London. Für Wladimir Klitschko geht es am Sonnabend im Londoner Wembley-Stadion um alles oder nichts. Lennox Lewis verspricht ein “großes Duell“.

Das Feuer, selbst noch einmal im Rampenlicht stehen zu wollen, ist in Lennox Lewis endgültig verloschen. „Ich neide den beiden ihre Bühne nicht, denn meine Bühne war größer. Letztlich versuchen sie doch nur, auf das Level zu kommen, auf dem ich als unbestrittener Champion war“, sagt der 51 Jahre alte Brite, der zwischen 1993 und 2003 dreimaliger Schwergewichts-Boxweltmeister war. An diesem Sonnabend (22.45 Uhr) ist Lewis als Experte für RTL live am Ring, wenn vor 90.000 Fans im Londoner Wembley-Stadion sein Landsmann Anthony Joshua (27) und der Ukrainer Wladimir Klitschko (41) um die Titel von IBF und WBA kämpfen.

Mister Lewis, viele Experten erwarten am Sonnabend den größten Schwergewichtskampf seit Ihrem Duell mit Mike Tyson 2002. Sie auch?

Lennox Lewis: In jedem Fall erwarte ich einen großartigen Kampf. Wladimir wirkt sehr entschlossen, will sich unbedingt die Gürtel zurückholen, die er fast zehn Jahre besaß. Er hat mehr Erfahrung und wird beweisen wollen, dass er noch etwas erreichen kann. Und Joshua ist jung, stark, ein toller Athlet, der seine bislang 18 Kämpfe durch Knockout gewonnen hat. Beide sind Olympiasieger, sportlich verspricht das ein großes Duell.

Sie selbst haben in Ihrer Karriere zweimal Ihre Titel verloren und sind zurückgekommen. Können Sie deshalb die Motivation von Wladimir Klitschko verstehen, mit 41 noch einmal angreifen zu wollen?

Erst einmal muss ich meinen Hut davor ziehen, dass er in dem Alter noch auf diesem Level boxt. Ich kann gut nachvollziehen, dass er durch die Niederlage gegen Tyson Fury, die auch mich total überrascht hat, neue Motivation spürt. Mir ging es nach meiner Niederlage gegen Hasim Rahman auch so. Ich war fast 36, mir fehlte der Antrieb. Nachdem er mich ausgeknockt hatte, war ich wieder hungrig. Diesen Hunger verspürt Wladimir jetzt auch, denke ich. Aber wir müssen abwarten, wie er zurückkommt. Gegen Fury wirkte er völlig abwesend, er wäre fast eingeschlafen und ist viel zu spät aufgewacht.

Es gibt für den Kampf am Sonnabend eine Reihe unbeantworteter Fragen. Vielleicht haben Sie Antworten. Wer wird besser mit der Atmosphäre zurechtkommen, die 90.000 Fans in Wembley erzeugen werden?

Wladimir kennt solche großen Fanmassen, ihn wird das nicht beeindrucken. Was Anthony angeht, muss man abwarten, er hat noch nie vor so einem Publikum gekämpft. Aber ich denke, er wird es als Motivation nehmen. Deshalb wird die Atmosphäre für den Kampfausgang keine Rolle spielen.

Kommt der Kampf für Joshua, der noch nie länger als sieben Runden gekämpft hat, zu früh?

Ich denke schon, und das werfe ich seinem Management vor. Joshua hat bislang alle seine Gegner ausgeknockt, aber was hat er dabei gelernt? Er hat nie gelernt, jemanden über die Runden auszuboxen. Der Tag wird aber kommen, an dem ein Gegner stehen bleibt. Und was macht er dann? Erfahrung und Intelligenz zählen mehr als Größe und Kraft. Vielleicht sehen wir das schon am Sonnabend.

Wenn Sie so reden, könnte man meinen, Sie würden auf Klitschko tippen.

Ich tue mich sehr schwer damit, einen Favoriten zu benennen. Wenn Joshua in den frühen Runden Druck aufbauen und Klitschko hart treffen kann, gewinnt er durch Knockout. Von den mittleren Runden an kommt es eher auf die Erfahrung an, und je länger der Kampf dauert, desto größer werden Klitschkos Chancen. Für mich ist der wichtigste Faktor, wie Wladimir in den Kampf kommt. Gegen Fury war er nicht er selbst. Jeder hat mal einen schlechten Tag bei der Arbeit, aber bei Boxern ist es das Dumme, dass man einen schlechten Tag erst nach Monaten wieder ausmerzen kann.

Klitschko hatte 17 Monate Pause seit seiner Niederlage gegen Fury. Zu lang? Ist das Alter am Ende doch ein Faktor?

Er wird sicherlich etwas Zeit brauchen, um in den Kampf zu finden. Die lange Pause kann negativ sein. Und ob Boxer zu alt sind, findet man leider meist erst im Kampf heraus.

Wenn Sie Klitschkos Trainer wären, was würden Sie ihm raten?

Ich würde ihm raten, dass er ihn müde boxen soll in den ersten Runden. Joshuas Muskeln sehen gut aus, aber sie sind nicht immer hilfreich. Deshalb muss Klitschko seinen Gegner ständig beschäftigen. Dass Joshua verwundbar ist, haben wir in seinem Kampf gegen Dillian Whyte gesehen. Da hatte er anfangs große Probleme, und Dillian Whyte ist ein Nobody.

Und wenn Sie Joshuas Trainer wären, was wäre dann Ihr Rat?

Dass er einen Plan B braucht, wenn der Knockout nicht funktioniert. Seine größte Stärke ist seine Power, aber er muss auch boxen können, um gegen so einen Mann wie Klitschko zu bestehen. Joshua weiß, wie man den Titel gewinnt, aber noch nicht, wie man ihn verteidigt. Darauf hätte ich ihn besser vorbereitet.

Glauben Sie, dass es Klitschko gelingen kann, seinen Stil zu verändern und nach einer Dekade der Dominanz wieder wie ein Herausforderer zu boxen?

Ich glaube, dass er kontrollierten Druck ausüben wird. Er muss sich nicht groß verändern, er muss sich auf seine Stärken besinnen.

Wenn Klitschko gewinnt, sollte er dann auf dem Höhepunkt aufhören, bevor ihn irgendwann das Alter in die Knie zwingt? Oder warum ist es so schwer, den richtigen Zeitpunkt zum Rücktritt zu finden?

Weil wir Boxer Egozentriker sind und die große Bühne lieben. Wladimir hatte eine große Karriere, und er hatte verschiedene Tests in seinem Leben. Jetzt will er den nächsten bestehen. Wenn er das schafft, ist er wieder der König. Warum sollte er dann aufhören?