Köln . Gunter Pilz will dem Verband sein “Befremden“ mitteilen. Fan-Initiative erwartet nach Pfeifkonzert beim Pokalfinale weitere Proteste.

Dieses Eigentor war vermeidbar! Hätte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) auf seinen eigenen Experten gehört, wäre dem Verband die Halbzeit-Peinlichkeit beim Pokalfinale in Berlin in Person von "Frustableiter" Helene Fischer erspart geblieben. "Ich hätte auf jeden Fall davon abgeraten. Aber mich hat ja keiner gefragt. Ich werde dem DFB aber mein Befremden über diese Entscheidung mitteilen", sagte Gunter A. Pilz dem Sport-Informations-Dienst (SID).

Gunter A. Pilz (Archiv) berät den DFB seit 20 Jahren in Fanfragen
Gunter A. Pilz (Archiv) berät den DFB seit 20 Jahren in Fanfragen © Imago/Martin Hoffmann

Für Deutschlands renommiertesten Fanforscher war der Halbzeitauftritt des deutschen Superstars in der Pause des Pokalfinales zwischen Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt (2:1) ein weiteres Beispiel für die fehlende Sensibiliät der Verantwortlichen im Umgang mit der Anhängerschaft: "Wenn man ein bisschen sensibler ist, weiß man um die aktuelle Stimmung unter den Fans. Dort herrscht verstärkt die Meinung, dass der Fußball immer weiter Richtung Kommerzialisierung treibt und sich am US-Sport orientiert."

Fan-Initiative rechnet mit weiteren Protesten

Die Fan-Initiative FC PlayFair! erwartet deshalb auch weitere ähnliche Proteste in der Zukunft. Ihr Gründer Claus Vogt sagte MDR Aktuell: "Ich glaube, das wird nicht die letzte Aktion in die Richtung sein. Da bin ich mir ganz sicher." Fischer sei Opfer des ausufernden Fußball-Kommerzes geworden: "Ich glaube, da haben eher die Funktionäre etwas verbrochen." Sie hätten versucht, die Show des Superbowl in den USA zum DFB-Pokal-Finale zu holen "und haben vergessen, dass bei uns doch noch mehr der Sport im Mittelpunkt steht als nur der Kommerz."

Vogt kritisiert etwa, dass Montagsspiele jetzt auch in Fußball-Bundesliga Einzug hielten. Ihm täten die jungen Fußballfans leid, die am Montagabend nicht ins Stadion gehen könnten, weil sie Dienstagfrüh zur Schule müssten. Der Fußball werde aufgrund von Einschaltquoten und Sponsorengeldern "zerfleddert und zerpflückt".

Das sei "langfristig kontraproduktiv", so Vogt: "Wenn das so weitergeht, dann werden die Spielergehälter und auch die Ablösesummen noch weiter steigen. Aber dadurch spielt leider kein einziger Spieler besser." Viele Fans sagten, dass eine Grenze erreicht sei, "und wenn das so weitergeht, dass sie sich abwenden vom Fußball".

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In den USA "alles Retortenvereine"

Pilz, der dem DFB seit mehr als 20 Jahren beratend zur Seite steht, sagt klipp und klar, dass man den Sport in Deutschland und den USA nicht annähernd vergleichen könne. "Der DFB besteht fast 120 Jahre, die meisten Vereine stehen für eine lange Tradition. Da zählen Werte wie Zuverlässigkeit, Leidenschaft, Identifikation", betont der 72 Jahre alte Soziologe. All dies spiele in Nordamerika keine Rolle: "Das sind alles Retortenvereine, die nicht mit einer Stadt verbunden sind. Da ist Sport Show und Business, meistens ohne Auf- und Abstieg. Wechselt der Geldgeber, zieht der Zirkus weiter. Das ist reines Event".

Und das wollen die deutschen Fans nicht, wie Pilz weiß: "Die Angst nimmt zu, dass sich der Fußball immer weiter von der Basis entfremdet. Und mit so einer Showeinlage wie in Berlin fühlen sie sich in ihren Vorurteilen bestätigt." Plakate mit Slogans wie "Krieg dem DFB" oder ähnlichen Statements seien aber nicht zu rechtfertigen und würden auch von einem Großteil der Ultra-Szene verurteilt.

Kritik schon nach Bayerns Anastacia-Show

Dass Show den Sport überdeckt, würde aber niemand gutheißen. Auf diese Gefahr hatte eine Woche zuvor auch Christian Streich hingewiesen. "Wir müssen schauen, dass wir das Rad nicht überdrehen", warnte der Freiburger Trainer nach dem 1:4 seines SC bei Bayern München. Dort hatte beim Saison-Finale der Halbzeit-Act mit Anastacia für eine achtminütige Spielverzögerung und anschließend für Kopfschütteln gesorgt. Bayerns Nationalspieler Mats Hummels kritisch: "Es wird schon immer mehr Show außen rum und jetzt auch mittendrin. Ich finde es nicht ganz so berauschend, aber es scheint dazuzugehören."

Pilz versichert aber, dass der DFB dieses Thema sehr ernst nehme: "Man macht sich viele Gedanken wie wieder eine vernünftige Balance zwischen den Fans und dem Verband hergestellt werden kann." Dabei müssten die Verantwortlichen aber viel mehr den Zeitgeist berücksichtigen.

"Nicht mit Udo Jürgens vergleichbar"

Dass Udo Jürgens vor 20 Jahren in der Pause des Pokalfinales zwischen dem VfB Stuttgart und Energie Cottbus die Massen begeistert hatte, sei kein Argument dafür, dass dies heutzutage genauso funktioniert.

"Udo Jürgens war damals ein Teil der Fußball-Familie, hat mit der Nationalmannschaft eine Platte aufgenommen. Damals hat der Fußball eher Udo Jürgens vereinnahmt als umgekehrt. Das kann man mit der heutigen Zeit nicht vergleichen", so Pilz.

DFB-Vize kündigt Aufarbeitung an

Der DFB kündigte seinerseits an, die Halbzeitshow auf den Prüfstand zu stellen. "Wir werden für die Zukunft aus dem vergangenen Samstag lernen", sagte DFB-Vizepräsident Peter Frymuth der "Rheinischen Post" (Dienstagausgabe).

"Es gilt ganz genau zu prüfen, was in Deutschland zu einem Pokalfinale passt - und was eben nicht. Es gibt sicherlich unterschiedliche Gedanken, wie man das Format gestalten kann. Wir müssen versuchen, alle Interessen in unsere Überlegungen einzubeziehen", betonte er.

"Wer erklärt hier wem den Krieg?"

Hinsichtlich der harschen Kritik von großen Teilen der organisierten Fans gegen den DFB ("Krieg dem DFB") ist Frymuth um eine differenzierte Aufarbeitung bemüht. "Wer ganz genau erklärt hier eigentlich wem den Krieg und warum? Ist damit die ganze Arbeit des DFB gemeint? Also auch die Arbeit an der Basis? Oder wird hier auf generelle Entwicklungen im bezahlten Fußball abgehoben? Werden damit Strafen wegen Verfehlungen der Fans kritisiert?", fragte sich Frymuth.

Der ehemalige Präsident von Fortuna Düsseldorf ist aber um einen Dialog bemüht: "Niemand kann ernsthaft an einer Entfremdung zwischen Verband und Fans Interesse haben. Wir werden uns damit offensiv auseinandersetzen und auch Gespräche mit vielen Beteiligten suchen."