Die 38-Jährige spricht vor dem Auftakt des Fedcup-Wettbewerbs 2012 gegen Tschechien über die neue Euphorie im deutschen Damentennis.

Stuttgart. Es liegt nicht nur am sportlichen Erfolg, dass Barbara Rittner kaum einen Schritt unbeobachtet gehen kann. Die 38 Jahre alte Fedcup-Teamchefin der deutschen Tennisdamen hat ihren Jack-Russell-Terrier Sophie fast überall dabei, der Hund weicht seiner Herrin nicht von der Seite. Auch das am Rande einer Trainingseinheit in der Porsche-Arena geführte Gespräch mit dem Abendblatt belauscht Sophie mit Interesse.

Hamburger Abendblatt: Frau Rittner, an diesem Wochenende fordern Sie zum Auftakt des Fedcup-Wettbewerbs 2012 Titelverteidiger Tschechien heraus. Die Porsche-Arena wird wohl an beiden Tagen ausverkauft sein. Sind Sie stolz darauf, eine neue Tennis-Euphorie in Deutschland entfacht zu haben?

Barbara Rittner: Ich finde, dass sich die Mädels das gesteigerte Interesse verdient haben. Wir bekommen natürlich mit, dass sich wieder mehr Menschen für uns begeistern, und das ist toll. Ich denke, dass unsere offensive Zielsetzung dazu beiträgt, dass die Öffentlichkeit uns wieder etwas zutraut.

Sie sprechen ganz offen davon, den Titel holen zu wollen. Ist der Druck, den Sie so erzeugen, nicht zu hoch? Tschechien ist immerhin ein echtes Kaliber gleich zum Auftakt.

Rittner: Für uns ist das kein Druck, denn alle meine Spielerinnen glauben fest daran, den Titel gewinnen zu können. Es ist kein unrealistisches Ziel, auch wenn wir damit die Ansprüche sehr hoch ansetzen. Ich glaube, dass wir alle damit umgehen können.

Sie waren 1992 beim letzten deutschen Fedcup-Sieg als Aktive im Team. Was hat die heutige Mannschaft, das sie befähigt, die Nachfolge des 1992er-Teams anzutreten?

Rittner: Das ist schwer zu vergleichen, weil wir damals mit Steffi Graf die absolute Nummer eins hatten und dazu mit Anke Huber eine weitere Topspielerin. Das heutige Team zeichnet sich dagegen durch seine Geschlossenheit aus. Wir haben fünf Spielerinnen unter den besten 40 der Welt, und alle haben aufsteigende Tendenz, sie sind noch jung und haben sehr viel Potenzial. Die Mädels kennen sich teils seit der Jugend, sind eng befreundet und pushen sich durch ihre Erfolge gegenseitig enorm. Wir treten als echtes Team auf, und damit kann man das Fehlen einer absoluten Topspielerin wettmachen. Außerdem haben wir so viel Qualität, dass wir auf jeden Gegner individuell reagieren können. Diese Ausgeglichenheit ist ein weiteres Plus.

Die Tschechinnen haben mit Petra Kvitova diese Topspielerin, sie ist Nummer zwei der Welt. Ist es da nicht vermessen zu sagen, dass man den Titel holen will?

Rittner: Finde ich nicht. Ich möchte, dass wir uns nicht nach dem Gegner ausrichten, sondern nach unseren Stärken. Natürlich weiß ich, dass eine Kvitova nur schwer zu schlagen ist, wenn sie ihr bestes Tennis abruft wie bei ihrem Wimbledonsieg im vergangenen Jahr. Aber das muss sie erst einmal schaffen. Wir gucken nur auf uns, und wenn wir am Ende verlieren, aber sagen können, dass wir alles für die bestmögliche Leistung gegeben haben, dann können wir dennoch zufrieden sein.

Was ist derzeit Ihre wichtigste Aufgabe als Teamchefin? Die Spielerinnen am Boden zu halten? Oder sie besonders anzuspornen?

Rittner: Weder noch, beides ist in diesem Team nicht notwendig. Meine Aufgabe ist es in erster Linie, viele Einzelgespräche zu führen, die Aufmerksamkeit gerecht zu verteilen und eine positive Spannung zu erzeugen, damit alle mit viel Spaß an die Arbeit gehen. Meine Stärke ist es, dass ich sehr individuell auf die einzelnen Charaktere eingehen kann.

Das wird in naher Zukunft sicherlich noch wichtiger werden, wenn Ihre derzeit verletzte Nummer eins, Andrea Petkovic, und die zuletzt so starke Mona Barthel ins Team drängen. Haben Sie Sorgen, dass das Klima rauer wird, wenn alle fit und in Form sind?

Rittner: Überhaupt nicht, das ist doch ein Problem, wie es sich eine Teamchefin nicht schöner wünschen kann. Natürlich ist die Entscheidung immer hart, das war sie auch diesmal. Sabine Lisicki war als unsere Nummer eins und mit ihrer Fedcup-Historie gesetzt, aber das Rennen zwischen Angelique Kerber und Julia Görges war sehr eng, die beiden spielen derzeit absolut auf Augenhöhe, und letztlich war es eine Bauchentscheidung, die ich erst am Freitagmorgen getroffen habe. Aber dafür bin ich Teamchefin, und ich erwarte, dass die, die dann nicht nominiert werden, sich dennoch in den Dienst des Teams stellen und da sind, wenn sie gebraucht werden. Das ist ein Lerneffekt, an dem wir alle wachsen können.

Dass es nicht immer ohne Reibungspunkte abgeht, war in Australien zu besichtigen, als Sie Julia Görges nach deren Achtelfinalaus gegen die Polin Agnieszka Radwanska hart kritisierten. Warum waren Sie so sauer?

Rittner: Ich war eher enttäuscht, weil ich die Gefahr gesehen habe, dass die Jule durch so einen Auftritt viel von dem Respekt einbüßt, den sie sich hart erarbeitet hat. Einer wie ihr, die noch weiter nach oben will, darf so etwas nicht passieren. Es ist meine Pflicht als Bundestrainerin, mich in so einem Fall auch mal kritisch zu äußern. Dass davon einiges unglücklich rüberkam und die Jule darüber im ersten Moment ein wenig verstimmt war, konnte ich verstehen. Wichtig war, dass wir uns direkt am nächsten Tag im Beisein ihres Trainers Sascha Nensel ausgesprochen haben.

Sie selbst sind als Aktive immer ans Limit gegangen. Konnte Julia nachvollziehen, warum Sie sich so über sie geärgert hatten?

Rittner: Absolut, mit einem Tag Abstand und der notwendigen Selbstreflexion hat sie eingesehen, dass ihr so etwas nicht noch einmal passieren darf. Und nur darum geht es mir doch, wenn ich Kritik übe. Ich will niemanden verletzen, sondern mit konstruktiver Kritik weiterhelfen.

Manche Beobachter haben Ihren Gefühlsausbruch eher als undiplomatisch denn als konstruktiv empfunden. Haben Sie sich gewundert, was für Wellen dieser Vorfall geschlagen hat?

Rittner: Ja, das habe ich, aber letztlich zeigt auch das nur, dass das Interesse am deutschen Damentennis wieder groß ist. Ich habe mich schon ein wenig geärgert, dass mich manche als undiplomatisch kritisiert haben.

Aber vom Naturell her sind Sie doch ein impulsiver Typ, der nicht mit seiner Meinung hinterm Berg hält.

Rittner: Das stimmt, aber viele meiner Freunde sind überrascht, wie diplomatisch ich in meinem Job als Bundestrainerin geworden bin. Ich glaube, dass ich da viel gelernt habe.

Was lernen Sie denn aus dem Vorfall von Melbourne? Werden Sie Kritik in dieser Form weiter äußern?

Rittner: Einerseits will ich mich nicht grundsätzlich ändern, denn es ist meine Stärke, ehrlich und authentisch zu sein. Andererseits glaube ich schon, dass mich das Erlebnis prägen wird und ich vorsichtiger auftreten werde, denn ich brauche diesen zwischenmenschlichen Ärger nicht.

Hand aufs Herz: Wie häufig trauern Sie noch der Zeit nach, als Sie selbst als Spielerin auf dem Court standen?

Rittner: Gar nicht mehr. Das war am Anfang meiner Trainerkarriere mal kurz ein Thema, aber danach nie wieder. Es war eine tolle Zeit, aber ich bin sehr glücklich mit dem, was ich jetzt tue. Ich habe darüber ausführlich mit Anke Huber geredet. Als Spielerin weiß man nicht oft genug zu schätzen, wie toll der Job ist, den man macht, weil man das normale Leben gar nicht mehr wahrnimmt und vieles als gegeben ansieht. Mir hat man früher oft gesagt, dass ich meine aktive Karriere genießen soll, da das Leben danach sehr lang ist. Ich versuche, das auch meinen Spielerinnen zu vermitteln, dass sie ihre Karriere genießen, aber auch daran denken, dass es ein Leben danach gibt. Ich hatte das Glück, dass der Posten, auf dem ich jetzt sitze, gerade frei wurde, als ich aufhörte. Ich hatte das nie geplant.

Trauen Sie einer Ihrer Spielerinnen zu, irgendwann Fedcup-Chefin zu sein?

Rittner: Oh, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Von ihrem Anspruch her, Führung zu übernehmen, könnte die Andrea eine Kandidatin sein. Aber die Mädels sind alle noch so jung, dass die sich über so etwas wirklich keinen Kopf machen. Und noch bin ich ja da.

Sind Sie jetzt, da Sie Erfolge sehen und eine Entwicklung nachweisen können, zufrieden mit dem Erreichten, oder sind Sie auch als Bundestrainerin die Getriebene, die Sie als Spielerin immer waren?

Rittner: Ich bin schon zufrieden mit der Arbeit der vergangenen Jahre, vor allem mit der Qualität der Spielerinnen, weil ich mich genau erinnere, wie ich noch vor wenigen Jahren belächelt wurde, wenn ich um noch ein wenig Geduld gebeten habe. Ich werde häufig von internationalen Kollegen angesprochen, wie toll es ist, was wir aufgebaut haben. Ich hinterfrage mich auch stets selbst, benote meine Arbeit. Letztlich werde ich erst wirklich zufrieden sein, wenn wir den Fedcup gewonnen haben.

Ist Ihnen dieser Titel fürs eigene Ego wichtig, oder weil Sie Ihren Spielerinnen diesen Triumph gönnen?

Rittner: Mir persönlich fehlt der Titel als Bestätigung meiner Arbeit, und für meine Spielerinnen würde es mich immens freuen, weil ich weiß, dass einem niemand solche Triumphe nehmen kann. Sie sorgen für eine tiefe innere Genugtuung.

Für diesen Erfolg tun Sie viel mehr, als Ihre Stellenbeschreibung vorgibt. Nicht zuletzt dank Ihrer Kontakte wurde mit Porsche ein Premium-Namenssponsor für Ihr Team gewonnen. Fühlen Sie sich für Ihren Einsatz ausreichend wertgeschätzt?

Rittner: Ich habe mich in den vergangenen Jahren eher als eine Art Teammanagerin betrachtet, da es beim Deutschen Tennis-Bund lange Zeit nicht möglich war, für die wirtschaftlichen Dinge jemanden einzustellen. Mit dem neuen Präsidium, das seit Mitte November im Amt ist, wird sich das ändern. Ich kann mich von nun an mehr auf das Sportliche konzentrieren.

Finden Sie das gut, oder fühlen Sie sich vor den Kopf gestoßen?

Rittner: Wenn sich jemand professionell um solche Dinge kümmert, finde ich es gut. Trotzdem erwarte eine gewisse Anerkennung für das, was in den zurückliegenden Jahren entstanden ist, denn ich bin mit sehr viel Herzblut dabei.

Das klingt, als ob diese Anerkennung nicht zu spüren ist.

Rittner: Ich denke schon, dass das neue Präsidium dankbar für die Rahmenbedingungen ist, die insbesondere durch die Erfolge unserer Damen so gut wie schon lange nicht mehr sind.

Erlauben Sie zum Abschluss noch einen Vergleich mit den Männern. Die spielen am nächsten Wochenende ihr Auftaktmatch im Daviscup. Ist es für Sie eine Genugtuung, dass Ihr Team wesentlich mehr Aufmerksamkeit bekommt?

Rittner: Nein, gar nicht. Ich finde, dass die Mädels sich die Aufmerksamkeit durch ihre Leistung verdient haben. Aber ich wünsche mir, dass die Jungs auch toll spielen und Erfolg haben. Ich habe eine super Beziehung zu Teamchef Patrik Kühnen, wir tauschen uns regelmäßig aus. Für das deutsche Tennis wäre es das Beste, wenn beide Nationalteams erfolgreich wären. Dann wären doch alle zufrieden.