Sotschi. Im Halbfinale des Confed Cups gegen Mexiko kommt es heute (20 Uhr/ARD) auch auf die fußballerischen Qualitäten des Torhüters an

Vor dem Spiel gegen Mexiko holt Marc-André ter Stegen sein Handy heraus. Er öffnet die App „Team one“, die sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat zuschneiden lassen. Ter Stegen scrollt an den verschiedenen Kategorien hinunter: vorbei am Chatraum „Die Mannschaft“, wo Spieler wie bei WhatsApp kommunizieren, erfahren, was sie anziehen sollen, und bisweilen auch verlorene Hosen wiederfinden. Dann der Bereich „Medien“, wo dem ­25-Jährigen presserelevante Infos hinterlegt werden. Bis ter Stegen unten angekommen ist – bei „Scouting“.

Hier klickt der Torwart der deutschen Nationalelf drauf und erfährt, welcher Fuß des mexikanischen Angreifers Chicharito der bessere ist. Was er in Eins-gegen-eins-Situationen gern tut. Und wohin der Leverkusener bei Elfmetern mit Vorliebe zielt. Ter Stegen schaut sich auf seinem Handy in kurzen Videos an, was im Confed-Cup-Halbfinale gegen Mexiko an diesem Donnerstag (20 Uhr/ARD) auf ihn zukommt.

Im Grunde ist das Telefon mit dieser neumodischen DFB-App für ter Stegen das, was bei der WM 2006 im Viertelfinale gegen Argentinien der Zettel im Stutzen für Jens Lehmann war. Nur dass das Handy nicht so gut in den Stutzen passen würde. War ter Stegen fleißig bei der Vorbereitung, ist er bestens für ein eventuelles Elfmeterschießen gegen Mexiko und die 120 Minuten davor gewappnet. Er muss es sein, denn es wird auch auf ihn ankommen, ob die junge, deutsche Perspektivelf zum Finale am Sonntag in St. Petersburg reisen darf oder nach Moskau muss zum Spiel um Platz drei.

„Mexiko ist eine aufsässige Mannschaft“, sagt Joachim Löw. Der Bundestrainer weiß das nicht aus der App, er hat Informationen aus erster Hand. Löw sprach mit seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann, der als US-Coach mehrfach auf Mexiko getroffen ist. „Sie jagen den Ball, attackieren den Gegner schon am Strafraum“, sagt der 57-Jährige. Gegen so ein Kojotenrudel braucht es ein Aufbauspiel aus der Defensive, das fehlerlos ist. Da trifft es sich gut, dass Löw vor dem Spiel ter Stegen als Turnierstammkeeper auserkoren hat. „Er besitzt eine unglaublich gute Spieleröffnung“, sagt Löw.

Dass ter Stegens Torwartspiel Hand und Fuß hat, ist bekannt. Er ist diesbezüglich der Neuer-Mäßigste unter den Kandidaten für die Vertreterrolle hinter der unumstrittenen Nummer eins Manuel Neuer. Er kann den Ball unter Druck sicher weiterleiten. Und er gibt dem deutschen Spiel damit das, worauf es durch Neuer angelegt ist: situativ einen elften Feldspieler. Obwohl sie das beim DFB schon länger wussten, haben sie gezögert, sich auf ter Stegen als Nummer zwei festzulegen.

Zu angenehm war die Konkurrenzsituation mit Bernd Leno und Kevin Trapp. Ter Stegen nennt das „eine Situation, die für keinen von uns lustig ist“, auch wenn bisher noch keine Meldungen zu lesen waren, wonach das Binnenklima unter dem Trio Züge angenommen habe wie vor 2006 zwischen Lehmann und Oliver Kahn. Jetzt ist die Rangfolge geklärt. Ter Stegen ist die Nummer zwei. Durchgesetzt hat er sich, weil er in Barcelona gereift ist. „Er hat sich unglaublich entwickelt“, lobt Löw.

2014 ging ter Stegen als 22-Jähriger von Borussia Mönchengladbach zum FC Barcelona, einem Club, der für deutsche Torhüter bisher kein leichtes Pflaster war. Und er hat dort die unlustige Situation vorgefunden, sich in einem Jobsharing mit Claudio Bravo abwechseln zu müssen. Zwei Jahre ging das so, die den selbstbewussten ter Stegen mächtig nervten. Erst vor der vergangenen Spielzeit haben sie sich bei Barça auf ihn festgelegt und Bravo verkauft. Statt nur in der Champions League und im Pokal spielte er jetzt immer – 46 Partien. „Allein durch die vergangene Saison habe ich unglaublich viele Dinge gelernt“, sagt ter Stegen. „Der Club hat mich auf ein neues Niveau gebracht.“

Wer im Training gegen Messi, Suarez und Neymar bestehen muss, der reift. Das ist klar. Aber die Sache geht weit darüber hinaus. Barças Trainer Luis Enrique hat ter Stegen auch zu seinem bisweilen risikoreichen Spiel ermutigt, weil es zum ballzirkulierenden Stil der Katalanen passt. „Ich versuche, das Beste aus zwei Welten zu verbinden – der deutschen und der spanischen“, hat ter Stegen mal intern gesagt. Ein guter Torwart sein, aber auch ein guter Fußballer. Im Verein weiß ter Stegen nun, woran er ist. Nachdem er Barça Ende April mit zwölf Paraden zum prestigeträchtigen 3:2 gegen Real Madrid geführt hatte und in der Saison auf eine Quote von nur 0,92 Gegentoren pro Spiel kam (Platz zwei), hat er seinen Vertrag im Mai bis 2022 verlängert. Die Katalanen haben eine festgeschriebene Ablösesumme von 180 Millionen Euro ausgehandelt. Eine Wertschätzung.

In der Nationalelf wird Marc-André ter Stegen nun endlich auch die Wertschätzung zuteil, die er benötigt: „Für mich ist es wichtig, das Vertrauen des Trainers zu spüren und zu wissen, dass ich hundertprozentig spiele“, sagt er. Gegen Mexiko wird er das. Und er wird gebraucht werden.