Hamburg. Nach dem Pyro-Ärger geht der Club auf Konfrontationskurs mit den eigenen Fans. Ein Zuschauerausschluss droht aber nicht

Am Montagvormittag um 11.47 Uhr war es amtlich: Da teilte der DFB hochoffiziell mit, dass der HSV eine Stellungnahme zu den Vorkommnissen am Sonnabend, als das Heimspiel gegen Darmstadt 98 (1:2) wegen Pyrotechnik und gezündeter Rauchtöpfe für mehrere Minuten unterbrochen wurde, abgeben müsse. Auf Nachfrage des Abendblatts präzisierte der Verband, dass diese Stellungnahme zeitnahe vorliegen müsste, der Kontrollausschuss erst anschließend über das Strafmaß entscheide und dass auch vorausgegangenes Fehlverhalten des HSV bei der Strafzumessung berücksichtigt würde.

So weit, so schlecht. Während der DFB also seine (schriftlichen) Statements verschickte, war beim HSV die Zeit der (mündlichen) Ursachenforschung gekommen. Der Montag danach war der Tag der Gespräche: Die Vorstände Heribert Bruchhagen und Frank Wettstein saßen mit Stadionchef Kurt Krägel und Fanbetreuer Joachim Ranau zusammen, später verabredeten sich Fanbetreuung, Fanvertreter sowie Fanprojekte zum runden Tisch. Und auch die Ultra-Gruppierung Poptown, die intern für die konzertierte Aktion verantwortlich gemacht wurde, traf sich am Abend, um über die Vorkommnisse des Sonnabends zu diskutieren. Viel Rauch um viel.

Es dauerte bis zum Abend, ehe sich zumindest der HSV-Vorstand (schriftlich) äußern wollte. „Wir verurteilen es aufs Schärfste, dass mit dieser Aktion Gesundheit und Sicherheit von vielen Tausend Fans auf den Tribünen riskiert wurden“, hieß es in einer Stellungnahme auf der Homepage. Und weiter: „Der HSV wird die Polizei und die Ermittlungsbehörden uneingeschränkt dabei unterstützen, die Täter zu identifizieren. Ermittelte Täter müssen mit Strafverfahren beziehungsweise entsprechenden Strafen und gegebenenfalls mit Regressforderungen sowie Stadionverboten rechnen.“

Die Strafe für den Club dürfte dagegen milder als erwartet ausfallen. Zwar bekräftigte DFB-Präsident Reinhard Grindel auf Abendblatt-Nachfrage: „Wir sind der uneingeschränkten Auffassung, dass Pyro nicht ins Stadion gehört.“ Der befürchtete Teilausschluss der Fans ist nach Informationen dieser Zeitung aber nahezu ausgeschlossen. Selbst ein Teilausschluss auf Bewährung gilt als höchst unwahrscheinlich. Und obwohl der HSV nach mehreren Vergehen als Wiederholungstäter gilt, dürfte der Club auch diesmal mit einer (hohen) Geldstrafe davonkommen. Dabei hatten HSV-Ul­tras in dieser Saison bereits fünfmal gezündelt, damit für Geldstrafen von 60.000 Euro gesorgt.

Wie aber kann es sein, dass es Fans immer wieder gelingt, ihren Zündstoff ins Stadion zu schmuggeln, wo doch nicht erst seit dem Anschlag von Dortmund erhöhte Wachsamkeit herrschen sollte? „Die Sicherheitsmaßnahmen sind schon verdammt gut“, versichert Carsten Klauer, Geschäftsführer des zuständigen Dienstleisters Power. Es sei aber nicht zu verhindern, dass Rauchpulver in kleinen Gebinden ins Stadion gebracht und dort zusammengeführt werde. „Da hat man wenig Möglichkeiten, es zu finden.“ Und trotzdem kündigte HSV-Chef Bruchhagen an, die Kontrollen zu verstärken.

Bleibt noch die Frage, warum es ausgerechnet in dieser Saison so häufig zu Zündeleien im Fanblock kommt? Die Antwort ist simpel und kompliziert zugleich. Die einfache Variante: weil es möglich ist. Die etwas schwierigere Antwort: Seit dem Auflösen der gemäßigten Ultra-Gruppierung Chosen Few (CFHH) infolge der Ausgliederung 2014 gibt es auf der heterogenen Nordtribüne ein Machtvakuum, das einige Halbstarke allzu gerne ausfüllen würden.

„Nach dem Rückzug von Chosen Few muss sich die Fanszene erst einmal neu finden“, hatte Ranau, der leitendende Fanbeauftragte des HSV, schon vor zweieinhalb Jahren dem Abendblatt gesagt. Damals konkurrierten die Ultras von Poptown mit der Gruppierung North Crew um die Führung in der Kurve. Heute sind es Poptown und Castaway, eine relativ neue Ultra-Gruppe, die sich um die Vorherrschaft im Norden duellieren. Zudem hält sich in der Szene das hartnäckige Gerücht, dass an der Pyro-Choreografie vom Wochenende auch mit Poptown befreundete Ultras des FC Kopenhagen tatkräftig beteiligt waren.

Das Hauptproblem dieser infantilen Wer-hat-den-Längsten-Zankereien: Anders als mit der 2014 aufgelösten Ultra-Fraktion CFHH ist ein Dialog mit den meist jugendlichen Mitgliedern von Poptown schwer bis gar nicht möglich. Selbst die Spitze des Supporters Club, die Dachorganisation der HSV-Fans, steht nur bedingt mit den Ultras im Kontakt. Und während es bis zur Ausgliederung mit Oliver Scheel noch ein eigenes Vorstandsmitglied für Fanbelange gab, wurde der gesamte Themenkomplex später der Einfachheit halber an Vorstand Frank Wettstein übergeben. Der ist allerdings Finanz- und kein Fanexperte.

Doch auch ohne langjährige Kurvenkompetenz hat Wettstein am Montag deutlich gemacht, dass es selbst bei einer milden DFB-Strafe ein fröhliches Heiter-Weiter nicht geben würde. So verhängte der HSV gegen die Ultras von Poptown ein Materialverbot – Banner, Blockfahnen, Schwenkfahnen – und sprach ihnen bis auf Weiteres ein Verbot von Choreografien oder Spruchbändern aus. Der Rauch, so viel dürfte nach dieser Entscheidung gegen die eigenen Fans sicher sein, ist damit noch lange nicht verflogen.

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