In seinem ersten Interview spricht der HSV-Neuzugang Walace Souza Silva über die Abwehrsorgen, den 1:7-Albtraum bei der WM 2014 und sein größtes Ziel

Ein Interview mit Hamburgs neuem Brasilianer Walace Souza Silva zu bekommen, das ist gar nicht so einfach. Das liegt zum einen am vollen Terminkalender des HSV-Neuzugangs, der neben dem täglichen Training auch noch zweimal in der Woche zum Deutschunterricht verpflichtet wurde. Zum anderen soll Walace auf Medientermine in etwa so große Lust haben wie auf ein Videostudium von Brasiliens historischer 1:7-WM-Niederlage gegen Deutschland im Juli 2014.

Ausgerechnet in der englischen Woche hat es dann kurz vor der Partie des HSV gegen Hoffenheim (Sa., 15.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) aber doch mit Walaces erstem Interview in Hamburg geklappt. Treffpunkt ist die Hamburger-Weg-Loge im Volksparkstadion. An der Wand hängen die Porträts der früheren HSV-Helden Ernst Happel, Manfred Kaltz und Horst Hrubesch, aus dem Fenster hat man den besten Blick auf den Platz, auf dem Walace und seine Kollegen an diesem Sonnabend zum neunten Mal in Folge ungeschlagen bleiben wollen. Das Gespräch wurde (überwiegend) auf Portugiesisch geführt, wobei der Erfolg des Deutschunterrichts dem Vernehmen nach bereits hörbar sein soll.

Senhor Walace, fangen wir ganz harmlos an (nun kurz auf Deutsch): Wie geht’s?

Walace Souza Silva (antwortet auf Deutsch): Alles gut. Danke.

Sie sind nun seit gut zwei Monaten in Hamburg, nehmen seitdem zweimal die Woche Deutschunterricht. Wir hörten, dass Sie ein ganz passabler Schüler sein sollen …

Das hörte ich auch (lacht). Meine Lehrerin hat mir jedenfalls bestätigt, dass ich ganz gute Fortschritte mache, auch wenn Deutsch wirklich eine verdammt schwere Sprache ist. Aber die Grundregeln des Smalltalks beherrsche ich schon. Und die wichtigsten Fußballvokabeln kann ich natürlich auch.

Schnell lernen müssen Sie und Ihre Kollegen auch im Hinblick auf das Heimspiel gegen Hoffenheim. Geistert das 0:3 gegen Dortmund noch im Kopf herum?

Überhaupt nicht. So ist doch Fußball. Die Niederlage war ärgerlich, aber sie ist abgehakt. Nun steht schon wieder der nächste Höhepunkt bevor (zeigt auf den Stadionrasen). Hier werden uns am Sonnabend wieder mehr als 50.000 Menschen zum Sieg schreien.

Der nächste Höhepunkt mit Personalsorgen: In Dortmund fielen gleich drei Abwehrspieler aus – in den letzten Minuten mussten sogar Sie für den verletzten Aushilfsverteidiger Albin Ekdal hinten einspringen. Wann haben Sie das letzte Mal im Abwehrzentrum gespielt?

Noch nie.

Noch nie?

Nie, nie, nie. In der Jugend wollten mich die Trainer immer mal ganz hinten ausprobieren, aber ich wollte das nicht. Natürlich würde ich im Abwehrzentrum spielen, wenn Not am Mann ist wie am Dienstagabend. Aber im defensiven Mittelfeld fühle ich mich schon ganz gut aufgehoben.

In Dortmund waren mehr als 80.000 Zuschauer, in Hamburg sind es Woche für Woche um die 55.000 Fans …

… und genau das macht die Bundesliga aus. Hier sind Wochenende für Wochenende die Stadien voll – ganz egal, wie es sportlich gerade läuft. In Brasilien ist es unvorstellbar, dass mehr als 50.000 Zuschauer kommen, wenn man gegen den Abstieg spielt. Und die Atmosphäre in den Stadien ist auch wirklich spektakulär. Am Dienstag war ja mein erstes Mal in Dortmund vor dieser unglaublichen Tribüne …

… der Südtribüne …

Genau. Der Wahnsinn. Und auch bei uns im Stadion kann es schon ziemlich laut werden.

Wonach war es lauter: Nach Neymars Elfmetertor beim Olympiafinale im Maracanã oder nach Lewis Holtbys 2:1 am vergangenen Wochenende gegen Köln?

Echt jetzt? Ich bin doch Brasilianer. Also, bei allem Respekt: Lewis’ Tor war toll, es war wichtig und die Stimmung danach war wirklich großartig. Aber ein Finale ist ein Finale, Olympia ist Olympia und ein Titel im eigenen Land ist ein Titel im eigenen Land. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass ich jemals im Stadion einen so unglaublichen Lärm wie im vergangenen Sommer beim Olympiafinale gegen Deutschland erlebt habe.

Apropos Brasilien gegen Deutschland: Beim Olympiasieg standen Sie auf dem Platz. Wie haben Sie das epische 1:7 zwei Jahre zuvor bei der WM verfolgt.

Keine Ahnung.

Das glauben wir Ihnen nicht.

Ganz im Ernst. Wahrscheinlich war ich irgendwo in Florianópolis, einer Stadt im Süden Brasiliens. Aber ich habe keine besonderen Erinnerungen an das 1:7 Brasiliens.

Sie haben keine Erinnerungen – oder Sie wollen keine Erinnerungen haben?

Sie können mir ruhig glauben (lacht). Ich erinnere mich nicht. Aber ich will mich auch nicht erinnern. Für Brasiliens Fußballherz war es ein tragischer Tag. Über dieses WM-Spiel wird man wahrscheinlich in 100 Jahren noch sprechen.

Der schlimmste Schock scheint überwunden. Brasilien hat sich als erste Mannschaft weltweit für die WM in Russland qualifiziert. Bleibt die Seleção auch Ihr Traum?

Die Seleção ist für jeden brasilianischen Fußballer der größte Traum – natürlich auch meiner. Ich war ja auch schon mal nominiert. In der aktuellen Situation muss ich mich aber zunächst mal auf den HSV und auf den Abstiegskampf konzentrieren. Wenn ich dabei überzeuge, dann wird man das auch in Brasilien registrieren, und dann kommt auch alles andere von ganz alleine.

Wissen Sie, ob das Spiel des HSV gegen Hoffenheim auch in Brasilien im Fernsehen gezeigt wird?

Puh, keine Ahnung. Ich denke aber schon, dass man das Spiel im Pay-TV in Brasilien verfolgen kann.

In Brasilien kennt jeder Bayern München, Borussia Dortmund und einige vielleicht auch den HSV. Aber ganz ehrlich: Haben Sie vor Ihrem Wechsel schon jemals von 1899 Hoffenheim gehört?

Das werden Sie mir jetzt vielleicht nicht glauben, aber ich kannte 1899 Hoffenheim tatsächlich ganz gut. Das lag aber vor allem daran, dass ein Kumpel von mir, Bruno Narário, vor dreieinhalb Jahren nach Hoffenheim gewechselt war. Und mittlerweile hat Hoffenheim ohnehin einen ganz guten Namen – auch in Brasilien.

Ein Portugiesenviertel gibt es in Hoffenheim aber nicht …

Nein, das gibt es nur in Hamburg (lacht). Und das brasilianische Steakhouse dort, das Panthera Rodizio, gehört definitiv zu meinen Lieblingsplätzen in ganz Hamburg. Das kann eigentlich nur noch von einem Lieblingsort geschlagen werden (zeigt wieder durch die Scheibe ins Stadion auf den Platz).