Hamburg. Der FC St. Pauli startet heute in die Vorbereitung auf die kommende Saison. Den neuen Cheftrainer erwarten zusätzliche Pflichten

Mit einer von den meisten Spielern wenig geliebten Disziplin starten die Fußballprofis des FC St. Pauli an diesem Montagmorgen in die gemeinsame Vorbereitung auf die kommende Saison in der Zweiten Fußball-Bundesliga. Der neue Cheftrainer Olaf Janßen hat zum Auftakt einen Laktattest angesetzt, erst am Nachmittag geht es dann für das Team auf den Rasen des Clubgeländes an der Kollaustraße.

Die Trainingskiebitze werden dort vier bislang unbekannte Gesichter zu sehen bekommen. Neben den ablösefrei verpflichteten Profis Sami Allagui (Hertha BSC) und Clemens Schoppenhauer (Würzburger Kickers) werden dies die neun Co-Trainer Markus Gellhaus und Patrick Glöckner sein. Dafür werden auf dem Trainingsplatz weder der bisherige Kapitän Sören Gonther, Stürmer Lennart Thy sowie die Nachwuchsprofis Dennis Rosin und Nico Empen noch der bisherige Co-Trainer Abder Ramdane und vor allem der vom Cheftrainer zum Technischen Direktor ernannte Ewald Lienen mehr zu sehen sein.

Die personelle Fluktuation im Vergleich zur vergangenen Saison hält sich also insbesondere im Bereich der Aktiven (noch) in einem überschaubaren Rahmen, und doch darf die frische Konstellation im Trainerteam als Beginn eines neuen Kapitels in der sportlichen Geschichte des FC St. Pauli gewertet werden. Wie umfangreich dieser Abschnitt werden wird, ist allerdings völlig ungewiss. Die knapp zweieinhalb Jahre, die zuvor Ewald Lienen letztlich überwiegend erfolgreich als Cheftrainer (1,44 Punkte pro Spiel) agiert hat, sind in dieser Hinsicht ein ambitionierter Maßstab.

Auch wenn Olaf Janßen seit seinem Amtsantritt am 2. November vergangenen Jahres von Anfang an mehr als nur ein zusätzlicher Co-Trainer war und schon am ersten Tag wie selbstverständlich die Leitung des Trainings übernahm, so befindet er sich von nun an als Cheftrainer doch in einer erheblich verantwortungsvolleren Position, in der er auch außerhalb von Kabine und Trainingsplatz weit mehr Verpflichtungen als bisher haben wird.

Es sind knapp zusammengefasst diese vier neuen Herausforderungen, die sich Janßen teils in den kommenden Tagen und Wochen, teils aber auch grundsätzlich und kontinuierlich zu stellen hat.


Neue Teamhierarchie:
Nach dem Wechsel von Sören Gonther, der drei Jahre lang gewählter Kapitän war, zu Dynamo Dresden, muss ein neuer Mannschaftsführer bestimmt werden, entweder per Wahl durch die Mannschaft oder durch Dekret des Trainers oder, wie zuletzt bei Lienen, mit einer Mischung aus beidem. Gleiches gilt für die Größe und personelle Besetzung des Mannschaftsrates. Favorit auf das Kapitänsamt dürfte Lasse Sobiech sein, der bisher schon als erster Stellvertreter Gonther sehr häufig das Team auf das Feld geführt, sich im Team viel Respekt und Anerkennung erarbeitet hat und sich als einer von mehreren Wortführern profiliert hat.


Die Torwartfrage:
Im Herbst 2014 hatte Thomas Meggle als damaliger Cheftrainer Robin Himmelmann zur neuen Nummer eins erkoren, Nachfolger Ewald Lienen übernahm diese Entscheidung, Philipp Tschauner blieb Reservist und verließ St. Pauli im Sommer 2015. Im Herbst vergangenen Jahres aber verlor Himmelmann seinen Status durch eine während des Heimspiels gegen Kaiserslautern erlittene Verletzung an den erfahrenen Philipp Heerwagen, der sich im weiteren Verlauf der Saison zu einem der Garanten des sportlichen Aufschwungs entwickelte. Mit ihm im Tor holte St. Pauli 39 Punkte in 20 Spielen. Es waren nicht nur seine Paraden, sondern womöglich noch mehr seine Ausstrahlung und sein Einfluss auf das Team, die Lienen veranlassten, den 34-Jährigen im Tor zu belassen. Jetzt allerdings bestünde für Janßen die Gelegenheit, den nicht nur rund sechs Jahre jüngeren, sondern auch etwas athletischeren und balltechnisch versierteren Himmelmann wieder zum Stammtorwart zu erklären.

Oder der neuen Cheftrainer ruft einen ergebnisoffenen Kampf um die Nummer eins aus und trifft seine Entscheidung unmittelbar vor der „Generalprobe“ gegen Werder Bremen am 22. Juli. Es sei denn, ein anderer Club wirbt so intensiv und mit entsprechendem finanziellen Anreiz um Himmelmann, dass St. Paulis Vereinsführung einem Transfer zustimmen würde.


Spielerische Ausrichtung:
Auch wenn in den letzten Wochen der vergangenen Saison zeitweise und vor allem bei Auswärtsspielen zu erkennen war, mit welchem Spielsystem der FC St. Pauli nicht nur erfolgreich sein, sondern auch ansehnlichen Fußball spielen könnte, erwarten die Anhänger vor allem im heimischen Millerntor-Stadion eine Steigerung ihrer Mannschaft in puncto Spielidee. Die Auftritte, in denen es sowohl an fußballerischem Glanz und Kreativität als auch an unbändigem Kampfeswillen fehlte, sind längst nicht vergessen.


Repräsentative Aufgaben:
Als Cheftrainer wird Olaf Janßen, ob es ihm lieb ist oder nicht, weit mehr ein Aushängeschild des FC St. Pauli sein als er es bisher sein musste, wollte oder durfte. Die Interview-Anfragen verschiedenster Medien werden deutlich ansteigen, dazu kommen die turnusmäßigen Medientermine vor und nach den Spielen. Der bisweilen hohe Unterhaltungswert, den Vorgänger Ewald Lienen hierbei erreichte, muss dabei kein Maßstab sein. Spannend wird dennoch sein, wie Janßen, der sich bisher mit öffentlichen Auftritten betont zurückhielt, diese neue Herausforderung annimmt. Immerhin durfte er in der vergangenen Saison diesbezüglich schon einmal Praxis sammeln, als er den kurzfristig erkrankten Lienen auf einer Pressekonferenz vor einem Spiel vertrat und dabei souverän auftrat.

Für zehn St.-Pauli-Profis ging die neue Saison übrigens schon am Sonntagnachmittag los. Neben dem Beachclub StrandPauli stellten sie sich dem Siegerteam des von Hauptsponsor Congstar veranstalteten Streetsoccer-Turniers „Kiez-Champion“. Am Ende hieß es vor der Kulisse des Hafens 1:4 gegen das Hamburger Team „Nankatsu“, das sich zuvor mit einem Erfolg im Siebenmeterschießen gegen den Vorjahressieger „Balkan Mix“ durchgesetzt und die 10.000 Siegprämie erhalten hatte. Am Rande schauten nahezu alle anderen Teamkollegen, darunter auch Sami Allagui, das komplette Trainerteam, Präsident Oke Göttlich und Geschäftsführer Andreas Rettig dem Geschehen zu.

„Das hat Spaß gemacht, auch wenn wir verloren haben. Es war ein netter Start in unsere Saisonvorbereitung. Man hat aber auch gemerkt, dass es die anderen Jungs gewohnt sind, in solch einem engen Käfig zu spielen“, sagte St.-Pauli-Abwehrspieler Marc Hornschuh. Und Torwart Robin Himmelmann, der die erste Halbzeit von zehn Minuten bestritt, fügte an: „Es ist schon eine sehr spezielle Art, Fußball zu spielen.“ Im Hinblick auf den Trainingsbeginn an diesem Montag sagte er. „Der Urlaub hat wie immer gutgetan, um den Kopf frei zu bekommen. Aber jetzt freue ich mich auch darauf, dass es wieder los geht.“