Hamburg . In Führungsetagen ist das weibliche Geschlecht kaum präsent. Eine Ausnahme gab es in Hamburg. Dabei ist Frauenfußball so erfolgreich.

Geheimwissenschaft. Mit diesem Begriff lässt sich der Fußball gut beschreiben, findet Katja Kraus: „Die Eigenheiten dieses Sports werden mystifiziert. Und sie erschließen sich angeblich nur Männern, die früher selbst mal kurze Hosen getragen haben. Bei der Jobvergabe gibt es eine Versorgungsmentalität von ehemaligen Spielern für ehemalige Spieler.“ Katja Kraus hatte eine neue Perspektive eingebracht, als erste Frau im Vorstand eines Männer-Bundesligisten, beim Hamburger SV zwischen 2003 und 2011. Bis heute ist sie die einzige Frau geblieben.

Am Sonntag beginnt die EM in den Niederlanden. Von elf Turnieren dieser Art haben die deutschen Fußballerinnen acht gewonnen. Dieser Erfolg dürfte lange Bestand haben, inzwischen sind mehr als 1,1 Millionen Mädchen und Frauen in Vereinen organisiert. Aber: Laut einer Studie des Antidiskriminierungsnetzwerks Fare, Football Against Racism in Europe, sind nur 3,7 Prozent der Führungspositionen im europäischen Fußball von Frauen besetzt.

Die erste Frau im Live-Kommentar

Traditionell konzentriert sich diese Debatte auf Einzelfiguren: Bei der EM 2016 wurde Claudia Neumann als erste Frau für den Live-Kommentar bei einem Männerturnier eingesetzt. Der FC St. Pauli berief Sandra Schwedler an die Spitze seines Aufsichtsrats. In Frankreich wird der Männer-Zweitligist Clermont Foot von Corinne Diacre trainiert. Und in der neuen Saison ist Bibiana Steinhaus die erste Schiedsrichterin in der Männer-Bundesliga. Das sei hervorragend, sagt Katja Kraus, doch die Ursachen der Ungleichheit werden nicht hinterfragt: „Der Fußball sollte ein Bewusstsein dafür erlangen, dass gemischtgeschlechtliche Gremien eine höhere Erfolgsquote versprechen.“

Claudia Neumann, Sandra Schwedler und Bibiana Steinhaus mussten auch viele erniedrigende Kommentare über sich lesen. Das ist offener Sexismus. Doch es gibt auch eine unterschwellige Ausgrenzung: Von den 17 Mitgliedern des DFB-Präsidiums ist nur eines weiblich: Vize-Chefin Hannelore Ratzeburg (66). Im Präsidium der Deutschen Fußball-Liga DFL finden sich keine Frauen. Bei der aktuellen EM werden zehn der sechzehn Teams von Männern trainiert. In der abgelaufenen Frauen-Bundesligasaison waren es sogar neun von zwölf.

Von den Vorgesetzten hört man oft, dass sich zu wenige qualifizierte Frauen für Führungsaufgaben anbieten würden. Doch damit würde man den zweiten Schritt vor dem ersten machen, sagt Daniela Wurbs, langjährige Geschäftsführerin des Fannetzwerkes FSE, Football Supporters Europe: „Die Kommunikationskultur im Fußball ist mit Klischees beladen. Das kann engagierte Frauen auch abschrecken.“

Ein Höhepunkt dieser Entwicklung: die Frauen-WM 2011 in Deutschland. In einer Studie bescheinigte die Soziologin Nina Degele dem DFB eine „Vermarktung der Weiblichkeit“. Dazu passte der offizielle Slogan: „20elf von seiner schönsten Seite“. Ein Spielzeughersteller brachte eine zierliche Fußball-Barbie auf den Markt. Für ein Kosmetikunternehmen posierten Nationalspielerinnen in engen Abendkleidern, ergänzt mit Tipps für Make-up und Haarpflege. Fünf Bundesligaspielerinnen ließen sich im Playboy ablichten.

75 Prozent der Mitarbeiter in Fanprojekten sind männlich

Dass der Fußball als Schaufenster für heterosexuelle Männer inszeniert wird, liegt auch am Mangel von Frauen im Sportsponsoring und im Fußballjournalismus, sagt Nicole Selmer. Die stellvertretende Chefredakteurin des österreichischen Fußballmagazins „Ballesterer“ hat das Netzwerk „F_in“ mitbegründet, Frauen im Fußball. Die wenigen Frauen im Sportfernsehen stehen meist vor der Kamera – und entsprechen dem gängigen Schönheitsideal. Im April 2016 meldete auch der Verband Deutscher Sportjournalisten in seinem Monatsmagazin die Wahl von Laura Wontorra zur „heißesten Sportmoderatorin“. Wontorra ist in der Branche akzeptiert. Sie sagte, sie wolle für ihre Arbeit beurteilt werden. Es fehlt ein argumentatives Gegengewicht: Bundesweit hat nur die Sporthochschule Köln eine Professur für Geschlechterforschung im Sport einge­-richtet. Selbst bei Sozialarbeitern in Fanprojekten liegt der männliche Anteil bei 75 Prozent, mehr als doppelt so hoch wie in der Sozialpädagogik allgemein.

So kommen Funktionäre unwidersprochen mit ihrer Interpretation durch: Nicht nur die deutschen Fußballerinnen dürften nun bei der EM wieder bis zu acht Millionen Zuschauer vor den Fernseher locken, auch bei einem Männerländerspiel liegt der weibliche Anteil des TV-Publikums bei rund vierzig Prozent. Aber: Jenseits dieser flüchtigen Events wollen zwar immer mehr Frauen für den Breitenfußball die C-Lizenz als Trainerin erwerben, die unterste Kategorie, aber schon für die B-Lizenz sinkt der Anteil beträchtlich.

„Wenn man die Strukturen verändern will, geht es nur über Quoten“, sagt Nicole Selmer. Im Fußball hat der Weltverband Fifa eine Generalsekretärin: die Senegalesin Fatma Samoura. In seinem neuen Führungsrat, dem Council, sollen sechs von 36 Mitgliedern weiblich sein. Aber die großen Nationalverbände ziehen nicht wirklich mit.

Von den rund 280 DFB-Mitarbeitern in Frankfurt sind rund vierzig Prozent weiblich, aber es gibt nur eine Direktorin. Das soll sich ändern, auch durch ein „Leadership-Programm“. Seit einem Jahr werden 24 interessierte Frauen mit Führungsaufgaben im Verband vertraut gemacht, erzählt Willi Hink, als DFB-Direktor zuständig für die Qualifizierung. „Dieses Programm ist ein Erfolg, nun wollen wir es auch auf Landes- und Kreisebene etablieren.“ Zu einer Frauenquote von mindestens 30 Prozent, die in Politik und Wirtschaft längst etabliert sind, kann sich der DFB aber noch nicht durchringen.