Hamburg. Die Hamburgerin Linh Tran hat bei der Kicker-WM in Frankreich zwei Goldmedaillen gewonnen. Und ist noch lange nicht am Ziel.

Linh Tran kann einen ganzen Raum einnehmen mit ihrer Präsenz. In diesem Fall ist es ein Segen – denn in der Altonaer Bäckerei, die sich die 27-Jährige für das Gespräch ausgesucht hat, ist am Montagvormittag einiges los.

Trendsportarten: Tran krönte ihre erfolgreiche Saison

Linh Tran bleibt ruhig und fokussiert. Eine Stunde lang spricht sie mit lauter, klarer Stimme und dreht sich währenddessen weder nach links noch nach rechts, wo sich an der Wand der Bäckerei die Brotlaibe stapeln. Ab und zu nippt sie an ihrem Cappuccino mit Hafermilch und strahlt selbstbewusst über das ganze Gesicht, besonders dann, wenn man über ihren bislang größten sportlichen Erfolg spricht.

Linh Tran ist Tischkicker-Weltmeisterin 2022 – gerade einmal eine Woche ist es her, dass sie bei der WM in Frankreich sowohl im Einzel als auch mit der deutschen Nationalmannschaft die Goldmedaille gewann, zusätzlich zu einer Bronzemedaille im Doppel mit Partnerin Lilly Andres (38/Berlin). Über 100 Tischfußballer und -fußballerinnen aus 45 Nationen hatten sich vom 28. Juni bis 3. Juli in Nantes im Nordwesten Frankreichs zusammengefunden. 2019, bei ihrer ersten WM, hatte sie bereits Gold im Doppel mit Andres geholt.

Nur ein Partyspiel? Hat Tischfußball ein Imageproblem?

„Das fühlt sich einfach nur groß an, ich bin immer noch total beeindruckt“, sagt Tran. Es ist die Krönung einer erfolgreichen Saison, in der sie in Münster im April Deutsche Meisterin im Einzel und gemeinsam mit Maura Porrmann aus Hamburg auch im Doppel geworden war.

Tischfußball, oder „Kickern“, gehört zu den Nischensportarten in Deutschland – was angesichts der vielen Kickertische fast verwunderlich ist, die man allerorts in Jugendzentren, Bars und Kneipen sieht. Doch genau dieser Ruf haftet der Sportart bis heute an: ein Partyspiel zu sein, das man auch nach etlichen Kaltgetränken noch passabel ausüben kann.

Dabei gibt es nicht nur eine Nationalmannschaft, die regelmäßig bei internationalen Turnieren antritt, sondern auch eine Bundesliga für Männer, Junioren, Senioren und für Frauen – ein Privileg, das im Übrigen nicht mal den olympischen Ringerinnen in Deutschland vergönnt ist.

Tran gründete mit ihrem Freund ein Merchandising-Label

Linh Tran schüttelt den Kopf, nein, mit Party habe das, worum sich aktuell all ihr Leben dreht, nun wirklich nichts zu tun. Für die studierte Betriebswirtin ist Kickern inzwischen zum Beruf geworden. Mindestens fünfmal pro Woche trainiert sie im Vereinsheim Sidekick in Harburg und tritt in der Ersten Hamburger Liga für den Verein Altonaer Kickerkollektiv an.

Das Kixx, die zentrale Anlaufstelle für Tischfußballer und Tischfußballerinnen am Nobistor, ist für Tran inzwischen zu einer zweiten Heimat geworden. Gemeinsam mit ihrem Freund, der wie sie in der Tischfußball-Bundesliga spielt, hat sie vor Kurzem das Label „FooX“ gegründet, das von Sweatshirts bis Kaffeetassen Lieblingsstücke für Tischfußballfans vertreibt.

Als Schach-Juniorin gehörte Tran zur nationalen Spitze

Aufgewachsen ist Linh Tran in Roßdorf bei Darmstadt. Nach dem Abitur im Jahr 2014 zog sie nach Hamburg und ließ damit nicht nur die Heimat hinter sich, sondern auch eine bis dato beachtliche Karriere als Schach-Juniorin – Tran gehörte zur nationalen Spitze, trat bei Europa- und Weltmeisterschaften an.

Doch irgendwie verlor sie die Lust. In Hamburg absolvierte sie zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bramfelder Kulturladen Brakula, begann dann ein Studium der Kulturwissenschaften und Philosophie in Bremen. „Was leider nicht das Richtige für mich war“, erzählt sie offen. „Kurz zuvor hatte mich in Hamburg mein Freund aber mit zum Kickern genommen – und das habe ich dann in Bremen eigentlich fast rund um die Uhr trainiert, anstatt zur Uni zu gehen.“ Von den Fortschritten, die sie in dieser Zeit machte, zehrt sie bis heute.

Und doch ist sie nicht am Ziel. Eines Tages die besten männlichen Athleten ihrer Sportart zu besiegen – das ist das, was sie antreibt. Es geht zurück auf ihre Jahre als Schachspielerin, in der sie als Mädchen in einer klar jungs-dominierten Welt immer wieder nicht für voll genommen wurde. „Das triggert mich halt sehr“, sagt sie immer noch ruhig, aber diesmal recht ernst. Ihren Fokus will sie demnächst aus diesem Grund auf Mixed-Wettbewerbe legen – zum Beispiel demnächst beim internationalen Tischfußball-Masters vom 30. bis 31. Juli beim FC St. Pauli.