Kiew. Der Trainer des englischen Teams will im Endspiel der Champions League gegen Real Madrid das Unmögliche möglich machen.

Das Einfallstor für alle Fußballfans zum diesjährigen Champions-League-Finale heißt Kiew-Boryspil. Der internationale Flughaften der ukrainischen Hauptstadt knapp 30 Kilometer östlich vom Stadtzentrum wird zwangsläufig zum ersten Anlaufpunkt, wenn ein Endspielort im Grunde nur über den Luftweg zu erreichen ist. Am Donnerstag schwebten eigens aus den USA erste Fans des FC Liverpool mit Zwischenhalt in Frankfurt am Main ein, am Sonnabend sollen alleine noch einmal 77 Maschinen aus ganz Europa landen. Den Wucherpreisen für Flug und Unterkunft zum Trotz reichen die kontingentierten 16.626 Tickets für den Showdown gegen Real Madrid im Olympiastadion von Kiew (Sonnabend 20.45 Uhr/ZDF) im englischen Lager hinten und vorne nicht.

13 Jahre liegt der letzte Sieg im Finale im wichtigsten Vereinswettbewerb der Welt zurück, als den „Reds“ im Atatürk-Olympiastadion von Istanbul nach einem 0:3-Rückstand gegen den AC Mailand noch das Happyend im Elfmeterschießen gelang. Das epische Drama bewog den spanischen Trainer Rafael Benítez, seinen Wohnsitz bis heute am River Mersey zu belassen – lebenslange Verehrung ist ihm gewiss. Ein Status, an dem auch Jürgen Klopp schon nahe dran ist. Und den der 50-Jährige definitiv erreicht, wenn er es schafft, die Königlichen von ihrem fast schon angestammten Thron zu stoßen.

Wenig Erfahrung, aber viel Herz

„Verrückt wie verdient“, nennt Klopp diese Herausforderung, die er ähnlich wie einst beim FSV Mainz 05 die scheinbar unlösbaren Aufgaben moderiert. „Wir haben wenig Erfahrung, aber ganz, ganz viel Herz.“ Es sind Sätze, die Weggefährten aus dem alten Bruchwegstadion kennen. Mitunter peitschte der gebürtige Schwabe sich schon in Pressekonferenzen derart auf, dass die Akteure gar nicht anders konnten, als am Spieltag über Grenzen zu gehen. Auch an der Anfield Road folgen ihm Spieler, Fans und Journalisten, denn der Menschenfänger bindet sein Umfeld gern mit ein: „Wir sind in einer superpositiven Phase einer ereignisreichen Saison, in der die Leute leicht zu euphorisieren sind.“

Dass die Plakate „Trust in Klopp“ (Vertrauen in Klopp) schon kurz nach seiner Ankunft im Oktober 2015 auftauchten, daran hat der mächtige Teammanager („Ich musste erst lernen, dass sich hier alles auf diese Person fokussiert“) wieder erinnert: „Dass zwei Jahre danach die Plakate nicht eingerollt sind, ist die größere Leistung. Die Dinger müssten eigentlich vergilbt sein.“ Die typische Zustandsbeschreibung eines Entertainers, der für Unterhaltung bürgt.

Stürmisches Umschaltspiel

Zuerst auf dem Platz, wo seine Mannschaft im stürmischen Umschaltspiel allein in der Königsklasse 46 Tore geschossen hat. Die Play-off-Partien gegen die TSG Hoffenheim waren die Ouvertüre zur Roadshow Richtung Kiew. Alles sei nur möglich gewesen, betont der Nachfolger des glücklosen Brendan Rodgers, „weil sich die Mannschaft von der Erwartungshaltung ewig langer Geschichte gelöst hat.“ Ewig auf die Vergangenheit aus den 70er- und 80er-Jahren angesprochen zu werden, in denen der Henkelpott allein viermal in die Arbeiterstadt wanderte, ist auf Dauer für die Gegenwart nicht hilfreich.

Kapitän Jordan Henderson nennt Klopp einen „fantastischen“ Chef. Von einem „der besten Trainer der Welt“ sprach kürzlich übrigens Kevin-Prince Boateng, der Anführer des Pokalsiegers Eintracht Frankfurt, der den Positivdenker in seiner kurzen Zeit bei Borussia Dortmund schätzen lernte. Der energetische Coach begegnet ähnlich wie in Mainzer und Dortmunder Hochphasen beinahe allen Mitstreitern mit viel Empathie – nur die bis heute nicht endgültig aufgeklärte Trennung von seinem ewigen Weggefährten Zeljko Buvac passt da nichts ins Bild.

Klopp „einer der besten Trainer der Welt“

Dennoch erinnert der Liverpooler Durchmarsch an den Dortmunder Siegeszug vor fünf Jahren, den erst der FC Bayern in letzter Finalminute stoppte. Damals in einem Anbau des Wembleystadions versprach Klopp vor der Weltpresse, dass er unbedingt zu solch einem Endspiel wiederkommen wolle. Er musste erst als „The Normal One“ an der Anfield Road anheuern, um sich diese Sehnsucht zu erfüllen. Und nun soll der Überzeugungstäter gleich noch einen finalen Makel tilgen. Es steht nun einmal in der Statistik, dass Klopp in seiner Trainerkarriere bisher nur eins von sechs Endspielen gewonnen hat – das DFB-Pokalfinale 2012 mit Dortmund gegen Bayern München (5:2).

Mit Liverpool verlor Klopp 2016 das Ligapokalendspiel gegen Manchester City und das Europa-League-Finale gegen Seriensieger FC Sevilla. „Silbermedaillen hängen sie auch in Melwood nicht auf“, sagt er danach lapidar. Borussia Dortmunds Boss Hans-Joachim Watzke hält es indes für ausgemachten Blödsinn, seinen Kumpel dafür zu kritisieren. „Zwei dieser Finale als Außenseiter zu erreichen ist eine unfassbare Leistung.“

Viertägiges Trainingscamp

Für die Krönung seiner Karriere braucht es eine Ausnahmeleistung auf vielen Ebenen. Klopp könnte es bei seinem Spielstil entgegenkommen, dass er nach einer kräftezehrenden Saison mit 55 Pflichtspielen zwei Wochen Zeit zur Vorbereitung hatte – und die Cham­pions-League-Teilnahme nächste Saison bereits eingetütet ist. In einem viertägigen Trainingscamp im spanischen Marbella schottete er seinen Kader weitgehend ab. Im ukrainischen Kiew wird es nun bis Anpfiff um 20.45 Uhr darum gehen, aus der immensen Unterstützung so viel Antrieb wie möglich zu saugen. Oder wie Klopp es ausdrückt: „Jeder muss bereit sein zu leiden. Wir werden der stärkste Gegner sein, den Real Madrid sich vorstellen kann.“

Voraussichtliche Aufstellungen:
FC Liverpool:
Karius – Alexander-Arnold, Lovren, Van Dijk, Robertson – Milner, ­Henderson, Wijnaldum – Salah, Firmino, Mane.

Real Madrid: Navas – Carvajal, Varane, ­Ramos, Marcelo – Modric, Casemiro, Kroos – Isco – Ronaldo, Benzema.

Schiedsrichter: Milorad Mazic (Serbien).