Hamburg. Warum muss der HSV, der seit 2009 mehrfach den Total-Umbruch wagte, nahezu jedes Jahr bis zuletzt um die Klasse zittern? Welche Fehler wurden gemacht? Was muss anders werden? Im dritten Teil der HSV-Serie Schluss mit Abstiegskampf geht es um die Ausgliederung im Sommer 2014

Die Revolution begann bei Frikadellen und Erdbeerkuchen. Es war ein warmer Tag im August 2013, als auf einer Sommerterrasse in Poppenbüttel die größte Strukturreform in der Geschichte des Hamburger Sport Vereins vorbereitet wurde. Der frühere Aufsichtsratschef Otto Rieckhoff hatte eingeladen, und auf der Terrasse nahmen vier weitere Personen Platz. Holger Hieronymus, einst HSV-Sportdirektor, DFL-Geschäftsführer und Europapokalsieger mit dem HSV 1983. Bernd Bauer, früherer Medienchef der Bertelsmann AG. Thomas Krüger, ein Hamburger Anwalt und Vereinsrechtler. Und schließlich Stephan Rebbe, Mitgründer der Hamburger Werbeagentur Kolle Rebbe. Sie alle waren gekommen, um ein gemeinsames Ziel in die Wege zu leiten: Die Ausgliederung der HSV-Fußballabteilung. Das Quintett erstellte einen Plan, wie der Club endlich rauskommt aus den Krisenjahren. „Aufstellen für Europa“, lautete die Devise. Es war die Geburtsstunde von HSVPlus.

Fast vier Jahre später sitzt Stephan Rebbe im Café Paris in der Hamburger Innenstadt und bestellt sich Pasta Bolognese. Der Werber hat seine Anteile an der Agentur vor zwei Jahren verkauft. Rebbes Leben hat sich verändert – seine emotionale Bindung zum HSV aber ist geblieben. Und doch klingt aus Rebbe viel Enttäuschung heraus, wenn er über die Ausgliederung und ihre Folgen spricht. „Der Geist unserer Bewegung wurde nicht übernommen“, sagt Rebbe im Gespräch mit dem Abendblatt genau drei Jahre, nachdem auf der legendären Mitgliederversammlung im Mai 2014 über die Ausgliederung abgestimmt wurde – mit 86,9 Prozent Zustimmung für HSVPlus. Fast 10.000 Mitglieder waren zur Versammlung in das Volksparkstadion gekommen. Lange nicht mehr war der Jubel in der Arena so groß wie an diesem Nachmittag, als das Ergebnis verkündet wurde.

Zeitsprung zurück. Die Sommerterrasse in Poppenbüttel. Nachdem Petra Rieckhoff ihre Gäste im August 2013 zunächst mit ihren hausgemachten Frikadellen und schließlich mit selbstgebackenem Erdbeerkuchen versorgt hat, planen Rebbe, Hieronymus, Bauer, Kröger und Otto Rieckhoff, wie der HSV endlich professionalisiert werden kann. Vorausgegangen war eine Rede Rieckhoffs auf der Mitgliederversammlung am 2. Juni. „Es ist an der Zeit, die gesamte Struktur des HSV zu ändern“, rief Rieckhoff den Mitgliedern angesichts der ständigen Querelen rund um den Aufsichtsrat zu und erntete tosenden Applaus. Die Frage war nur, wie das gehen soll? „Sprich doch mal mit Rebbe“, sagte der damalige Vorstand Joachim Hilke zu Rieckhoff. Gesagt, getan. Rieckhoff rief Rebbe an. Der erfolgreiche Werber sollte für die Idee der Ausgliederung eine Kampagne entwerfen. Rebbe holte sich Mitstreiter ins Boot. Bauer als PR-Experten. Kröger für die rechtlichen Fragen. Hieronymus als Aushängeschild für den Sport und Kontaktperson zur DFL.

Innerhalb weniger Wochen entwickelte die Gruppe ihr Konzept. Über eine große Onlinekampagne wurde die Idee verbreitet. Mit Thomas von Hessen und Ditmar Jakobs konnte HSVPlus zwei weitere Europacuphelden von 1983 für sich gewinnen. Die Initiatoren tingelten über die Dörfer und stellten vor den Mitgliedern ihre Pläne vor: die Entschuldung mithilfe strategischer Partner, Investitionen in den Nachwuchs anstelle von Rekordtransfers, mehr Fußballkompetenz im Umfeld des HSV. „Das wären die Voraussetzungen, um in drei Jahren wieder oben dabei zu sein“, sagte Rieckhoff damals zu seinem Konzept. Und Karl Gernandt, der durch HSVPlus zum Aufsichtsratschef der neuen HSV Fußball AG aufstieg, kündigte in seiner Jubelrede am 25. Mai 2014 an: „Wir wollen in drei Jahren eine solide Mannschaft auf die Beine stellen. Mit Nachwuchsspielern auf dem Rasen. Wir wollen in den Transferperioden mit breiter Brust auftreten können, weil die Finanzen geregelt sind.“

Drei Jahre später ist der HSV noch immer unten. Der HSV hat zwar in den Nachwuchs investiert, vor allem aber in neue Millionentransfers, die größtenteils floppten. Die Finanzen wurden nicht geregelt, sondern „zerrüttet“, wie Investor Klaus-Michael Kühne kürzlich sagte. Die Verbindlichkeiten betragen weiterhin rund 100 Millionen Euro. Ein strategischer Partner ist nicht in Sicht. 17 der 24,9 Prozent der zu veräußernden Anteile wurden mittlerweile an Kühne verkauft. Ohne den Geldgeber geht in der anstehenden Transferperiode nahezu nichts. Wie konnte das passieren? Warum hat die HSV Fußball AG das Konzept der Reforminitiative nicht umgesetzt? Welche Fehler wurden seit der Ausgliederung gemacht?

„Die Entschuldung wurde nicht wie versprochen vorangetrieben. Die Einflussnahme durch Herrn Kühne war ein Risiko. Sie ist letztlich viel höher ausgefallen, als wir uns das vorgestellt haben“, sagt Stephan Rebbe im Mai 2017. Er bestellt sich einen Espresso-Macchiato. Insbesondere der erste Anteilsverkauf an Kühne sorgte bei Rebbe und Rieckhoff damals für Unverständnis. Ihnen schwebte ein Wert der HSV AG von 400 Millionen Euro vor. Die Wirtschaftsprüfer von KPMG errechneten in ihrem Gutachten eine Bandbreite mit einem Wert von bis zu 330 Millionen Euro. Kühne erwarb schließlich für 18,75 Millionen Euro 7,5 Prozent der Anteile bei einem angenommenen HSV-Wert von 250 Millionen Euro. „Herr Kühne hat eine Bewertung ansetzen lassen, die deutlich niedriger war, als wir es angenommen hatten“, sagt Rebbe. „Der Vorstandsvorsitzende war nicht stark genug, sich zu positionieren.“

Mit dem Vorstandsvorsitzenden meint Rebbe Dietmar Beiersdorfer, der nach der erfolgreichen Ausgliederung an die Spitze des neuen HSV gehoben wurde. Beiersdorfer war die Antwort auf die Frage, mit der sich die Reformgruppe monatelang auseinandergesetzt hatte. Als Wunschkandidaten hatte die Gruppe zunächst Oliver Bierhoff ausgemacht und angefragt. Doch der Manager der Nationalmannschaft wollte nicht. Felix Magath kam für die HSVPlus-Initiatoren nicht infrage. Hieronymus sah sich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage.

Und so kristallisierte sich immer mehr der Name Beiersdorfer heraus. Gegen den damaligen Sportdirektor von Zenit St. Petersburg gab es zwar auch Vorbehalte. Doch letztlich war sich die Gruppe einig, dass man bei den Mitgliedern mit dem Namen Beiersdorfer den größten Zuspruch erhalten würde. Zumal sich andeutete, dass auch die Gegeninitiative um den früheren Vereinspräsidenten Jürgen Hunke versuchte, Beiersdorfer für sich zu gewinnen.

Und so war am 25. Mai bereits vor der Abstimmung ziemlich klar, dass der frühere Sportchef und bei den Fans beliebte Beiersdorfer der neue Vorstandschef beim HSV werden würde. Dieser Plan trug dazu bei, dass die Mitglieder mit 86,9 Prozent für die Ausgliederung stimmten. Als Versammlungsleiter Jens Meier um 16.33 Uhr das Ergebnis verlas, war der größte Erfolg einer Reformbewegung beim HSV perfekt.

Noch am selben Abend trafen sich die Macher zur Siegerfeier. Beim Italiener Il Vagabondo in Ottensen wurde Fisch serviert. Rieckhoff, Rebbe und ihre Unterstützer genossen den Triumph. Auch der damalige Marketingvorstand Joachim Hilke, der sich bereits ein halbes Jahr zuvor für HSVPlus ausgesprochen hatte und dafür scharf kritisiert wurde, war dabei.

Ihre Arbeit sahen die Reformer mit diesem Tag als beendet an. Ein Amt im neuen Aufsichtsrat strebten weder Rieckhoff noch Rebbe an. Sie verstanden sich als Grassroute-Bewegung, die sich den Wünschen der Mitglieder angenommen hatten. „Wir haben mit einem Team aus Freiwilligen in meiner damaligen Agentur, einem HSV-verrückten Digitalspezialisten und einer Filmproduktion, die ebenfalls ihre Dienste pro bono zur Verfügung gestellt hat, unsere Kampagne entwickelt. Ich selbst habe knapp 1000 Euro in die Hand genommen. Mehr Geld ist für die Kampagne nicht geflossen“, sagt Rebbe.

Umso mehr ärgert ihn, dass die Ziele von HSVPlus nie konsequent verfolgt wurden und sich im neuen Vorstand niemand den Zielen verpflichtet fühlte. Initiator Otto Rieckhoff hatte seinen Ärger darüber bereits ein Jahr nach der Ausgliederung kundgetan, schließlich waren nicht nur bei ihm mit der Bewegung große Hoffnungen verbunden. „Ohne HSVPlus gibt es nur eine Richtung: steil nach unten“, sagte Rieckhoff noch vor der Ausgliederung. Doch auch mit HSVPlus blieb der HSV unten.

Ob die Chance vergeben ist? Rebbe sieht trotz aller Fehler noch immer die Möglichkeit zur Kurskorrektur. „Der HSV muss als Leitbild ein Leistungsprinzip auf allen Ebenen des Unternehmens etablieren. Wenn man immer im Hinterkopf hat, dass in der Schweiz oder auf Mallorca eine Geldquelle mit schwarz-weiß-blauen Scheinen sprudelt, führt das dazu, dass man sich im Zweifel nicht anstrengen muss. So kann ein Leistungsprinzip nicht wirken“, sagt der Werber. „Inwieweit die neue Clubführung um Heribert Bruchhagen dazu imstande ist, wird sich in den kommenden sechs Monaten zeigen.“

Rebbe hat seinen Espresso-Macchiato ausgetrunken. Der nächste Termin ruft. Er steigt in ein Car to Go und fährt los. Nur noch zwei Sätze zum Abschluss: „Der HSV muss positive Energie entfachen. Man sollte nicht immer wieder in den Rückspiegel schauen.“

Der nächste Serienteil am Mittwoch:
Die große Transferbilanz