Shanghai . Die Formel 1 steht vor einem packenden Duell um den WM-Titel – Vettel Zweiter

Die letzten Meter sind die entscheidenden, auch nach 56 Runden absolviert Lewis Hamilton sie voll konzentriert. Minutiös parkt der Sieger des Großen Preises von China in der
Boxengasse ein, schnallt sich los, nimmt das Lenkrad ab. Dann blickt er hoch, und er sieht ein Schild mit einer überdimensionalen Eins direkt vor sich. Der Mercedes-Werksfahrer ist wieder angekommen: Revanche für die Niederlage beim Saisonauftakt, das Fernduell mit Sebastian Vettel im Ferrari gewonnen, nach den schwierigen Bedingungen bei seinem 54. Grand-Prix-Sieg vom Renningenieur „Meisterklasse“ bescheinigt bekommen. Die neue Formel 1 hat bereits beim zweiten WM-Lauf ihr Traumduell: Hamilton gegen Vettel, punktgleich liegen die Gegenspieler in Silber und Rot an der Spitze.

Beim 150. Start der Mercedes-Silberpfeile in der Formel 1 demonstrierte der Sieger mit dem Grand Slam des Motorsports (Pole-Position, Rennsieg, schnellste Runde und Führung in jeder Runde) eindrucksvoll seinen Anspruch auf die Rosberg-Nachfolge als Weltmeister. „Es war anfangs schwierig, unter den Bedingungen den Wagen auf der Strecke zu halten und dann noch auf die Zeiten zu achten“, gestand Hamilton, „es wird Zeiten geben, in denen es noch enger wird, wenn das Safety-Car keine Rolle spielt. Darauf freue ich mich.“ Gegenspieler Vettel konnte das nur bestätigen: „Ein toller Kampf.“

Beide haben sich spontan umarmt, gehen mal innig, mal frotzelnd mit­einander um. Denn sie wissen: Fortsetzung folgt. In diesem Fall schon beim Osterrennen in Bahrain. Der eine richtet sich am anderen auf. „Ich liebe dieses Duell jetzt schon, man kann endlich kämpfen“, sagt Hamilton, „es ist ein Jahr, in dem alles passen muss.“

Wenn Sebastian Vettel nach einer Niederlage sein Grinsen nicht verliert, zeigt es nur, dass tatsächlich etwas dran sein muss an dieser neuen Formel 1. Obwohl wegen der Wetterkapriolen im Yangtse-Delta nicht richtig trainiert und kalkuliert werden konnte, bestätigten der Heppenheimer und Ferrari ihre Frühform. Vettel lebt auf durch die Chance auf Zweikämpfe, wie er sie erfolgreich gegen den Teamkollegen Kimi Räikkönen und gegen die starken Red-Bull-Piloten Daniel Ricciardo und Max Verstappen (der vom 16. Startplatz aus noch Dritter wurde) führen konnte.

Als Steigerung fehlt noch das Rad-an-Rad-Duell mit Gegenspieler Hamilton, das diesmal versagt blieb, weil Ferrari früher auf Slicks gewechselt hatte und dann von einer Safety-Car-Phase überrascht wurde. Über Funk bedankte er sich auf der Auslaufrunde bei seiner Scuderia: „Wir sind die Schnellsten! Nächstes Mal gewinnen wir.“ Weiterführende Prognosen für den Ausgang des Kopf-an-Kopf-Rennens lehnt er jedoch ab: „Mercedes ist das Maß aller Dinge. Aber unser Auto funktioniert, wir scheinen gut unterwegs zu sein. Nach zwei Rennen ist das Papier noch leer.“

Vielleicht wäre das die beste Regeländerung, um die neue Formel 1 noch attraktiver zu machen: Das Freitagtsraining streichen, dann müssten in Qualifikation und Rennen alle mehr oder weniger drauflosfahren. Auch taktisch gut platzierte Regenschauer könnten das Spektakel noch verbessern. Um so etwas auszuprobieren, braucht es keine Strategiegruppen, ein Rennen auf dem Shanghai International Circuit reicht. Freitags verhinderten Regen, Smog und Nebel die üblichen 180 Minuten Probefahrten, am Sonnabend war es warm und sonnig, am Sonntag kehrten die Schauer zurück. Resultat, ganz generell: ein sehr munterer Rennverlauf.

Hamilton profitierte in China von einem Safety-Car-Einsatz

Hamilton fährt von Beginn an wie ein
sicherer Sieger, hat zehn Sekunden Vorsprung und kontrolliert das Tempo. Es ist eine Revanche für den Saisonauftakt in Melbourne: Dort hatte der Brite den Sieg verpasst, weil er nach dem Boxenstopp hinter Verstappen festgesteckt hatte. „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen. Eine perfekte Strategie von Mercedes“, sagte Teamaufsichtsratschef Niki Lauda nun erleichtert. Diesmal wird Vettel aufgehalten. Erst von Räikkönen, dann von Verstappen. Ein Verbremser des Niederländers verhindert ein echtes Rad-an-Rad-Duell. Aber die Frage, die über den Erfolg im zweiten WM-Lauf entscheiden wird, ist die, die Hamilton immer wieder an die Mercedes-Ingenieure stellte: „Halten meine Reifen?“

Sie halten. Ähnlich wie Vettel bei Ferrari macht auch bei Mercedes Hamilton den Unterschied – nicht nur belegt durch die jeweiligen finnischen
Adjutanten Kimi Räikkönen und Valtteri Bottas, die auf den Rängen fünf und sechs ins Ziel trudeln. Sebastian Vettel bescheinigt dem Sieger später die Ausnahmestellung: „Lewis hat den besten Job gemacht. Er hat von Beginn an das Tempo kontrolliert“, räumte Vettel neidlos ein: „Ich habe versucht, zu
Lewis aufzuschließen. Aber jedes Mal hatte er eine Antwort.“