Hamburg. Am Auftaktwochenende des Tennisturniers am Rothenbaum begeistern die Legenden und ein Überraschungsqualifikant.

Angesichts des Tempos, mit dem Tommy Haas durch das Legendenmatch pflügte, wirkte es ein wenig so, als hätte der 39 Jahre alte Altmeister am Sonntagabend noch einen Tisch in seiner geliebten Schlachterbörse reserviert. Als Michael Stich die letzte Vorhand ins Netz schlug und damit seine 1:6, 3:6-Niederlage besiegelte, waren gerade einmal 55 Minuten gespielt auf dem Centre-Court am Hamburger Rothenbaum, wo an diesem Montag das Herrentennisturnier mit dem Hauptfeld startet. 55 Minuten, die wirklich nicht mehr gewesen waren als ein Warmspielen für das Erstrundenmatch, das Haas auf seiner Abschiedstournee am Dienstag mit dem Argentinier Nicolas Kicker zusammenführt.

„Ich habe ihm die Bälle zugespielt, er hat dankbar angenommen“, sagte Turnierdirektor Stich (48), der für die wenigen Klamaukmomente allein verantwortlich zeichnete. Haas, dessen Familie – Eltern, beide Schwestern, beide Töchter, Ehefrau und Schwiegermutter – geschlossen zuschaute, bedankte sich für die Trainingseinheit vor 6500 Zuschauern. „Das gibt Selbstvertrauen für das anstehende Turnier. Ich bin noch Vollprofi und will jedes Match gewinnen“, sagte er.

Acht deutsche Teilnehmer

Wie weit der gebürtige Hamburger in seinem letzten Hauptfeldeinsatz am Rothenbaum kommen kann, weiß auch Julian Reister nicht verlässlich einzuschätzen. „Man muss abwarten, wie gut er physisch mithält. Ich denke aber, dass die Emotionen, die der Abschied freisetzt, Energie entfesseln. Dann ist Tommy für jeden gefährlich“, sagt der 31-Jährige, der für das Abendblatt das Teilnehmerfeld analysiert. Der Reinbeker, der seine Karriere im vergangenen Jahr beendet hatte und nun als Trainer arbeitet, stand von 2010 bis 2012 dreimal in Folge bei seinem Heimatturnier im Achtelfinale.

Für die acht deutschen Teilnehmer – der Vaihinger Cedrik-Marcel Stebe (26/Nr. 152 der Weltrangliste) und sensationell auch der erst 16 Jahre alte Rudi Molleker (Berlin), der 2014-Sieger Leonardo Mayer (Argentinien) 7:6 (7:2), 3:6, 6:3 besiegte, überstanden am Sonntag die Qualifikation – dürfte es, befürchtet Reister, in diesem Jahr ebenfalls schwer werden, über die Runde der besten 16 hinauszukommen. Jan-Lennard Struff (27/Nr. 52) traut er zwar am meisten zu, „er schlägt sehr gut auf, hat ein tolles Auge, spielt extrem hart und schnell“. Allerdings träfe der Warsteiner im Falle eines Auftaktsieges über den Russen Jewgeni Donskoy (27/Nr. 92) auf Albert Ramos-Vinolas (29/Nr. 24), und der topgesetzte Spanier ist neben seinem Landsmann David Ferrer (35/Nr. 46), der am Sonntag im schwedischen Bastad das Finale gewann, Reisters Titelfavorit. „Was er spielt, ist die alte spanische Schule. Er verteilt die Bälle optimal mit der Vorhand, bringt fast alles zurück. Gegen ihn ist es unheimlich schwer, Punkte zu gewinnen, weil er immer konstant sein Niveau abruft.“

Was macht Daniel Altmaier?

Ebenso hart traf die Auslosung den Bayreuther Florian Mayer (33/Nr. 102). „Flo liebt das Turnier in Hamburg, er hat hier oft gut gespielt und kann mit seinem variablen Spiel jeden Gegner knacken“, sagt Reister. Besiegt der Routinier zum Auftakt den Italiener Marco Cecchinato (24/Nr. 105), wartet im Achtelfinale allerdings die Herausforderung Pablo Cuevas (31/Nr. 29). Den Vorjahresfinalisten aus Uruguay hält Reister erneut für einen potenziellen Endspielteilnehmer. „Er hat einen großartigen Kick-Aufschlag und eine perfekte einhändige Rückhand. Sein Spin ist zudem extrem gefährlich. Pablo hat in den vergangenen Monaten einen großen Sprung gemacht und kann auf jeden Fall den Titel holen.“

Gespannt ist Reister auf Youngster Daniel Altmaier. Der 18-Jährige aus Kempen am Niederrhein gilt als nächste deutsche Nachwuchshoffnung, er spielt mit Haas Doppel und hat mit dem Argentinier Horacio Zeballos (32/Nr. 56) einen erfahrenen, aber nicht übermächtigen Erstrundenkonkurrenten. „Er sollte die Woche genießen und zum Lernen nutzen“, sagt Reister, der Altmaiers möglichen spanischen Achtelfinalgegner Fernando Verdasco (33/Nr. 39) zum erweiterten Favoritenkreis zählt. „Bis auf 2011, als er im Halbfinale stand, hat Verdasco hier zwar nie sein Potenzial abgerufen. Aber wenn er richtig fit ist, gehört er zu denen, die man auf der Rechnung haben muss.“

Fast hat die Chance auf den Titel

Zu denen zählt der Augsburger Philipp Kohlschreiber (33/Nr. 59) für Reister nicht mehr. „Er hat ein schwieriges Jahr mit vielen Verletzungen, außerdem kommt der langsame Untergrund seinem Spiel nicht entgegen, sein Spin und seine Kick-Aufschläge haben hier nicht die volle Wirkung“, sagt er. Würde Kohlschreiber die Auftakthürde Andrej Rublew (19/Nr. 74) nehmen – der Russe spielte am Sonntagabend noch das Finale im kroatischen Umag –, käme es im Achtelfinale wohl zum Duell mit 2011-Sieger Gilles Simon (32/Nr. 36) aus Frankreich, der zum Auftakt gegen den Nürnberger Maximilian Marterer (22/Nr. 104) gefordert ist.

Seinen Reiz zieht das Turnier für Reister in diesem Jahr aus der Ausgeglichenheit des Feldes. „Gefühlt können 80 Prozent der Teilnehmer den Titel holen. Zwar fehlt die absolute Weltspitze, aber es sind immer noch viele Weltklasse-Sandplatzspieler dabei, für die sich der Besuch lohnt“, sagt er.