver"

„Es war ein hartes Manöver“, meinte Mercedes-Mann Wolff und erinnerte daran, dass es nicht das erste Duell der Teamrivalen war. „Aber ehrlich gesagt stellen diese Diskussionen nach jedem Rennen für mich ein gewisses Déjà-vu dar.“

Rosberg bemühte sich um Gelassenheit. Er sei in dem Moment „angepisst“ gewesen, hatte er unmittelbar nach dem Rennen gesagt. Später meinte er: „Das ist Racing. Ich muss es das nächste Mal besser machen.“ Wirklich Spaß hat der kriselnde WM-Führende derzeit nicht.