Paris. Mit Vollgas zum ersten Major-Titel: Die Lettin weckt mit ihrem Triumph von Paris Hoffnungen auf eine große Tenniskarriere.

Auch am Tag nach ihrem spektakulären Sieg staunte die Welt des Tennis über den Auftritt von Jelena Ostapenko. Staunte, schwärmte, feierte nach einem Finale, das auf keiner Rechnung gestanden hatte vor Beginn des Turniers. Aber wenn nicht alle Erkenntnisse dieser Internationalen Tennismeisterschaften von Frankreich in die falsche Richtung führen, dann wird dieses temperamentvolle Fräulein aus Lettland, das die French Open durch einen 4:6, 6:4, 6:3-Finalsieg über die Rumänin Simona Halep (25) gewann, in nicht allzu ferner Zukunft öfter mit einem silbernen Pokal auf einem Podium stehen. Der Anfang war jedenfalls überaus eindrucksvoll.

Das Tennis dieser Tage ist schon länger auf der Suche nach einer jungen Frau, die Serena Williams (USA) dereinst beerben kann, mit allem, was dazugehört. Jelena Ostapenko, die vor ein paar Tagen in Paris ihren 20. Geburtstag gefeiert hatte, schrieb ihren Namen als Bewerbung in den Sand des Courts Philippe Chatrier. Obwohl, wenn man es genau nimmt, dann schrieb sie nicht, sondern rammte an allen vier Ecken des Platzes Leuchtfeuer in den roten Sand. Faszinierend, mit welcher Leidenschaft, welcher Bereitschaft zum Risiko sie auch im ersten großen Finale ihrer Karriere spielte.

Und das selbst in einer Phase, in der es so aussah, als sei die Gegnerin auf dem Weg zum Sieg. Die Rumänin hatte zu diesem Zeitpunkt den ersten Satz gewonnen, führte im zweiten 3:0 und hatte weitere Breakbälle. Doch in diesen Momenten zitterte ihr Arm, sie ließ Ostapenko zurückkommen, und die freche Lettin, die als Weltranglisten-47. bis dato noch keinen Titel auf der WTA-Tour gewonnen hatte, gehört sicher zu den Personen, denen man besser nicht den kleinen Finger reicht.

Ihre Vorhand schlägt härter als die von Andy Murra

Ostapenkos Spiel kennt nur eine Dimension. Die einstige Turniertänzerin, die sich im Teenageralter für Tennis entschied, knallt die Bälle aus allen Lagen und Positionen mit unfassbarer Geschwindigkeit übers Netz. Messungen während der French Open hatten ergeben, dass sie die Vorhand härter schlägt als die Nummer eins der Männer, der Schotte Andy Murray. Und auch ein anderer Vergleich zeigt, was hier los ist. Die Siegerin der French Open schlug mehr Asse als der Kollege Rafael Nadal, mehr Vorhandwinner und mehr Rückhandwinner als der Spanier, und Simona Halep hatte all dem am Ende nichts mehr entgegenzusetzen. Die Weltranglistendritte wirkte schwer geknickt und meinte, sie werde eine Weile brauchen, um sich von dieser Niederlage zu erholen. Einer Niederlage, die ganz nebenbei dafür sorgte, dass Angelique Kerber weiter an der Spitze der Weltrangliste stehen wird. Mit ihrem ersten Grand-Slam-Triumph hätte Halep die Kielerin vom Thron stoßen können.

Jelena Ostapenko, die das Turnier auf Platz 47 der Weltrangliste begonnen hatte, rückt auf Rang zwölf vor, und dabei wird es sicher nicht bleiben. Die US-Amerikanerin Chris Evert überschlug sich fast in ihrem Kommentar für die internationale Schiene von Eurosport in ihrer Begeisterung für die junge Lettin und deren Bereitschaft zum Risiko. „Eine wie Jelena, das ist es, was wir brauchen im Frauentennis“, schwärmte sie. „Wir sind doch alle so hungrig nach neuen Gesichtern – hier ist eines.“

Sicher, man kann die Art des Spiels der jüngsten Siegerin in Paris seit 20 Jahren, der ersten ungesetzten Siegerin seit mehr als acht Jahrzehnten und der jüngsten Siegerin eines Grand-Slam-Turniers seit 13 Jahren schlicht in der Anlage finden. Volle Kraft voraus – und dann rette sich, wer kann. Aber dabei muss es ja nicht bleiben, und ein großer Teil der Faszination besteht darin, diesem lettischen Feuerkopf bei der Arbeit zuzusehen. In ihren Reaktionen kann man lesen wie in einem Buch, und vieles ist so spannend wie das Werk ihrer Lieblingsautorin Agatha Christie.

Ostapenko nahm ihre Aufgabe mit Schwung an

War sie überhaupt nicht nervös im ersten großen Finale ihrer Karriere? Kurz vor dem Spiel habe es ein paar Minuten gegeben, gab sie zu, aber sonst sei alles okay gewesen. Es ist die Stärke der Jugend, einfach rauszugehen, dem Tag ins Auge zu sehen und sich ins Spiel zu stürzen. Die Nervosität nimmt mit zunehmendem Alter eher zu, wie alle großen Spieler bestätigen. Ostapenko nahm die Aufgabe mit hinreißendem Schwung an, und am Ende stand sie im hellsten Licht.

Erst am Tag danach sah es so aus, als sei sie von der Bedeutung ihrer Tat ein klein wenig eingeholt worden. Zum offiziellen Fototermin mit Trophäe trug Jelena Ostapenko ein kurzes Kleid mit schwarzem Oberteil, hochhackige Pumps und die wilde Mähne diesmal nicht geflochten wie im Spiel, sondern von einem Band zusammengehalten offen. Lächelnd erfüllte sie die Wünsche der Fotografen, aber es waren vorsichtige, kleine Posen. Die großen Siegerauftritte von Serena Williams sehen anders aus, aber das kriegt sie ganz sicher auch noch hin. Jelena Ostapenko, davon ist nach den zwei Wochen von Paris auszugehen, steht ja erst am Anfang einer großen Karriere.

Das Doppelfinale der Damen gewann das topgesetzte Duo Bethanie Mattek-Sands/Lucie Safarova (USA/Tschechien) mit 6:2, 6:1 gegen die Australierinnen Ashleigh Barty/Casey Dellacqua. Die Russin Maria Scharapowa (30) sagte unterdessen ihre Teilnahme am dritten Grand-Slam-Turnier der Saison in Wimbledon (3. bis 16. Juli) wegen eines Muskelfaserrisses ab.