Hamburg. Hamburg verfügt neben Berlin über die einzige Halle hierzulande, die ausschließlich für Curling bestimmt ist.

Wenn der Boss zum Besen greift, flutscht die Sache. Hafenunternehmer Thomas Eckelmann schrubbt wie ein Weltmeister auf dem Eis. Der 20 Kilogramm schwere Granitstein nimmt den gewünschten, leicht gekrümmten Verlauf und stoppt unmittelbar am Zielpunkt. Perfekt „ins House gewischt“. Zufriedenheit im Viererteam. Curling macht Spaß, ist aber auch mit reichlich Arbeit, Konzentration, taktischer Raffinesse und stabilen Nerven verbunden. Das Resultat: durchaus schweißtreibend.

Vor fünf Jahrhunderten ging’s los

Es ist Dienstag, kurz nach 20 Uhr in der Eishalle an der Hagenbeckstraße 132 a in Stellingen. Der Hafenpokal, die seit mehr als 40 Jahren ausgetragene interne Meisterschaft des Curling-Clubs Hamburg mit 16 Mannschaften, geht in die finale Phase. Am 30. März endet die Saison; ein paar Tage später wird abgetaut. Im Oktober geht’s weiter.

Feuer für das Spiel vom Vater geweckt

„Diese Sportart fasziniert mich“, sagt Thomas Eckelmann bei einem kleinen Bier am Rande des Wettbewerbs. Als Mannschaftsführer, als Skip, gibt er die Taktik und das Ziel vor. Statt dunkelblauen Blazer und Krawatte trägt er heute einen hellen Wollpullover, eine weinrote Steppweste und eine schwarze Cap. In der Halle herrschen konstant sechs bis acht Grad.

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© HA | Marcelo Hernandez

Das Feuer für das eisige Spiel wurde von Vater Kurt geweckt, seinerzeit ebenfalls Chef des Container-Terminals Eurokai in Waltershof. Im Geschäftsjahr 2015 erwirtschafteten dort mehr als 2300 Mitarbeiter 324 Millionen Euro Umsatz. Gemeinsam mit anderen Wirtschaftskapitänen aus der Stadt hatte Kurt Eckelmann sich in den 1960er-Jahren beim Winterurlaub in Arosa im Kanton Graubünden vom Curling begeistern lassen. Industriemagnat Berthold Beitz war gleichfalls gerne dabei.

Im Sommer wurde gegolft

Zu fortgeschrittener Stunde, nach dem Genuss etlicher Pflümli-Schnäpse, befand die Runde: „Das machen wir jetzt auch in Hamburg.“ Gesagt, getan. Im zur Bar im Schweizer Alpenstil umgebauten Tischtenniszimmer daheim in Nienstedten gründeten Eckelmann & Co. 1969 den Curling-Club Hamburg. Neben dem Gastgeber saßen der Verleger John Jahr, der Im- und Exportkaufmann Konsul Herbert A. Behrens, ein Notar und drei weitere Unternehmer an der Theke.

In Schottland bestellten die Herren Steine und Besen. Sodann legten sie auf der Eisbahn in den Wallanlagen los. Als „House“ dienten mit Nägeln ins Eis gekratzte Zielkreise. Im Sommer pflegte man sich beim Golf zu vergnügen, im Winter nunmehr beim Curling. Mithin war das Freizeitproblem gelöst.

Geselligkeit danach ist wichtig

Ebenso wichtig wie voller Einsatz beim Spiel war die Geselligkeit danach. Kurt Eckelmanns drei Jahre vor seinem Tod 1994 verfasste Lebensgeschichte ist zu entnehmen, dass die Gründungsmitglieder keine Menschen von Traurigkeit waren. In der Regel waren auch die Drinks eiskalt. An der Kombination aus Sport und Spaß hat sich bis heute nichts geändert.

Auch wenn unter den 160 Mitgliedern, davon gut ein Drittel Frauen, viele verschiedene Berufe vertreten sind, gehören nach wie vor namhafte Unternehmer aus dem Hafen und der Kaufmannszunft dazu. Präsident ist der Rechtsanwalt Lenard Schulze; als Ehrenpräsidenten sind Thomas Eckelmann und John Jahr junior im Ehrenamt. Aktiv sind zudem die Reeder Jochen Döhle, Bertram Rickmers, Ottmar Gast (Hamburg Süd), Kai Ahrens oder der Ölkaufmann Erhard „Sascha“ Jaden. Beitrag pro Jahr: 550 Euro.

1,4 Millionen Euro schon in Halle investiert

Mit vereinten Kräften, auch finanziell, ebneten die Herren das Eis – im wahrsten Sinn des Wortes. Wurden nach der Anfangszeit in Planten un Blomen die schweren Steine auf der Stellinger Eisanlage noch open air geschoben, wurde 1977 die erste eigene Halle eingeweiht. Auf einem Acker. Investition der Gründer: umgerechnet 300.000 Euro. 1994 wurde eine zweite Ebene inklusive Gastronomie mit nicht zu kleiner Bar eingebaut. 2010 folgte eine komplette Sanierung mit neuer Klimaanlage und einer modernen Eismaschine. Unter dem Strich 1,4 Millionen Euro wurden überwiegend durch private Spender, aber auch durch ein Darlehen des Sport-Bundes und einen Zuschuss der Stadt auf die Beine gestellt.

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© HA | Marcelo Hernandez

Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Vier 42 Meter lange und 4,30 Meter breite Spielbahnen, die Rinks, stehen zur Verfügung. Damit verfügt Hamburg, neben Berlin einzige Curling-Bastion in der nördlichen Hälfte der Republik, über die einzige Halle hierzulande, die ausschließlich für das Spiel mit Stein und Besen bestimmt ist. Andernorts müssen die Sportstätten mit Eisläufern oder Eishockeyspielern geteilt werden.

Das ist nicht gut; denn das Eis ist beim Curling „heilig“, es ist kälter, härter, ebener. Die Vorbereitung ist ein Fall für Eismeister Markus Wisniewski. Der Profi bereitet ebenfalls das Eis in der Arena am Volkspark und früher auch für die Freezers. Vor Trainings- oder Turnierbeginn geht er mit einem Kanister auf dem Rücken über die Anlage und versprüht einen feinen Wassernebel. Die gefrorenen Tropfen werden anschließend gehobelt. Der Eismeister nennt das pebbeln.

Perfektes Eis spielt große Rolle

Ein perfektes Eis ermöglicht taktische Finessen und maßgenaue Rotationen der je fast 1000 Euro teuren Granitsteine. Trotz exzellenter Verhältnisse scheiterten Versuche, die Weltmeisterschaft nach Hamburg zu holen. „Vielleicht starten wir mal eine neue Initiative“, sagt Matthias Steiner, Sportchef von NDR 90,3 und einer der Aktivisten des Clubs.

Während der sechsmonatigen Saison stehen praktisch jeden Abend Trainingseinheiten oder Wettbewerbe auf dem Programm. Firmen nutzen die Anlage für Events und Weihnachtsfeiern. Regelmäßig werden Schnupperkurse angeboten. 30 Lehrer jährlich absolvieren einen Schnellkurs. Auch ein Schulturnier mit 84 Teilnehmern soll jüngere Mitglieder bringen. Kommende Saison gibt es erstmals eine Betriebssportliga.

Digitale Stoppuhren am Besenstil

Die Party nach dem Finale der Clubliga um den Hafenpokal Ende März zählt zu den Höhepunkten des Clublebens. Es gibt Fassbier, eine launige Ansprache des Ehrenpräsidenten Thomas Eckelmann, Pokale und ein Feuerwerk der besonderen Art. Statt Pyrotechnik imitiert der Hafenunternehmer – mit beinahe sizilianischem Temperament – eine Rakete. Alle machen mit. Prosit!

Doch jetzt geht es erst einmal hinaus auf die Eisfläche. Mit speziellem Schuhwerk. Eine Sohle ist mit Gummi überzogen, um rutschfest stehen zu können, die andere mit Teflon, um beim Anschieben des Spielsteins gut gleiten zu können. Statt wie früher Strohbesen werden heutzutage Geräte mit kleinen, farbigen Kissen benutzt. Durch die Reibung des Wischens erzeugen sie eine Art Aquaplaning und beeinflussen so den Lauf des Steins. Perfektionisten haben am Besenstil digitale Stoppuhren befestigt. Hundertstel Sekunden geben Aufschluss über eine optimale Abstoßgeschwindigkeit. Dieses „Eis-Schach“ ist eine Wissenschaft für sich.

Auf Schiedsrichter wird traditionell verzichtet

Die Stimmung auf den Rinks ist turbulent. Rund 30 Spieler sind eifrig bei der Sache. Laute Anfeuerungsrufe gellen durch die Arena. Ärger über misslungene Aktionen und manchmal auch Zoff hinter den Kulissen gehören zum Spiel. Schummeln jedoch ist tabu.

„Ein Curling-Spieler verliert lieber, als dass er unehrenhaft gewinnt“, weiß Sabine Belkofer-Kröhnert. Auf Schiedsrichter wird traditionell verzichtet. Ehrensache. „Damals wie heute geben die Sieger den Verlierern einen aus“, verrät sie. Die Fünftplatzierte bei Olympia 2002 in Salt Lake City und mehrfache WM-Teilnehmerin ist als Geschäftsstellenleiterin ein Motor des Clubs. Bei den Spielen in Sotschi 2016 war erstmals ein rein Hamburger Curling-Team am Start.

An der Bar beginnt das Nachspiel

Auf dem Eis ist die Schlacht geschlagen. An der Bar beginnt das Nachspiel. Neben Belkofer-Kröhnert, Steiner und Eckelmann sitzen der pensionierte Ölhändler Gerhard Jaden, Banker Michael Bothe, Dirk Hornung von der Veranstaltungsfirma Apfelstedt & Hornung sowie der Patentanwalt Andreas Noack aus Schwinde im Landkreis Harburg. Noacks Kinder Christoph (14) und Jannes (17) gehören zu den Nachwuchshoffnungen. Auch Eckelmanns erwachsene Kinder Katja und Tom machen mit.

Der Wirt bringt eine weitere Runde Saftschorle. Auf der Theke liegen Broschüren des Deutschen Curling Verbandes mit Sitz in Füssen. Ganz hinten, auf einer Landkarte, sind die Spielorte verzeichnet. Demnach liegt Hamburg an der Elbmündung, in Höhe Brunsbüttel. Die Bayern sollten doch häufiger mal zum Curling nach Stellingen reisen ...